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156 Geschichten a u

„Sakra, was bammelt denn do obarief der Alte, und
ging mit erhobenem Stocke drauf zu. Das Licht mochte ihn
blenden, und erst als er daran war, erkannte er ein Paar Beine
mit Lederhosen, Stutzen und Bundschuhen.

„Daß di', du Kreuz Million' Sa_" — aber in demselben

Momente verließ auch den Burschen alle Kraft, sich länger fest-
zuhaltcn, oder auf's Dach sich zurückzuschwingen, wie es wohl
am gerathensten gewesen wäre. So stürzte er denn der ganzen
Länge nach nieder, gerade auf die Laterne, die er dem Alten
aus der Hand, und sich die Scherben in die Sohlen schlug.
Dieser gedachte nicht anders, als sein Hof sei von Dieben heim-
gesucht, und schrie Mordio. Aber der Bursche raffte sich in
seiner Angst auf, rannte den halbnackten Schmidwastlbauern
über den Haufen, und — weiß der Himmel, wie ihn der In-
stinkt just die Thüre finden ließ, trotz der Finsterniß. Denn
glücklicher Weise war das Laternenlicht bei dem unglücklichen Sturze
mit verlöscht, also daß Hoffnung war, der Bauer habe ihn nicht
erkannt. Die Glassplitter steckten ihm in der Sohle; aber die
Furcht vor der Schande war stärker als der Schmerz. In drei
Sätzen flog er die Stiege hinab; den Riegel weg von der
Hausthüre, und — er war im Freien. Wie ein angeschoffener
Hase floh er über den Rain hin, seiner Heimath zu, und just
hörte er noch das Gezetter und den Hilferuf vom Schmidwastl-
j Hofe her, wo nun Alles mochte wach geworden sein, als er die
! Klinke seiner Stallthüre hob, und — gerettet war!

Erst dankte er dem heiligen Georg, dem Lindwurmritter
für diesen allerwegen noch glücklichen Ausgang; dann zog er
sich die Scherben aus der Sohle, die ihm Viertelzolltief d'rin
steckten, und gedachte nun — nach dem gefahrvollen Strauß —
sich gemächlich auf seinem Heulager zu strecken. Aber jetzt
fingen erst die Schmerzen seiner Wunden an, die ihm kein
Auge zuthun ließen. Doch durfte er des andern Morgens nichts
merken lasten, um sich nicht zu verrathen, und mußte so mit
einem schlechten, selbstangelegten Verbände die gewohnte harte
Arbeit verrichten. Das ertrug er fast vierzehn Tage mit einer
unsäglichen Selbstüberwindung. So entging er auch allem Ver-
dachte, und des Schmidwastls Mitterknecht hatte ihm die Sache
selbst als eine Neuigkeit erzählt. Aber die Liebe verging ihm,
je mehr seine Schmerzen wuchsen. Nach vierzehn Tagen kün-
dete er seinem Dienstherrn auf, unv fuhr mit einem Schrännen-
Bauer in seine Heimath. Dort ward er ernstlich krank; ein
Wundfiebcr überfiel ihn, und der Dorfbader mußte ihm noch
Glassplitter, die zurückgeblieben waren, aus dem Fuße schneiden.
Neun Wochen hatte er zu leiden, und ein verstümmelter Fuß
war das Ende dieser tragischen Epoche. In dieser Zeit des
Martyrthums lagerte sich an den Wänden seines verwundeten
und getäuschten Herzens das Salz der Ironie ab; er nahm sich
vor, Junggeselle zu bleiben, und über die Liebe zu spotten.
Aber ich merkte nachgerade immer noch, daß er sich seine erste,
heimliche Neigung selbst in seinen alten Tagen noch nicht aus
dem Herzen weggespottet habe. —

Eigentlich genoß George die allgemeine Liebe im Dorfe.
Seine Häßlichkeit war die Zielscheibe des Bauernwitzes. Aber
er nahm Alles mit Lachen hin, denn es war so übel nicht

der Heimath.

gemeint, und er war nicht verlegen um eine witzige Gegenrede,
also daß er immer der zuletzt Lachende blieb. Ueberdieß fesselte
er noch durch eine lebhafte Erzählungsgabe, wozu ihm seine
mancherlei in Wahrheit und Dichtung erlebten Abentheuer hin-
länglich Stoff boten. War er mit seiner Prosa zu Ende, so
sang er ein lustiges Lied oder rezitirte eine schaurige Ballade,
worin er unerschöpflich war. Ich erinnere mich einer, die mir
besonders gefiel um des tragischen Schluffes willen, und die ich
hier einschalten will:

Treue um Treue.

Das war die Maid vom Grasenschloß,

Die kam zu Wald gegangen,

Es glänzten ihre Aeugelein,

Als wie zwei blaue Veigelein,

Wie Kirschen ihre Wangen.

Der Jäger zog zum Birschen aus,

Das Rehlein stand im Schlage.

Er ging den gleichen Steig entlang,

Und wie er pfiff, und wie er sang:

Die Jungfer stand am Hage.

„Willkommen, Schönste, gottwillkomm,

„Du Holde und du Feine!"

Er nahm sie bei der weißen Hand:

„Weil ich noch keine Liebste fand,

„Sei du, o Schatz, die meine!"

Ein junges Herz und eins dazu.

Die finden sich behende.

Und aber kaum ein kurzes Jahr —

Da war es mit der Liebe gar.

Das Mädel rang die Hände!"

Und aber kaum ein kurzes Jahr —

War auch ihr Gram verschwunden,

Die Liebe bricht kein Dirnenherz,

Sobald ein Zweiter anderwärts
Als Liebster sich gefunden!

Zum Schlüsse.

Fern ab liegt mir der Schauplatz meiner Kinderspiele, noch
ferner die Tage, an denen ich sie spielte. Die schwarze Liese,
deren Geschichte ich dir, wenn du willst, ein andermal erzähle, j
ist nun volle zwanzig Jahre todt, und der George seit nicht
viel kürzerer Zeit verschollen. Das alte Mütterlein der beiden
Dirnen im vorletzten Hause wird.wohl auch schon ein Viertel-
jahrhundert wiffen, wie cs drüben aussieht; nur der Thurm
steht noch, wie ich mich verwichenen Herbst überzeugte, an der-
selben Stelle, und ist um keinen Zoll tiefer gesunken. So
philosophirt der Mensch über die Vergänglichkeit alles dessen,
was ihn umgibt, und vergißt dabei, wie er es ist, der vorerst
in die Grube sinkt, während das vergänglichste Ding auf der
Welt ihn wenigstens in seinen Trümmern überlebt.

Dieses Bewußtsein der kurzen Zeit, und der noch kürzeren
Blüthentage, die uns gegönnt sind, macht mir's zur besonderen
Freude, mich in Erinnerungen des Verlebten zu ergehen. Nimm
mir's nicht übel, freundlicher Leser, daß ich dich aufforderte,
mir bei einem solchen Gange das Geleite zu gehen."
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