Die Weissagung
Pest niähte ihre Opfer in vollen Garben innerhalb der
Mauern nicht zahlreicher, als draußen auf dem Laude. Da ver-
schwand manches Dorf, da ward manches Geschlecht bis auf
den letzten Abkömmling vernichtet.
Und als endlich der lang verzögerte und lang hingehaltene
Friede erklärt war, als Ruhe und Sicherheit zurückzukehreu
anfing, wer hätte das schwer heimgesuchte Vaterland wieder
erkannt! Ein starkes, kräftiges, zahlreiches Volk hatte das ver-
hängnißvolle Jahrhundert anbrechen sehen, die Städte voll
Verkehr und Menschengewühl, in den fleißig bebauten Gauen zahl-
reiche Dörfer und Weiler, und nun nach dem Verlauf der ersten
Hälfte des Jahrhunderts lag das unglückselige Deutschland da
ein ödes, ausgebranntes, verwüstetes und menschenleeres Land.
Auch in jenen Thälern des Schwarzwaides mochte früher
hie und da manch' freundliches Dörfchen gestanden haben,
aber Niemand kannte seine Stätte mehr. Waren auch die
gewaltigen Heereszüge jenen einsameren Dörfern in den Bergen
ferne geblieben, die zuchtlosen Haufen jener Marodcbrüdcr
hatten auch die entlegensten Winkel zu finden gewußt. Da
brach die wilde Horde nach Raub, Brand und Mord begierig
hinab in das stille friedliche Thal, da fielen sie mit grimmiger
Wuth über die Hütten her, da ächzten und schrieen Männer
und Weiber unter entsetzlichen Folterqualen, da wurden die
Kinder hingeschlachtet, und wenn die scheußliche Bande abzog,
schlugen die Flammen aus den Dächern empor, und die
nackten Lcichnaine der Gemordeten verbrannten in der Gluth,
die ihre Hütten verzehrte. Wo am Morgen ein fröhliches
Leben geherrscht, schaute der Abend auf verödete rauchende
Trümmer und verkohlte Gebeine. Und Tag an Tag verging
und der Regen fiel herab und wusch langsam die verkohlten
Wände hernieder, und der Winter kam und legte seine Schnee-
decke über den nun öden Platz. Und wieder kam der Früh-
i fing, und der Wind trug allerlei Samen herbei und streute
j ihn aus über die öde Brandstätte und zwischen und über den
Trümmern grünte ein neues Leben auf. Birkensträucher und
Tannenschößliuge drängten sich empor zwischen den geborstenen
Mauern, und die immer weiter greifenden Wurzeln drängten
den letzten Mörtel von einander, und nach fünf, sechs Jahren
war ein frischer Wald, wo früher ein Dorf gestanden, und
längst war Niemand mehr übrig, der seinen Namen wußte
und seine Stätte kannte Niemand.
Als nun der Friede geschlossen und die fremden Krieger
abgezogen waren, da gab es viel hcimathloses Volk, ausge-
wachsen unter Blut und Verwüstung, aber auch viel herrenlos
Land, dessen vorige Besitzer erlegen waren dem Uebcrmaaß
des Elendes und des Jammers.
Um jene Zeit war der Mann, dessen wir oben gedachten,
hier in das Thal gekommen. Er nannte sich Ignaz Sar-
torius. Gott weiß, wie er zu dem gelehrten Namen kam,
ebenso unbekannt blieb es, was er bis daher getrieben, und
wo und wie er herangewachsen war zu mächtiger Stärke und
Größe; ob seine Hände rein waren von Blut und Brand
und Raub, ob er den Seckcl voll Kaisergulden,' den er bei
sich trug, redlich erworben, wer mochte eö wissen? Wo war
der Zigeunerin. 3
damals eine Hand rein von Schuld und Blut? Die Schwachen,
. die Redlichen gingen unter in jener furchtbaren Zeit, und nur
der erhielt sich allenfalls über den Wogen, der selbst zuzu-
greifen verstand, und vor böser gewaltsamer That nicht ängst-
lich zurückschrcckte.
Der Alte wußte seinen Schatz — mochte er ihn auch Gott
weiß wie zusammengcbracht haben — wenigstens zu brauchen.
Es war schon damals wie heut, mit Geld zwar nicht Alles,
aber doch recht Viel ;u erreichen. Heimathlose unbeschäftigte
Burschen ließen sich gerne dingen von dem fremden finstern
Mann. Rastlos schallten durch die Stille des einsamen
Thalcs die Schläge der Art, das Knirschen der Säge, das
Krachen und Brechen stürzender Bäume, Hütten wuchsen empor
und unter des Fremden Aufsicht und Leitrmg baute sich die
Mühle ans. Das freie lustige Bächlein, gezwungen sein
steiniges Bett zu verlaßen, schoß, wie erzürnt, eine kurze
Strecke in hölzerner Röhrfahrt hin und stürzte sich dann,
lechzend nach der vorigen Freiheit, über die Schaufeln des
Rades hinab, um im alten Bette fröhlich weiter zu rauschen.
Seitdem erklang Tag und Nacht daö Thal entlang das
Klappern der Mühle, das scharfe Knirschen der Säge, und
tiefer in das Dunkel unendlicher Wälder zog sich das scheue
Wild, verscheucht von dein neuen wunderbaren Geräusch.
Alles arbeitete sich anfangs in die Hände, die abgcholztcn
Strecken im Thalgrnnde verwandelten sich in Feld und Wiese,
uub die erstgewonnenen Bretter dienten zum Umbau der
Hütten und der Mühle selbst. Manche der Burschen, die
der Fremde gedungen, blieben bei ihm und bauten sich eine
eigene Hütte. Das Thal, dessen Grund sich in kurzer Zeit
in üppige Wiescnfläche verwandelt hatte, bot einigem Vichstand
genügende Nahrung und nicht lange währte es, da bahnte
der Fremde mit seinen Knechten am Ufer des Baches entlang
einen nothdürftigcn Fahrweg zum Städtchen unten, um die
Vorräthe von Brettern zu verwcrthen, welche die rastlose
Säge geschnitten hatte.
Jetzt kehrten die bis daher verausgabten Gulden ver-
doppelt und verdreifacht dem Sägemüller zurück. Drunten
in der Ebene war Tag für Tag ein emsiges Bauen, der
Häuser waren so unzählige zerstört, und erst jetzt, da der
Friede ein gesichert Besitzthum erhoffen ließ, ermannten sich
die Leute zum Ausbau neuer Hütten und Häuser. Da war
die Nachfrage nach Brettern groß, und die Mühle hatte voll-
auf zu schneiden. So wurde der Ignaz allgemach ein reicher
Mann, zumal da er seltsamer Weise wie ein rcichöunmittel-
barcr Herr, oder eigentlich noch freier als ein solcher, in
seinem Thale lebte und dessen Ausbeute benützte. Das war
auch nur möglich nach den vcrwirrungsvollcn Zeiten des
dreißigjährigen Krieges. Denn in jenen Tagen voll Gräuel
und Mord, da aller Besitz, da das Leben selbst ein ungewisses
wcrthloscs Gut geworden, vergaß man der Grenzen und
Marken, gar manches landesherrliche Geschlecht starb dahin,
und der Friede strich obendrein noch manch solches Geschlecht
aus den Reihen des unmittelbaren Besitzes.
(Fortsetzung folgt.)
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Pest niähte ihre Opfer in vollen Garben innerhalb der
Mauern nicht zahlreicher, als draußen auf dem Laude. Da ver-
schwand manches Dorf, da ward manches Geschlecht bis auf
den letzten Abkömmling vernichtet.
Und als endlich der lang verzögerte und lang hingehaltene
Friede erklärt war, als Ruhe und Sicherheit zurückzukehreu
anfing, wer hätte das schwer heimgesuchte Vaterland wieder
erkannt! Ein starkes, kräftiges, zahlreiches Volk hatte das ver-
hängnißvolle Jahrhundert anbrechen sehen, die Städte voll
Verkehr und Menschengewühl, in den fleißig bebauten Gauen zahl-
reiche Dörfer und Weiler, und nun nach dem Verlauf der ersten
Hälfte des Jahrhunderts lag das unglückselige Deutschland da
ein ödes, ausgebranntes, verwüstetes und menschenleeres Land.
Auch in jenen Thälern des Schwarzwaides mochte früher
hie und da manch' freundliches Dörfchen gestanden haben,
aber Niemand kannte seine Stätte mehr. Waren auch die
gewaltigen Heereszüge jenen einsameren Dörfern in den Bergen
ferne geblieben, die zuchtlosen Haufen jener Marodcbrüdcr
hatten auch die entlegensten Winkel zu finden gewußt. Da
brach die wilde Horde nach Raub, Brand und Mord begierig
hinab in das stille friedliche Thal, da fielen sie mit grimmiger
Wuth über die Hütten her, da ächzten und schrieen Männer
und Weiber unter entsetzlichen Folterqualen, da wurden die
Kinder hingeschlachtet, und wenn die scheußliche Bande abzog,
schlugen die Flammen aus den Dächern empor, und die
nackten Lcichnaine der Gemordeten verbrannten in der Gluth,
die ihre Hütten verzehrte. Wo am Morgen ein fröhliches
Leben geherrscht, schaute der Abend auf verödete rauchende
Trümmer und verkohlte Gebeine. Und Tag an Tag verging
und der Regen fiel herab und wusch langsam die verkohlten
Wände hernieder, und der Winter kam und legte seine Schnee-
decke über den nun öden Platz. Und wieder kam der Früh-
i fing, und der Wind trug allerlei Samen herbei und streute
j ihn aus über die öde Brandstätte und zwischen und über den
Trümmern grünte ein neues Leben auf. Birkensträucher und
Tannenschößliuge drängten sich empor zwischen den geborstenen
Mauern, und die immer weiter greifenden Wurzeln drängten
den letzten Mörtel von einander, und nach fünf, sechs Jahren
war ein frischer Wald, wo früher ein Dorf gestanden, und
längst war Niemand mehr übrig, der seinen Namen wußte
und seine Stätte kannte Niemand.
Als nun der Friede geschlossen und die fremden Krieger
abgezogen waren, da gab es viel hcimathloses Volk, ausge-
wachsen unter Blut und Verwüstung, aber auch viel herrenlos
Land, dessen vorige Besitzer erlegen waren dem Uebcrmaaß
des Elendes und des Jammers.
Um jene Zeit war der Mann, dessen wir oben gedachten,
hier in das Thal gekommen. Er nannte sich Ignaz Sar-
torius. Gott weiß, wie er zu dem gelehrten Namen kam,
ebenso unbekannt blieb es, was er bis daher getrieben, und
wo und wie er herangewachsen war zu mächtiger Stärke und
Größe; ob seine Hände rein waren von Blut und Brand
und Raub, ob er den Seckcl voll Kaisergulden,' den er bei
sich trug, redlich erworben, wer mochte eö wissen? Wo war
der Zigeunerin. 3
damals eine Hand rein von Schuld und Blut? Die Schwachen,
. die Redlichen gingen unter in jener furchtbaren Zeit, und nur
der erhielt sich allenfalls über den Wogen, der selbst zuzu-
greifen verstand, und vor böser gewaltsamer That nicht ängst-
lich zurückschrcckte.
Der Alte wußte seinen Schatz — mochte er ihn auch Gott
weiß wie zusammengcbracht haben — wenigstens zu brauchen.
Es war schon damals wie heut, mit Geld zwar nicht Alles,
aber doch recht Viel ;u erreichen. Heimathlose unbeschäftigte
Burschen ließen sich gerne dingen von dem fremden finstern
Mann. Rastlos schallten durch die Stille des einsamen
Thalcs die Schläge der Art, das Knirschen der Säge, das
Krachen und Brechen stürzender Bäume, Hütten wuchsen empor
und unter des Fremden Aufsicht und Leitrmg baute sich die
Mühle ans. Das freie lustige Bächlein, gezwungen sein
steiniges Bett zu verlaßen, schoß, wie erzürnt, eine kurze
Strecke in hölzerner Röhrfahrt hin und stürzte sich dann,
lechzend nach der vorigen Freiheit, über die Schaufeln des
Rades hinab, um im alten Bette fröhlich weiter zu rauschen.
Seitdem erklang Tag und Nacht daö Thal entlang das
Klappern der Mühle, das scharfe Knirschen der Säge, und
tiefer in das Dunkel unendlicher Wälder zog sich das scheue
Wild, verscheucht von dein neuen wunderbaren Geräusch.
Alles arbeitete sich anfangs in die Hände, die abgcholztcn
Strecken im Thalgrnnde verwandelten sich in Feld und Wiese,
uub die erstgewonnenen Bretter dienten zum Umbau der
Hütten und der Mühle selbst. Manche der Burschen, die
der Fremde gedungen, blieben bei ihm und bauten sich eine
eigene Hütte. Das Thal, dessen Grund sich in kurzer Zeit
in üppige Wiescnfläche verwandelt hatte, bot einigem Vichstand
genügende Nahrung und nicht lange währte es, da bahnte
der Fremde mit seinen Knechten am Ufer des Baches entlang
einen nothdürftigcn Fahrweg zum Städtchen unten, um die
Vorräthe von Brettern zu verwcrthen, welche die rastlose
Säge geschnitten hatte.
Jetzt kehrten die bis daher verausgabten Gulden ver-
doppelt und verdreifacht dem Sägemüller zurück. Drunten
in der Ebene war Tag für Tag ein emsiges Bauen, der
Häuser waren so unzählige zerstört, und erst jetzt, da der
Friede ein gesichert Besitzthum erhoffen ließ, ermannten sich
die Leute zum Ausbau neuer Hütten und Häuser. Da war
die Nachfrage nach Brettern groß, und die Mühle hatte voll-
auf zu schneiden. So wurde der Ignaz allgemach ein reicher
Mann, zumal da er seltsamer Weise wie ein rcichöunmittel-
barcr Herr, oder eigentlich noch freier als ein solcher, in
seinem Thale lebte und dessen Ausbeute benützte. Das war
auch nur möglich nach den vcrwirrungsvollcn Zeiten des
dreißigjährigen Krieges. Denn in jenen Tagen voll Gräuel
und Mord, da aller Besitz, da das Leben selbst ein ungewisses
wcrthloscs Gut geworden, vergaß man der Grenzen und
Marken, gar manches landesherrliche Geschlecht starb dahin,
und der Friede strich obendrein noch manch solches Geschlecht
aus den Reihen des unmittelbaren Besitzes.
(Fortsetzung folgt.)
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