Der Wucherer. 75
So sprechend, trocknete er sich an einem großen Taschentuche
den Schweiß von der Stirne, und steuerte seinen morschen
Körper, der oft schwankte wie ein leckes Schiff, nach dem Dörf-
chen hin.
Mit einem „gelobt sei Jesus Christus," trat der an Ver-
stellungskünsten reiche Mann bald darauf bei der Wittwe ein.
„In Ewigkeit," antwortete dieselbe, die mit dem immer
schwacher werdenden Auge den Eintretenden nicht gleich erkannte.
Die Tochter aber, eine wunderholde Jungfrau von etwa achtzehn
Jahren, legte ihren Strickzeug bei Seite, grüßte mit freudiger
1 Ueberraschung und sagte: „Liebe Mutter, es ist Herr Ehrlich."
Dann zu diesem sich wendend, sprach sie unter einem schmerzlich
hervorgestoßenen Seufzer: „Mein Herr, Sie erscheinen uns wie
ein Schutzengel, denn nie that uns ihr Beistand mehr noth als
gerade jetzt."
„Ach du, mein Gott! Sie erschrecken mich," entgegnete Ehr-
lich, eine gleißnerische Thräne, die er nach Belieben fließen las-
sen konnte, zwischen den Wimpern zerdrückend, zwang sich dann
gleichfalls zu einem schweren Seufzer und rief: „Es ist hart,
hart — es thut weh!"
„Gott segne Ihren Eingang," sprach jetzt die alte Frau,
erhob sich in ihrem Sorgenstuhle, und als sie nun vermittelst
: ihrer Augengläser den schmerzlichen Ausdruck in Ehrlichs Gesicht
gewahr wurde, der so gut affektirt war, daß er ein so arg-
wohnloses Gemüth wie das ihrige völlig täuschen konnte, sagte
sie: „Lieber Herr, was ist Ihnen?"
„Wehe um's Herz; recht wehe, gute Frau!" rief der Gleiß-
' ner. „O. daß ich ein armer Mann bin. und Ihnen nicht so
helfen kann, wie ich — Gott ist mein Zeuge — es gern möchte!
Leider, hat ein jeder Mensch sein Schicksal, über das er nicht
hinaus kann, und das meinige will, daß ich der Geschäftsträger
jener Leute bin, die aus ihrem Gelde harte, schwere Zinsen
ziehen. Das wird mir oft recht sauer; doch was will ich ma-
chen? Das Brod, das man ißt, will verdient sein, und wie
soll ich mit meinem schwachen, gebrechlichen Leibe anders Geld
verdienen? O, glauben Sie, es wurde mir oft schwer. Sie so
unbillige Zinsen unterschreiben zu sehen; doch ich kann nichts
! dafür, Gott weiß es!"
„O schweigen Sie," tröstete ihn die Wittwe, „wir sind von
Ihrem azUten Willen überzeugt, und waren trotz der schweren
Zinsen, die Sie uns nach Ihren Justruktionen abnehmen mußten,
doch oft noch recht froh, daß uns in den Augenblicken der Noth
geholfen wurde. Ein solcher Augenblick, wo sich Alles, was
vom Hebel ist, vereinigt, hat sich auch jetzt eingestellt. Wir
stehen so hülstos und trostlos da, wie noch nie. so zwar, daß
wir umkommen müssen, wenn Sie uns nicht helfen."
„Nun, so danke ich Gott, datz er meine Schritte hieher ge-
lenkt . denn für die Auslieferung einiger Kassascheine kann ich
Ihnen nach den üblichen Zinsen stets Geld verschaffen."
Da seufzte die arme Frau schwer auf, und llagte mit beküm-
merter Miene, daß sie leider schon auf ein halbes Jahr ihre
Monatscheinc abgegeben, und ihn dies Mal um ein baares
Darlehen dringend ersuchen müsse. „Ich und meine Tochter
verschreiben Ihnen gerne unsere wenigen Habseligkeiten, die, da
ein Paar gute, vollständige Betten sich dabei befinden, doch nicht
ganz werthlos sind."
Ehrlich warf einen raschen Blick in der reinlich gescheuerten
Stube umher, fragte dann, sich entschuldigend, ob die Betten
mit Matrazen versehen seien, und als ihm diese gezeigt wurden,
meinte er: ungefähr zwanzig Gulden getraue er sich nach einer
förmlichen Verschreibung, die im Nichteinhaltungsfalle der Zah-
lung den Darleiher aus die Wegnahme der Mobiliarschaft an-
weise, leihen zu dürfen. „Und da muß ich noch obendrein ga-
rantiren," sprach der Elende. „Denn sehen Sie, oft machten
Leute im Augenblicke der Noth eine derartige Verschreibung,
und verkauften dann wieder aus Noth die verschriebenen Gegen-
stände, der Darleiher verliert trotz der Verschreibung sein gutes
Geld, und in einem solchen Falle findet das Sprichwort Anwen-
dung : wo Nichts ist, da hat der Kaiser das Recht verloren."
„Da würden wir lieber sterben, als einen solchen schlechten
Streich begehen," riefen, als Ehrlich so redete, die Wittwe und
ihre Tochter wie aus eineni Munde.
„Bin vollkommen überzeugt! betheuerlc Ehrlich, „und weil
ich das bin. so sage ich auch für Sie gut. Fertigen Sie ge-
fälligst die Verschreibung, und ich bezahle Ihnen zwanzig Gulden
aus, wofür Sie auf sechs Monate —0, daß ich es sagen muß!
— zehn Gulden als Zins zu entrichten haben."
„Ja mein Herr, es ist viel," seufzte die Wittwe, „und doch
würde ich mich herzlich gerne dazu verstehen, wenn mir eine
Summe von zwanzig Gulden etwas nützen könnte. Doch be-
denken Sie, daß ich an einige Nachbarsleute, die mir gefällig
waren, fast so viel schulde, und dann noch sechs Monate leben soll."
„Liebe Frau, da kann ich leider nicht helfen, und Ihnen
nur den Rath ertheileu, die guten Leute warten zu lassen, und
sich einstweilen des Geldes zu bedienen. Sind erst einige Mo-
nate verflossen, so wird sich dann wohl auch wieder Rath
schaffen lassen."
So schwer es der Wittwe aus das redliche Herz fiel, die
Nachbarsleute, die ihr uneigennützig geholfen, warten zu lassen,
so ging sie doch, von ihrem Elende veranlaßt, den schmachvollen
Handel ein. Die Verschreibung wurde nach Ehrlichs Willen
gefertigt, und nachdem sich Mutter und Tochter unterzeichnet
hatten, steckte er das zusammengefaltete Papier in die Tasche
seines unsaubern, abgetragenen Rockes, und bezahlte die zwanzig
Gulden in lauter kleiner Münze auf den Tisch.
So war denn der Handel geschlossen, und Ehrlich, der nun
mit seinen säubern Geschäften den Anfang gemacht, verließ
unter einer Fluth von Beileidsbezeugungen die Unglücklichen.
(Fortsetzung folgt.)
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So sprechend, trocknete er sich an einem großen Taschentuche
den Schweiß von der Stirne, und steuerte seinen morschen
Körper, der oft schwankte wie ein leckes Schiff, nach dem Dörf-
chen hin.
Mit einem „gelobt sei Jesus Christus," trat der an Ver-
stellungskünsten reiche Mann bald darauf bei der Wittwe ein.
„In Ewigkeit," antwortete dieselbe, die mit dem immer
schwacher werdenden Auge den Eintretenden nicht gleich erkannte.
Die Tochter aber, eine wunderholde Jungfrau von etwa achtzehn
Jahren, legte ihren Strickzeug bei Seite, grüßte mit freudiger
1 Ueberraschung und sagte: „Liebe Mutter, es ist Herr Ehrlich."
Dann zu diesem sich wendend, sprach sie unter einem schmerzlich
hervorgestoßenen Seufzer: „Mein Herr, Sie erscheinen uns wie
ein Schutzengel, denn nie that uns ihr Beistand mehr noth als
gerade jetzt."
„Ach du, mein Gott! Sie erschrecken mich," entgegnete Ehr-
lich, eine gleißnerische Thräne, die er nach Belieben fließen las-
sen konnte, zwischen den Wimpern zerdrückend, zwang sich dann
gleichfalls zu einem schweren Seufzer und rief: „Es ist hart,
hart — es thut weh!"
„Gott segne Ihren Eingang," sprach jetzt die alte Frau,
erhob sich in ihrem Sorgenstuhle, und als sie nun vermittelst
: ihrer Augengläser den schmerzlichen Ausdruck in Ehrlichs Gesicht
gewahr wurde, der so gut affektirt war, daß er ein so arg-
wohnloses Gemüth wie das ihrige völlig täuschen konnte, sagte
sie: „Lieber Herr, was ist Ihnen?"
„Wehe um's Herz; recht wehe, gute Frau!" rief der Gleiß-
' ner. „O. daß ich ein armer Mann bin. und Ihnen nicht so
helfen kann, wie ich — Gott ist mein Zeuge — es gern möchte!
Leider, hat ein jeder Mensch sein Schicksal, über das er nicht
hinaus kann, und das meinige will, daß ich der Geschäftsträger
jener Leute bin, die aus ihrem Gelde harte, schwere Zinsen
ziehen. Das wird mir oft recht sauer; doch was will ich ma-
chen? Das Brod, das man ißt, will verdient sein, und wie
soll ich mit meinem schwachen, gebrechlichen Leibe anders Geld
verdienen? O, glauben Sie, es wurde mir oft schwer. Sie so
unbillige Zinsen unterschreiben zu sehen; doch ich kann nichts
! dafür, Gott weiß es!"
„O schweigen Sie," tröstete ihn die Wittwe, „wir sind von
Ihrem azUten Willen überzeugt, und waren trotz der schweren
Zinsen, die Sie uns nach Ihren Justruktionen abnehmen mußten,
doch oft noch recht froh, daß uns in den Augenblicken der Noth
geholfen wurde. Ein solcher Augenblick, wo sich Alles, was
vom Hebel ist, vereinigt, hat sich auch jetzt eingestellt. Wir
stehen so hülstos und trostlos da, wie noch nie. so zwar, daß
wir umkommen müssen, wenn Sie uns nicht helfen."
„Nun, so danke ich Gott, datz er meine Schritte hieher ge-
lenkt . denn für die Auslieferung einiger Kassascheine kann ich
Ihnen nach den üblichen Zinsen stets Geld verschaffen."
Da seufzte die arme Frau schwer auf, und llagte mit beküm-
merter Miene, daß sie leider schon auf ein halbes Jahr ihre
Monatscheinc abgegeben, und ihn dies Mal um ein baares
Darlehen dringend ersuchen müsse. „Ich und meine Tochter
verschreiben Ihnen gerne unsere wenigen Habseligkeiten, die, da
ein Paar gute, vollständige Betten sich dabei befinden, doch nicht
ganz werthlos sind."
Ehrlich warf einen raschen Blick in der reinlich gescheuerten
Stube umher, fragte dann, sich entschuldigend, ob die Betten
mit Matrazen versehen seien, und als ihm diese gezeigt wurden,
meinte er: ungefähr zwanzig Gulden getraue er sich nach einer
förmlichen Verschreibung, die im Nichteinhaltungsfalle der Zah-
lung den Darleiher aus die Wegnahme der Mobiliarschaft an-
weise, leihen zu dürfen. „Und da muß ich noch obendrein ga-
rantiren," sprach der Elende. „Denn sehen Sie, oft machten
Leute im Augenblicke der Noth eine derartige Verschreibung,
und verkauften dann wieder aus Noth die verschriebenen Gegen-
stände, der Darleiher verliert trotz der Verschreibung sein gutes
Geld, und in einem solchen Falle findet das Sprichwort Anwen-
dung : wo Nichts ist, da hat der Kaiser das Recht verloren."
„Da würden wir lieber sterben, als einen solchen schlechten
Streich begehen," riefen, als Ehrlich so redete, die Wittwe und
ihre Tochter wie aus eineni Munde.
„Bin vollkommen überzeugt! betheuerlc Ehrlich, „und weil
ich das bin. so sage ich auch für Sie gut. Fertigen Sie ge-
fälligst die Verschreibung, und ich bezahle Ihnen zwanzig Gulden
aus, wofür Sie auf sechs Monate —0, daß ich es sagen muß!
— zehn Gulden als Zins zu entrichten haben."
„Ja mein Herr, es ist viel," seufzte die Wittwe, „und doch
würde ich mich herzlich gerne dazu verstehen, wenn mir eine
Summe von zwanzig Gulden etwas nützen könnte. Doch be-
denken Sie, daß ich an einige Nachbarsleute, die mir gefällig
waren, fast so viel schulde, und dann noch sechs Monate leben soll."
„Liebe Frau, da kann ich leider nicht helfen, und Ihnen
nur den Rath ertheileu, die guten Leute warten zu lassen, und
sich einstweilen des Geldes zu bedienen. Sind erst einige Mo-
nate verflossen, so wird sich dann wohl auch wieder Rath
schaffen lassen."
So schwer es der Wittwe aus das redliche Herz fiel, die
Nachbarsleute, die ihr uneigennützig geholfen, warten zu lassen,
so ging sie doch, von ihrem Elende veranlaßt, den schmachvollen
Handel ein. Die Verschreibung wurde nach Ehrlichs Willen
gefertigt, und nachdem sich Mutter und Tochter unterzeichnet
hatten, steckte er das zusammengefaltete Papier in die Tasche
seines unsaubern, abgetragenen Rockes, und bezahlte die zwanzig
Gulden in lauter kleiner Münze auf den Tisch.
So war denn der Handel geschlossen, und Ehrlich, der nun
mit seinen säubern Geschäften den Anfang gemacht, verließ
unter einer Fluth von Beileidsbezeugungen die Unglücklichen.
(Fortsetzung folgt.)
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