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Der geleimte Tod.
Herr Mehr fühlte ihn wirklich an und fand in der
That nichts weiter als ein vollständiges Gerippe unter dem
Mantel; oben im Wagen, in dem Netze, wo andere Reisende
den Regenschirm und dergleichen Dinge aufbewahren, hatte
der Tod seine Sense und Sanduhr. Es war Alles in
Nichtigkeit.
„Und Sie haben Geschäfte in der Gegend?"
„Ja. Morgen Abend will ich auch den Apotheker im
Städtchen holen, wohin wir jetzt fahren."
„Was Teufel! den Vater meiner Geliebten?"
„Thut mir leid, wenn er das ist; aber die Aerzte haben
ihn aufgegeben."
„O, wenn ihn die Aerzte anfgegeben haben, dann ist
wieder Hoffnung!"
„Nein, nein," sagte der Tod. „Ich Hab' ihn auf meiner
Liste und morgen Abend kommt er an die Reihe."
„Hören Sic, Herr Tod, ich will Ihnen einen verstän-
digen Vorschlag machen. Lassen Sie den Apotheker noch
und nehmen Sie dafür meine Tante, denn die will mir nichts
geben, so lange sie lebt, ich bin aber ihr einziger Erbe."
„Ich muß die Reihenfolge meiner Liste streng beobachten,"
sagte der Tod achselzuckend. „Ihre Tante darf ich erst in
fünfundzwanzig Jahren nehmen."
„O du gerechter Himmel!" seufzte Herr Mehr.
Das Gespräch mußte hier abgebrochen werden, denn
der Wagen war am Ziele angclangt, die Reisenden stiegen
aus und trennten sich mit dem beiderseitigen Wunsche, „das
Vergnügen bald wieder zu haben."
Herr Mehr eilte sogleich nach dem Hause des Apothekers
und es fügte sich so glücklich, daß ihm Fräulein Aennchen
selber die Saalthür öffnete. Er gab ihr in der Geschwindig-
keit blos zwei Küsse und sagte dann: „Hör', Aennchen, wir
haben keine Zeit zu verlieren. Ein zuverlässiger Geschäftsfreund
hat mir mitgetheilt, daß Dein Vater wahrscheinlich nur bis
morgen Abend leben wird und deshalb will ich versuchen,
ob ich ihn nicht noch vor seinem Ende gut machen und seine
Einwilligung zu unserer Hcirath erlangen kann. Führe mich
gleich an's Krankenlager."
Weinend gehorchte Aennchen und führte den Geliebten
bei dem Vater ein. Den Apotheker hatte die Krankheit schon
so mürbe gemacht, daß er nicht einmal mehr die Kraft zum
Schelten hatte. Gelassen hörte er Alles an, was der durch-
gefallene Student sagte; dann ließ er sich seine Schnupftabaks-
dose reichen, nahm eine Prise und sprach in feierlichem Tone:
„Junger Mann, ich will Dir drei Bedingungen stellen;
wenn Du die erfüllst, sollst Du mein Schwiegersohn werden.
Erstens mußt Du dafür sorgen, daß ich binnen hier und
spätestens vicrundzwanzig Stunden gesund wie ein Fisch
werde. Zweitens mußt Du Dich. entschließen, Apotheker zu
werden, um sobald als möglich das Geschäft fortzuführen,
damit ich mich zur Ruhe setzen kann. Drittens mußt Du
Dich binnen hier und drei Tagen ' gründlich mit Deiner
reichen Tante versöhnen."
„Die erste und die dritte Bedingung sind etwas schwierig,"
sagte Herr Mehr; „doch hoff ich die Schwierigkeiten zu
überwinden. Die zweite Bedingung kann ich auf der Stelle
erfüllen, denn ich habe ohnedies schon daran gedacht, Apotheker
zu werden. Die Vorkenntnisse Hab' ich ja alle, und da der
Hanptzwcig Ihres Geschäfts die Spirituosenfabrikation und
namentlich der schwunghafte Handel mit Punschessenz ist —
ei, in alles das werd' ich mich schnell hineinarbeiten."
„Topp, es gilt!" sagte der Alte, der übrigens der Ruhe
bedurfte, und jetzt allein zu sein wünschte. Aennchen und
Herr Mehr entfernten sich gehorsam, denn beide fühlten das
dringende Bedürfniß eines Gesprächs unter vier Angen.
Noch am nämlichen Abend machte Herr Mehr pflicht-
getreu einen Anfang, sich in das Geschäft cinzuweihcn, denn
er prüfte den Inhalt einer Punschessenzflasche vom Lager seines
künftigen Schwiegervaters. Uebrigens ließ er sich eine Stube
im Erdgeschoß, wo sich die Offizin befand, anweisen und da
nahm er sein Quartier.
Am andern Morgen schrieb er der Tante ein sehr höfliches
Briefchen, bekam es aber ungeöffnet zurück, denn sie kannte
seine Handschrift. Ans einen Hieb fällt kein Baum, dachte
er und entschloß sich, den kommenden Abend in seiner Stube
zuzubringen, indem er Auftrag gab, wenn ein Fremder, der
ungefähr so und so aussehe und sich Herr Tod nenne, nach
dem Apotheker fragen werde, diesen Fremden zuerst bei ihm
selber, bei Herrn Mehr, einzuführen.
Aennchen hatte ihn soeben mit ganz rothgeweinten Augen
verlassen, denn mit dem Alten stand es sehr schlimm. So
saß denn Herr Mehr nun allein in seiner Stube. Da
pochte Jemand an der Thür und auf sein „Herein!" erschien
sein Bekannter vom Dampfwagen, der Tod.
„Sein Sie mir schönstens willkommen, Herr Tod! Sie
bleiben also bei Ihrem Entschlüsse?"
„Ich muß, freilich! aber es hat noch einige Stündchen
Zeit."
„Das ist ja recht erfreulich! Lasten Sic sich nieder und
wärmen Sie sich hier ein wenig. Es ist entsetzlich kalt draußen
und Sie müssen ganz erfroren sein."
Der Tod ließ sich nicht lange bitten, stellte die Sand-
uhr auf den Tisch, lehnte die Sense in eine Ecke und rieb
sich die erstarrten Hände.
„Der verwünschte Rheumatismus macht mir seit einiger
Zeit recht zu schaffen," sagte er, während er sich klappernd
niedersetzte.
„Haben Sie nie die Kaltwasterkur versucht?"
Der Tod zuckte verächtlich die Achseln.
„Wie wär's, wenn Sie künftigen Sommer Fichten-
nadelbäder" —
„Mir hilft kein Modcmittel," erwiderte der Tod.
„Doch sollt' ich meinen, die Aepfelweinkur" —
Der Tod schüttelte sich mit einer Grimasse.
„Sic erlauben wohl, Herr Tod, daß ich Ihnen ein
Glas warmen Punsch vorsehe? Fabrikat unseres Hauses!"
Der Tod antwortete nur durch eine Verbeugung und
ein behagliches Schmunzeln.
Der geleimte Tod.
Herr Mehr fühlte ihn wirklich an und fand in der
That nichts weiter als ein vollständiges Gerippe unter dem
Mantel; oben im Wagen, in dem Netze, wo andere Reisende
den Regenschirm und dergleichen Dinge aufbewahren, hatte
der Tod seine Sense und Sanduhr. Es war Alles in
Nichtigkeit.
„Und Sie haben Geschäfte in der Gegend?"
„Ja. Morgen Abend will ich auch den Apotheker im
Städtchen holen, wohin wir jetzt fahren."
„Was Teufel! den Vater meiner Geliebten?"
„Thut mir leid, wenn er das ist; aber die Aerzte haben
ihn aufgegeben."
„O, wenn ihn die Aerzte anfgegeben haben, dann ist
wieder Hoffnung!"
„Nein, nein," sagte der Tod. „Ich Hab' ihn auf meiner
Liste und morgen Abend kommt er an die Reihe."
„Hören Sic, Herr Tod, ich will Ihnen einen verstän-
digen Vorschlag machen. Lassen Sie den Apotheker noch
und nehmen Sie dafür meine Tante, denn die will mir nichts
geben, so lange sie lebt, ich bin aber ihr einziger Erbe."
„Ich muß die Reihenfolge meiner Liste streng beobachten,"
sagte der Tod achselzuckend. „Ihre Tante darf ich erst in
fünfundzwanzig Jahren nehmen."
„O du gerechter Himmel!" seufzte Herr Mehr.
Das Gespräch mußte hier abgebrochen werden, denn
der Wagen war am Ziele angclangt, die Reisenden stiegen
aus und trennten sich mit dem beiderseitigen Wunsche, „das
Vergnügen bald wieder zu haben."
Herr Mehr eilte sogleich nach dem Hause des Apothekers
und es fügte sich so glücklich, daß ihm Fräulein Aennchen
selber die Saalthür öffnete. Er gab ihr in der Geschwindig-
keit blos zwei Küsse und sagte dann: „Hör', Aennchen, wir
haben keine Zeit zu verlieren. Ein zuverlässiger Geschäftsfreund
hat mir mitgetheilt, daß Dein Vater wahrscheinlich nur bis
morgen Abend leben wird und deshalb will ich versuchen,
ob ich ihn nicht noch vor seinem Ende gut machen und seine
Einwilligung zu unserer Hcirath erlangen kann. Führe mich
gleich an's Krankenlager."
Weinend gehorchte Aennchen und führte den Geliebten
bei dem Vater ein. Den Apotheker hatte die Krankheit schon
so mürbe gemacht, daß er nicht einmal mehr die Kraft zum
Schelten hatte. Gelassen hörte er Alles an, was der durch-
gefallene Student sagte; dann ließ er sich seine Schnupftabaks-
dose reichen, nahm eine Prise und sprach in feierlichem Tone:
„Junger Mann, ich will Dir drei Bedingungen stellen;
wenn Du die erfüllst, sollst Du mein Schwiegersohn werden.
Erstens mußt Du dafür sorgen, daß ich binnen hier und
spätestens vicrundzwanzig Stunden gesund wie ein Fisch
werde. Zweitens mußt Du Dich. entschließen, Apotheker zu
werden, um sobald als möglich das Geschäft fortzuführen,
damit ich mich zur Ruhe setzen kann. Drittens mußt Du
Dich binnen hier und drei Tagen ' gründlich mit Deiner
reichen Tante versöhnen."
„Die erste und die dritte Bedingung sind etwas schwierig,"
sagte Herr Mehr; „doch hoff ich die Schwierigkeiten zu
überwinden. Die zweite Bedingung kann ich auf der Stelle
erfüllen, denn ich habe ohnedies schon daran gedacht, Apotheker
zu werden. Die Vorkenntnisse Hab' ich ja alle, und da der
Hanptzwcig Ihres Geschäfts die Spirituosenfabrikation und
namentlich der schwunghafte Handel mit Punschessenz ist —
ei, in alles das werd' ich mich schnell hineinarbeiten."
„Topp, es gilt!" sagte der Alte, der übrigens der Ruhe
bedurfte, und jetzt allein zu sein wünschte. Aennchen und
Herr Mehr entfernten sich gehorsam, denn beide fühlten das
dringende Bedürfniß eines Gesprächs unter vier Angen.
Noch am nämlichen Abend machte Herr Mehr pflicht-
getreu einen Anfang, sich in das Geschäft cinzuweihcn, denn
er prüfte den Inhalt einer Punschessenzflasche vom Lager seines
künftigen Schwiegervaters. Uebrigens ließ er sich eine Stube
im Erdgeschoß, wo sich die Offizin befand, anweisen und da
nahm er sein Quartier.
Am andern Morgen schrieb er der Tante ein sehr höfliches
Briefchen, bekam es aber ungeöffnet zurück, denn sie kannte
seine Handschrift. Ans einen Hieb fällt kein Baum, dachte
er und entschloß sich, den kommenden Abend in seiner Stube
zuzubringen, indem er Auftrag gab, wenn ein Fremder, der
ungefähr so und so aussehe und sich Herr Tod nenne, nach
dem Apotheker fragen werde, diesen Fremden zuerst bei ihm
selber, bei Herrn Mehr, einzuführen.
Aennchen hatte ihn soeben mit ganz rothgeweinten Augen
verlassen, denn mit dem Alten stand es sehr schlimm. So
saß denn Herr Mehr nun allein in seiner Stube. Da
pochte Jemand an der Thür und auf sein „Herein!" erschien
sein Bekannter vom Dampfwagen, der Tod.
„Sein Sie mir schönstens willkommen, Herr Tod! Sie
bleiben also bei Ihrem Entschlüsse?"
„Ich muß, freilich! aber es hat noch einige Stündchen
Zeit."
„Das ist ja recht erfreulich! Lasten Sic sich nieder und
wärmen Sie sich hier ein wenig. Es ist entsetzlich kalt draußen
und Sie müssen ganz erfroren sein."
Der Tod ließ sich nicht lange bitten, stellte die Sand-
uhr auf den Tisch, lehnte die Sense in eine Ecke und rieb
sich die erstarrten Hände.
„Der verwünschte Rheumatismus macht mir seit einiger
Zeit recht zu schaffen," sagte er, während er sich klappernd
niedersetzte.
„Haben Sie nie die Kaltwasterkur versucht?"
Der Tod zuckte verächtlich die Achseln.
„Wie wär's, wenn Sie künftigen Sommer Fichten-
nadelbäder" —
„Mir hilft kein Modcmittel," erwiderte der Tod.
„Doch sollt' ich meinen, die Aepfelweinkur" —
Der Tod schüttelte sich mit einer Grimasse.
„Sic erlauben wohl, Herr Tod, daß ich Ihnen ein
Glas warmen Punsch vorsehe? Fabrikat unseres Hauses!"
Der Tod antwortete nur durch eine Verbeugung und
ein behagliches Schmunzeln.