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Uebcr den Werth des Schuldenmachcns.

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größer als das meinige, das Schuldenmachen in Regeln ge-
faßt und zu einer festen Wissenschaft erhoben hat, die auf
Academien und in Militärschulen mit Erfolg gelehrt und
nach sichern Principien weiter entwickelt werden könnte.
Die praktischen Hebungen dürften dabei freilich nicht fehlen.
Vielleicht gebe ich durch meine schwachen Bemühungen, ich
meine, durch diese Veröffentlichung einiger meiner Gedanken,
den Anstoß dazu. Sollte dies jedoch auch nicht der Fall
sein, nun, so trage ich doch vielleicht dazu bei, daß ein vielfach
verkannter und herabgewürdigter Berns allmälig in einen
ehrenhaftern Credit komme, und bringe Manchem von den-
jenigen, die, wie ich in diesem Augenblicke, als Märtyrer für
die Ausübung ihrer Kunst leiden, vielleicht Trost und Erheb-
ung. Verzeihen möge man mir, wenn ich in Styl und
logischer Anordnung der Gedanken so manches zu wünschen
übrig lasse und mein Thema nicht erschöpfe. Meine Feder
ist der Größe des Gegenstandes nicht gewachsen, und ich
kann viel leichter Schulden machen, als darüber schreiben.

Was hat man unsrer Beschäftigung, und damit zugleich
auch uns, nicht Alles nachgesagt! Wie oft hat man uns
nicht auf das unchristlichste verwünscht und verflucht! Da
schreit der Eine: „Das Schuldenmachen ist etwas ganz Un-
nöthiges und Ueberflüssiges, und es wäre besser, wenn es gar
nicht eristirte." Der Andere erklärt es für höchst schädlich,
unklug und leichtsinnig, ein Dritter gar für böswillig und
unmoralisch, und ein Vierter wagt es zu sagen: „Der Hebel
allergrößtes ist die Schuld!" — Ihr Thoren, wie schwach
ist Eure Logik und wie unphilosophisch Euer Räsonnement!
Ich werde das Schuldenmachen nach Sein, Möglichkeit
und Rothwendigkeit, nach Dürfen, Müssen und
Sollen und wie diese Categorien sonst noch heißen mögen,
in das klarste Licht sehen und seinen subjectiven und ob-
jeetiven, seinen absoluten und relativen Werth auf
das eelatanteste beweisen.

Ich gehe von dem Satze aus, daß Alles was ist, auch
nothwendig sein und im Zusammenhänge der Dinge seinen
nothwendigen Werth haben müsse. Run ist aber unläugbar
das Schuldenmachen (und war von jeher und wird immer
sein); sogleich muß es auch nothwendig sein Gutes haben;
ja, aus der ganz unermeßlichen Häufigkeit und Allgemeinheit,
worin man es wenigstens bei allen eultivirten Völkern der
Erde antrifft, vermuthe ich, daß es zur Erfüllung des ge-
heimnißvollen Zweckes der Menschheit und sogar der ganzen
Welt ganz unentbehrlich ist. Zwar könnte man sagen, es
handle sich hier gar nicht um diese speculative oder metaphy-
sische Rothwendigkeit, die ja am Ende für jeden Kehricht-
haufen gelte, der irgendwo auf der Straße liegen bleibt,
sondern um die praktische, d. h. cs sei die Frage, ob man
müsse Schulden machen wollen. — Run, bei Gott, wenn
ich Austern essen und den nöthigen Wein dazu trinken will,
und habe eben kein Geld, so m n ß ich ja wohl auch Schulden
machen wollen, wenn ich die Austern und den Wein nicht
stehlen soll! Ihr weicht aber dem vielleicht wieder auö, indem
Fhr sagt: „Das ist nur eine hypothetische Rothwendigkeit,

aber keine absolute; es braucht ja Niemand Austern zu
essen u. s. w., der eben kein Geld hat." — Du lieber
Himmel, das ist auch gar zu viel verlangt; man muß von
dem Menschen auch nicht das Unmögliche fordern. Uebrigens
ist es für mich ein bloßes Kinderspiel, auch die absolute
Rothwendigkeit zu beweisen. Habt Ihr nicht von jenem Menschen
gehört, der, als er gefragt wurde, warum er einen Meineid ge- !
schworen, ganz unbefangen wieder frug: „Wozu sind denn die
Meineide da, wenn sie nicht geschworen werden sollen?" Und ich, !
ich frage Euch: „Wozu sind denn die Schulden da, wenn sie
nicht gemacht werden sollen?" — Ihr werdet mir ferner
zugebeu, daß dem Menschen nicht nur die Fähigkeit, sondern
auch das Recht angeboren ist, Schulden zu machen, daß also
das Schuldenmachen ein Naturrecht ist, so gut wie das
Recht Luft zu schöpfen, zu essen und zu trinken, wenn ge- j
rabe Luft oder etwas zum Essen und Trinken vorhanden ist; !
Ihr werdet mir ferner zugeben, daß der Mensch auch von !
seinem ersten Blick in die Welt an, und wohl noch etwas
früher, von dieser Fähigkeit und diesem angebornen Rechte
den ausgedehntesten Gebrauch macht, indem er der Gottheit j
und der Natur unendlich Vieles schuldig wird, was er niemals !
wieder abträgt; warum sollte er nun nicht auch bei seinen
Nebenmenschen Schulden machen dürfen, die er vielleicht eben
so wenig wieder bezahlt? Aber mit einem bloßen Rechte ist's
nicht gethan; es muß und soll auch ausgeübt werden.
Wie jener Ring in dem bekannten Märchen seine Kraft ver- !
liert, wenn er nicht immer gedreht wird, so schläft am Ende
jedes Recht ganz ein, geräth in Vergessenheit und wir begeben
uns seiner, wenn wir es nicht üben. Dies ist namentlich
bei dem köstlichen Rechte des Schuldenmachens der Fall, das
uns zuletzt durch Verjährung ganz verloren gehen würde,
wenn wir nicht auch hier" den Ring immer drehten. Ihr
seht also, das Schuldeumachen ist etwas so Natürliches und
zur menschlichen Organisation Gehöriges, als etwa Athem-
holen, Denken, Dichten, Lieben n. dgl., und also eine Sache,
die, schon abgesehen von allem Nutzen, den sie bringen mag,
ihren Werth in sich selber trägt und darum auch geübt und
entwickelt werden muß. Ein ächter und rechtschaffner Schulden-
macher, behaupte ich, ist eine der größten Zierden der mensch-
lichen Gesellschaft.

Wen verstehe ich aber unter ächten und rechten Schulden-
machern? — Nicht jene kleinmüthigen verzagten Seelen, die
nur in der höchsten Roth ein Anleihen wagen, dem Gläubiger
ihre Lage mit nackter und nüchterner prosaischer Wahrheit
schildern, sich zu den möglichst sichern Hypotheken erbieten,
die Schuldverschreibungen auf das Gewissenhafteste abfassen,
mit lächerlicher Unruhe Tag und Nacht darüber nachsinnen,
ob und wie sie an dem bestimmten Tage und zur bestimmten
Stunde werden bezahlen können, die da roth werden bis über
die Ohren und verlegen Entschuldigungen stottern, wenn sie
dem noch unbezahlten Gläubiger begegnen, und in bestän-
diger feiger Angst vor Gerichtsdienern, Citationen, Erecu-
tionen und Schnldthürmen leben.

(Fortsetzung folgt.)
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