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Der Wucherer.
„Sie wird im Herbste sechzig Jahre," gab die Jungfrau zurück.
„So hat der," fuhr Ehrlich fort, „der das Geld geliehen,
seine liebe Noth, Laufereien vor Gericht und Unannehmlichkeiten
statt der Zinsen. Sehen Sie mein Fräulein, das wissen nun
solche Leute allzugut, deßhalb kaufen sie wohl derartige Papiere,
leihen aber, gewitzigt, selten mehr etwas darauf."
Die Jungfrau besann sich einige Augenblicke, dann fragte
sie zögernd und gedehnt: „Was erhielt ich denn für diese
Prämie, wenn ich gesonnen wäre, sie zu verkaufen?"
„Ei mein Fräulein, das möchte ich Ihnen nicht rathen,"
rief der Gleißner in dem Tone der innigsten Theilnahme; „denn
das, was man Ihnen dafür gibt, steht allzuweit unter der
Summe» die Ihnen nach der Mutter Tod zugesichert ist."
„Wohl glaube ich das," sagte die Tochter, die sichtlich einen
schweren Kampf mit ihrem Innern zu bestehen hatte, „doch
unsere traurige Lage läßt mir keine Wahl. Auch könnte sich
gar leicht der Fall ereignen, daß wir ein Mal die Gebühren
nicht entrichten könnten, dann wäre ja ohnedies die Prämie,
wie Sie vorhin selbst sagten, für mich verfallen. Sagen Sie
deßhalb, was erhalte ich dafür? Denn ich bin fest entschlossen,
sie zu verkaufen. Nach dem Tode der armen Mutter wird mir
der liebe Gott weiter helfen, und jetzt erheischt es meine Kindes-
pflicht, sic nach Kräften zu unterstützen."
Da formte Ehrlich, das Lächeln der Bewunderung auf den
Lippen, in der Tiefe seines schlechten Herzens den weiteren
Plan, der auch sofort zur That reiste.
„Edles, vortreffliches Wesen!" rief er dann: „wie hoch
stehen Sie über den Meisten Ihres Geschlechtes! Der Himmel
möge Ihnen das, was Sie für die Mutter Ihun, vergelten,
hier aber wird Ihnen schlechter Lohn, denn Sie erhalten für
diese Prämie höchstens d r e i h u n d e r t G u l d e n- Es ist näm-
lich immerhin eine riskirte Sache, weil die Frau Mama sich
erholen, und wenn Gott will, hundert Jahre alt werden kann.
Dieser Fall wäre nicht der erste, daß Leute, die dem Grabe
nahe zu sein schienen, diejenigen in ihrer Erwartung furchtbar
täuschten, die mit Gewißheit ihrem scheinbar nahen Tode ent-
gegen harrten. Aber wie gesagt, — ich, Fräulein, wahre mich
vor Vorwürfen, ich rathe weder zu noch ab und habe nur den
wahrscheinlichen Fall im Auge, daß die Frau Mama, wenn sie
angemeffene, kräftige Kost erhält, und in die Möglichkeit versetzt
wird, von Zeit zu Zeit ein gutes Schöppchen alten Wein zu
trinken, bald wieder auf die Beine kommen wird. Glauben
Sic, dann hält sie auch sicherlich aus, und der, der das Geld
leiht, hat ein langes Warten und ein oft sich wiederholendes
Zahlen. Bleibt jedoch die gute, alte Frau in dem hülflosen
Zustande wie jetzt, so ist die Hoffnung zu einem nahen Tode
gegeben. Für Sie, mein Fräulein, wäre das natürlich ein
Vorthcil, da aber Ihnen Ihr ekles Herz nicht erlaubt, auf den
Tod der lieben Mutter zu spekuliren —"
Diese Worte, die Ehrlich mit teuflischer Berechnung sprach,
brachten auf die gute Tochter eine blitzschnelle Wirkung hervor.
„O still, still!" rief das vortreffliche Wesen schaudernd aus,
Thränen rannen über ihre Wangen, und mit einer raschen
Geberde sich von dem Papiere abwendend, als halte sie ein
längeres Zögern für eine Todsünde, sagte sie: „Die Pränüe
gehört Ihnen. Wann werden Sie mir die dreihundert Gü8>en
einhändigen?"
„Sogleich," entgegnete Ehrlich, der einer möglichen Reue
zuvorkommen wollte, griff in seinen schlechten Rock, zog. einen
beschmutzten ledernen Geldbeutel hervor, und bezahlte die Summe
in beschnittenen Dukaten und Carolins aus, und einige Minuten
später erklärte auf Anträgen des Wucherers die Tochter der
Wittwe bei dem Ortsvorstande des Dorfes schriftlich,. dich die
Prämie der Lebensvcrsicherungsanstalt unter Heutigem, käuflich
an Herrn Privatier Ehrlich übergegangcn sei.
Das Gold in der Hand wägend, das ihr ein enormerrSchatz
däuchte, eilte dann die Jungfrau wieder in ihre Wohnung, zurück,
verbarg jedoch ihre freudige Aufregung vor dem. Blicke der
Mutter, für deren Wohl sie das Geld gewiffenhaft: zw verwen-
den beschloß, die aber nie von dem was erfahren sollte, was
sie in aufopfernder Kindesliebe eben für sie gethan,
Ehrlich eilte nun, keine Ermüdung empfindend, .einen Schenke
zu, und als er, dort angelangt, sich hinter einen-Ecktisch nach-
läßig hingekauert hatte, drückte sein Gesicht lebhaft die.Grfühle aus,
welche ihn in Folge des gelungenen Schurkenstreiches beseelten. -
Außer einem Fremden, der am nächsten Tische einen Braten •
verzehrte, war in der Wirthsstube Niemand anwesend, und als
ein gähnender Dicnstbote dem neuen Gaste Bier und Brod ge-
bracht, und sich, wie beim Eintreten, faul dehnend entfernt hatte,
war Ehrlich mit dem Fremden wieder allein:.
Der Geldmäkler schien jedoch auf diese» nicht zu achten,
denn vor seiner Phantasie, die sich immer nur mit Gewinn und
Wucher beschäftigte, stand jetzt die arme Wittwe, wie sie leibte
und lebte. Mit innigem Vergnügen sah er das bleiche unglück-
liche Weib vor sich und konnte sich dabei eines leisen Lächelns
nicht erwehren, denn die Arme zeigte zw viele Vorzeichen eines
nahen Todes, der schon die Fäden, an- denen das Leben hing,
so weit gelöst hatte, daß es nur noch eines leichten Stoßes
bedurfte, um die Seele aus dem Gefängnisse dieses morschen
Körpers zu befreien.
Als Ehrlich so vor sich hin lächette, wendete ihni der Fremde
sein Gesicht zu, und da er in den» Blicke dieses Mannes eine
Frage las, sagte er: „Es befremdet Sie wohl, mein Herr, daß
ich lache, und ich will es Ihnen sagen, warum es geschah.
Sehen Sie, da draußen schoppt ein Weib eine Gans." Dabei
zeigte er nach dem Fenster, „und wenn man so sieht, wie sie
sich Mühe gibt, daß ja ihre gute Gans effe und immer effe,
so könnte man glauben, sie meine es recht gut mit dem blöden
Thiere. Doch geschieht es lediglich nur, um die Gans recht
fett zu machen, damit man, ist sie erst abgestochen und gebra-
ten, sich recht saftige, dicke Schnitzchen von ihrem Leibe abschneiden
kann. Würde die dumme Gans das wißen, so äße sic gewiß
nicht mit solcher Gier, die ihre Mästung und ihren Tod be-
schleunigt; so aber schluckt und schluckt sie immer und ergötzt
sich an vem Henkermahl. O, dumme, dumme Gans! Ha, ha,
ha, ha! O blödes, harmloses Thier." Dabei lachte Ehrlich
laut auf, und der Fremde von dem unheimlichen, widerlichen
Gesichtsausdrucke dieses Menschen angewidert, wendete ihm ohne
Der Wucherer.
„Sie wird im Herbste sechzig Jahre," gab die Jungfrau zurück.
„So hat der," fuhr Ehrlich fort, „der das Geld geliehen,
seine liebe Noth, Laufereien vor Gericht und Unannehmlichkeiten
statt der Zinsen. Sehen Sie mein Fräulein, das wissen nun
solche Leute allzugut, deßhalb kaufen sie wohl derartige Papiere,
leihen aber, gewitzigt, selten mehr etwas darauf."
Die Jungfrau besann sich einige Augenblicke, dann fragte
sie zögernd und gedehnt: „Was erhielt ich denn für diese
Prämie, wenn ich gesonnen wäre, sie zu verkaufen?"
„Ei mein Fräulein, das möchte ich Ihnen nicht rathen,"
rief der Gleißner in dem Tone der innigsten Theilnahme; „denn
das, was man Ihnen dafür gibt, steht allzuweit unter der
Summe» die Ihnen nach der Mutter Tod zugesichert ist."
„Wohl glaube ich das," sagte die Tochter, die sichtlich einen
schweren Kampf mit ihrem Innern zu bestehen hatte, „doch
unsere traurige Lage läßt mir keine Wahl. Auch könnte sich
gar leicht der Fall ereignen, daß wir ein Mal die Gebühren
nicht entrichten könnten, dann wäre ja ohnedies die Prämie,
wie Sie vorhin selbst sagten, für mich verfallen. Sagen Sie
deßhalb, was erhalte ich dafür? Denn ich bin fest entschlossen,
sie zu verkaufen. Nach dem Tode der armen Mutter wird mir
der liebe Gott weiter helfen, und jetzt erheischt es meine Kindes-
pflicht, sic nach Kräften zu unterstützen."
Da formte Ehrlich, das Lächeln der Bewunderung auf den
Lippen, in der Tiefe seines schlechten Herzens den weiteren
Plan, der auch sofort zur That reiste.
„Edles, vortreffliches Wesen!" rief er dann: „wie hoch
stehen Sie über den Meisten Ihres Geschlechtes! Der Himmel
möge Ihnen das, was Sie für die Mutter Ihun, vergelten,
hier aber wird Ihnen schlechter Lohn, denn Sie erhalten für
diese Prämie höchstens d r e i h u n d e r t G u l d e n- Es ist näm-
lich immerhin eine riskirte Sache, weil die Frau Mama sich
erholen, und wenn Gott will, hundert Jahre alt werden kann.
Dieser Fall wäre nicht der erste, daß Leute, die dem Grabe
nahe zu sein schienen, diejenigen in ihrer Erwartung furchtbar
täuschten, die mit Gewißheit ihrem scheinbar nahen Tode ent-
gegen harrten. Aber wie gesagt, — ich, Fräulein, wahre mich
vor Vorwürfen, ich rathe weder zu noch ab und habe nur den
wahrscheinlichen Fall im Auge, daß die Frau Mama, wenn sie
angemeffene, kräftige Kost erhält, und in die Möglichkeit versetzt
wird, von Zeit zu Zeit ein gutes Schöppchen alten Wein zu
trinken, bald wieder auf die Beine kommen wird. Glauben
Sic, dann hält sie auch sicherlich aus, und der, der das Geld
leiht, hat ein langes Warten und ein oft sich wiederholendes
Zahlen. Bleibt jedoch die gute, alte Frau in dem hülflosen
Zustande wie jetzt, so ist die Hoffnung zu einem nahen Tode
gegeben. Für Sie, mein Fräulein, wäre das natürlich ein
Vorthcil, da aber Ihnen Ihr ekles Herz nicht erlaubt, auf den
Tod der lieben Mutter zu spekuliren —"
Diese Worte, die Ehrlich mit teuflischer Berechnung sprach,
brachten auf die gute Tochter eine blitzschnelle Wirkung hervor.
„O still, still!" rief das vortreffliche Wesen schaudernd aus,
Thränen rannen über ihre Wangen, und mit einer raschen
Geberde sich von dem Papiere abwendend, als halte sie ein
längeres Zögern für eine Todsünde, sagte sie: „Die Pränüe
gehört Ihnen. Wann werden Sie mir die dreihundert Gü8>en
einhändigen?"
„Sogleich," entgegnete Ehrlich, der einer möglichen Reue
zuvorkommen wollte, griff in seinen schlechten Rock, zog. einen
beschmutzten ledernen Geldbeutel hervor, und bezahlte die Summe
in beschnittenen Dukaten und Carolins aus, und einige Minuten
später erklärte auf Anträgen des Wucherers die Tochter der
Wittwe bei dem Ortsvorstande des Dorfes schriftlich,. dich die
Prämie der Lebensvcrsicherungsanstalt unter Heutigem, käuflich
an Herrn Privatier Ehrlich übergegangcn sei.
Das Gold in der Hand wägend, das ihr ein enormerrSchatz
däuchte, eilte dann die Jungfrau wieder in ihre Wohnung, zurück,
verbarg jedoch ihre freudige Aufregung vor dem. Blicke der
Mutter, für deren Wohl sie das Geld gewiffenhaft: zw verwen-
den beschloß, die aber nie von dem was erfahren sollte, was
sie in aufopfernder Kindesliebe eben für sie gethan,
Ehrlich eilte nun, keine Ermüdung empfindend, .einen Schenke
zu, und als er, dort angelangt, sich hinter einen-Ecktisch nach-
läßig hingekauert hatte, drückte sein Gesicht lebhaft die.Grfühle aus,
welche ihn in Folge des gelungenen Schurkenstreiches beseelten. -
Außer einem Fremden, der am nächsten Tische einen Braten •
verzehrte, war in der Wirthsstube Niemand anwesend, und als
ein gähnender Dicnstbote dem neuen Gaste Bier und Brod ge-
bracht, und sich, wie beim Eintreten, faul dehnend entfernt hatte,
war Ehrlich mit dem Fremden wieder allein:.
Der Geldmäkler schien jedoch auf diese» nicht zu achten,
denn vor seiner Phantasie, die sich immer nur mit Gewinn und
Wucher beschäftigte, stand jetzt die arme Wittwe, wie sie leibte
und lebte. Mit innigem Vergnügen sah er das bleiche unglück-
liche Weib vor sich und konnte sich dabei eines leisen Lächelns
nicht erwehren, denn die Arme zeigte zw viele Vorzeichen eines
nahen Todes, der schon die Fäden, an- denen das Leben hing,
so weit gelöst hatte, daß es nur noch eines leichten Stoßes
bedurfte, um die Seele aus dem Gefängnisse dieses morschen
Körpers zu befreien.
Als Ehrlich so vor sich hin lächette, wendete ihni der Fremde
sein Gesicht zu, und da er in den» Blicke dieses Mannes eine
Frage las, sagte er: „Es befremdet Sie wohl, mein Herr, daß
ich lache, und ich will es Ihnen sagen, warum es geschah.
Sehen Sie, da draußen schoppt ein Weib eine Gans." Dabei
zeigte er nach dem Fenster, „und wenn man so sieht, wie sie
sich Mühe gibt, daß ja ihre gute Gans effe und immer effe,
so könnte man glauben, sie meine es recht gut mit dem blöden
Thiere. Doch geschieht es lediglich nur, um die Gans recht
fett zu machen, damit man, ist sie erst abgestochen und gebra-
ten, sich recht saftige, dicke Schnitzchen von ihrem Leibe abschneiden
kann. Würde die dumme Gans das wißen, so äße sic gewiß
nicht mit solcher Gier, die ihre Mästung und ihren Tod be-
schleunigt; so aber schluckt und schluckt sie immer und ergötzt
sich an vem Henkermahl. O, dumme, dumme Gans! Ha, ha,
ha, ha! O blödes, harmloses Thier." Dabei lachte Ehrlich
laut auf, und der Fremde von dem unheimlichen, widerlichen
Gesichtsausdrucke dieses Menschen angewidert, wendete ihm ohne