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11

Die Weissagung

schaute sie emsiger in die kleine Hand und schüttelte heftig
den Kopf und schaute wieder hin, und dann stieß sie in
heftiger Aufregung des Kindes Hand hinweg und wendete
sich ab, und ob sich schon noch manche Hand ihr entgegen-
streckte mit dem Zuruf: „Mir auch Alte, mir auch!" wollte
sie doch nichts mehr Horen. Selbst taub für den Nus des
Müllers: „Heda Alte, hier ist dein Lohn!" eilte sie schnellen
Schrittes über die Wiesen hin, um bald in dem dunklen
Walde zu verschwinden. Die Prophezeiungen der Alten und
ihr plötzliches sonderbares Entfernen beschäftigten noch lange
die Gesellschaft vor des Müllers Hause, bis der Abendimbiß
die sämmtlichen Gäste wieder in der Hütte versammelte.

Tiefer in den Bergen, mitten im dichten Walde eines
engen Thales leuchten die Flammen des Zigeunerlagers. Die
Sonne ist längst hinab und der flackernde Schein des Lager-
feuers erhellt ein abenteuerlich Bild. Braune buntgekleidete
Gestalten kauern um das Feuer herum, dort tanzt nach den
Klängen des Cymbals und des Triangels ein Mädchen; am
Feuer bereitet ein junger Bursch mit schwarzem krausem Haar-
Stücke eines erlegten Rehes. Ein Summen, Plaudern und
Singen geht durch die seltsame Menge hin, drüben am Stamme
einiger mächtiger Bäume schlafen die Kinder auf wollenen
Decken. Da tritt die uns schon bekannte Alte aus dem
Dunkel des Waldeö in den Lichtkreis des Feuers. Ein
fröhlicher Zuruf begrüßt die Mutter, die auf einem Steine
schweigend Platz nimmt. „Nun Mutter", fragt der Haupt-
maun der Bande, „hast was geschafft?" aber die Alte schweigt,
starr und theilnahmlos schaut sie in die Flamme des Feuers.
„Mutter, was ist dir?" fragt der Hauptmann dringender,
aber immer noch verharrt die Alte in stummem Hinbrüteu.
Bald wird Alles aufmerksam auf das seltsame Wesen der
Alten, das Summen und Singen und Plaudern verstummt,
und Alle horchen nach der Mutter hin.

Endlich, nachdem Mehrere vergeblich die Mutter mit
Fragen bestürmt — sie hatte nur ein abwehrendes Kopf-
schütteln als Antwort — endlich erhebt die Alte ihr tief
durchfurchtes Antlitz und sagt mit klangloser Stimme: „Aus
ist's mit mir! meine Stunde ist da, die Mutter muß hinweg!"

„Bist krank? Fühlst ein Gebrest? Wo fehlt dirs denn?"
fragten erschrocken von allen Seiten die Zigeuner. Aber die
Alte schüttelte das Haupt. „Nichts fehlt mir, aber meine
Zeit ist um!" sagte sie dumpf. — „Ei, weshalb denn, wenn
du nicht krank bisst Mutter? Bist ja noch rüstig und stark!"

_ „Meine Zeit ist da!" wiederholte die Alte. „Der Geist hat

mich" verlassen, ich weiß nichts mehr! Er zeigt mir thörichte,
thörichte Dinge! bald geht der Athem weg, die Mutter muß fort!"

Was ist's denn? Was hast du denn? wie hat denn
der Geist dich verlassen?" drängten die Besorgten. — „Der
Geist hat mich verlassen!" wiederholte die Alte in wilder
Heftigkeit, „ich habe Dinge gesehen, die Thorheit sind, die
Linien der Hand sind mir verschlossen, es ist aus mit der
Mutter, die Romeitschel mögen sich eine andere Mutter
küren!" — „Aber Mutter, waö ist denn geschehen?" so sprich

der Zigeunerin.

doch, so erzähle doch?" mahnten die Bekümmerten von allen
Seiten, und endlich rief die Alte in grollender Heftigkeit, denn
'nur unwillig mochte sie erzählen, was ihr alö eine Schmach
und als üble Vorbedeutung erschien: „Ich habe geschaut in
die Hände eines Kindes, ich habe gesehen, daß es glückliche
Hände sind, was sie bilden, sollen nach Jahrhunderten noch
fleißige Hände nachahmen und weise Männer werden eS er-
klären, und doch kann das Kind höchstens 8 Jahr alt wer-
den, seine Lcbenölinie ist kurz, ganz kurz. Wie soll aber ein
achtjährig Kind Dinge bilden, die nach Jahrhunderten noch
Andere nachahmen und erklären? Der Geist hat mich ver-
lassen, er hat mir Thörichtes gezeigt! Meine Zeit ist um!"
Wie auch immer die bekümmerten Angehörigen die Mutter
zu trösten suchten, eS war umsonst, sie wies mit heftiger !
Handbewegung jegliches Wort des Trostes zurück. Bestürzt !
schwiegen die Tröster, eine bekümmerte kleinlaute Stimmung
legte sich über die ganze Horde, der Cymbalklang begann
nicht wieder, flüsternd nur raunten sich Einzelne hie und da
etwas zu. Bald legte sich Eines nach dem ■ Andern ^ttui
Schlafe nieder, und kurz darauf hatte ein tiefer Schlummer
Alle umfangen. Nur die Alte saß regungslos, die Ellbogen
auf die Knice gestützt und das durchfurchte Angesicht auf die
Fäuste gestemmt, und schaute starr und unbeweglich, unver-
wandt in die letzten Flammen des verlöschenden Lagerfeuers.
Oben am klaren Nachthimmel glänzten die Sterne, langsam
verlosch die letzte Gluth des Feuers, aber stumm und über
ihr nahes Geschick brütend wachte einsam und sorgenvoll in
schweigender Nacht die alte Zigeunermutter.

Ein Jahr ist hingegangcn. Im Wirthshause zum
Hirschen finden wir den David Sartorius in der übelsten
Laune, vergeblich bemüht, seinen bitteren Aergcr durch einen
Humpen Wein hinabzuschwemmen. Ein Mißgeschick ganz
eigener Art hatte sich über ihm und den sämmtlichen Thal-
bewohnern zusammengezogen, ohne daß irgend Einer von
ihnen davon eine Ahnung hatte, bis die drohende Wolke sich
mit einemnral entlud.

Es herrschte zu jener Zeit an den Höfen der „Herrn
von Gottes Gnaden", die in nicht geringer Menge theilS
größere, theilS gar kleine Stückchen des deutschen Vaterlandes
als ihren Besitz und ihr Eigenthum betrachteten, elu gar
lustiges Leben. Ein Fest verdrängte das andere, und der
Regierenden höchster Stolz war es, eine fremde wälsche oder-
französische Sängerin erobert zu haben; diese edlen Damen
aber brauchten viel, Schlösser mußten ihnen gebaut, Gärten
angelegt, Seen gegraben werden, das Dunkel der Abende
ward von prächtigen Feuerwerken, von strahlenden - Illumina-
tionen erhellt, die französischen Edelleute, die es sich gefallen
ließen im barbarischen Deutschland an Fürstenhöfen und Hös-
chen zn verweilen, mußten warm gehalten werden, damit sie
nur blieben. Das in unterthänigem Gehorsam ersterbende
Volk und Land that zwar viel, um alle die dadurch ent-
stehenden Kosten aufzubringen, aber unverantwortlicher Weise
nicht mehr, als nur irgend möglich war.


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