^02 Ostcrabcnd ist so
Es war am Abend vor dem heiligen Osterfeste; feier-
lich hallten die Klänge der Glocken vom Kirchthurme zu
j Elmrode, die das morgige Fest einläuteten. Die Dorfbevölke-
rung hatte indessen keine Zeit, um darauf zu achten; die
festliche Stimmung findet sich morgen erst, wenn es zum
Gottesdienste läutet und Groß und Klein im Festtagsstaate
zur Kirche wandert. Heute ist Jedermann darüber, zu
fegen, zu weißen, zu scheuern, zu putzen und — daö Wich-
tigste beim Feste — Kuchen zu backen. Das ganze Dorf,
vom Pfarrer, der die Osterpredigt concipirt, um sic morgen
wie immer abzulesen, bis zum Nachtwächter, der mit der
Dorfjugend auf der nächsten Anhöhe Dornen zum Osterfeuer
j aufschichtct: Alle sind mit Vorbereitungen zum Feste be-
I schäftigt. Nur der alte Unterförster Löwefinke hat nichts
i damit zn schaffen. Was macht sich der alte Hagestolz aus
Sauberkeit? Weshalb soll sein Zimmer gescheuert werden,
; daö er mit seinen Hunden in der nächsten Viertelstunde doch
wieder cntsäubcrt haben würde? Wozu nützen ihm blanke
I Fensterscheiben? In der Dunkelheit kann man doch nicht hin-
durchsehen und zu Hause ist er nur vom Abend bis zum
I Tagesanbruch und auch dann nicht immer, wie es die Holz-
i und Wilddiebe der Umgegend oft genug zu ihrem Schaden
erfahren haben. Im Dunkeln bemerkt man die weißen Wände,
die hellen Fenster, die reinen Dielen doch nicht. Wozu also
die Reinlichkeit? Ihm schmecken Tabak und Branntwein
überall, mag cs reinlich oder schmutzig um ihn sein, und' für
den letzteren hat er überdem noch eine gewisse Standesvor-
liebe. Nach- seiner und vieler alter Jäger Meinung wird ein
guter Jäger am Geruch nach Branntwein, Tabak und Hun-
den erkannt.
gut wie Ostcrmorgcn.
Heute aber scheint ihn, wenn auch nicht die Thätigkeit,
doch die allgemeine Unruhe der Dorfbevölkerung angesteckt zu
haben. Den dampfenden Pfcifenstummel im bartumwucherten
Munde geht er im engen Zimmer auf und nieder und steckt
ungeduldig von 5 zu 5 Minuten seinen buschigen Kopf aus
dem Fenster. „Wo er nur bleibt? Könnte längst hier sein!
— Ist die höchste Zeit, sie anzumengen " So lauten seine
kurzen, mit schweren Flüchen gewürzten Selbstgespräche, zwischen
welchen ungeheure Dampfwolken dem Munde entsteigen. Seine
Aufregung überträgt sich auf seine Stubengcnosscn, den strup-
pigen Schweißhund, den schwarzen gelbläufigen Teckel, die
muntere Amsel und die beiden im Käfig auf und nicder-
hüpfenden geblendeten Finken. Unterförstcr Löwcfinke mit den
Seinen befindet sich in der unbehaglichen, aufgeregten Stim-
mung, welche daö Zögern eines bestimmt Erwarteten hcrvvr-
zurufen pflegt. Der Ersehnte ist der College und Herzens-
freund Löwefinkcs, Unterförstcr Kohlstrunk, und hat ihm noch
vorgestern seinen Besuch aus heute — spätestens in der „Eulen-
flucht" (Abenddämmerung) war die Abrede — fest zugesagt.
Sic haben eine Fcstfeier für den Morgen des ersten Ostcr-
tags verabredet, eine jetzt nicht sehr gebräuchliche mehr, da-
mals aber — denn vierzig Jahre sind seitdem verstrichen —
wurde auf dem Lande in der Frühe der Oster- und Wcih-
nachtöfesttagc allgemein die treffliche „Branntweinkaltschale"
als Festtrunk genossen. Am Abend zuvor wurde sie angc-
mengt, das heißt eine Quantität Honigkuchen in Branntwein '
erweicht und je nach dem Vermögen der Trinker mit mehr
oder weniger Wasser verdünnt. Kohlstrunk nun hatte die
Lieferung des Honigkuchens übernommen, während sich Löwe-
finkc zeitig in den Besitz von einer genügenden Menge guten
Branntweins (echter Nordhäuser von Räude in Schöppen-
stedt) gesetzt hatte. Die zehn Maß haltende Flasche aus
Steingut stand längst in der Kammer neben dem Lager des ,
Försters, im Fenster das nicht sehr reinliche „Stutzglas" mit
geborstenem Fuße. Manche Wanderung zur Kammer, der !
ein vernehmliches Schmatzen folgte, hatte Löwefinke's Un- |
geduld anfänglich gezügelt; jetzt aber drohte sie zu reißen.
Ingrimmig klopfte er die ausgerauchte Pfeife am Ofen aus
und murmelte zwischen den Zähnen: „Daß Dich die Schock-
schwercnoth! Sollte seine Alte Lunte gerochen haben und ihn
zurückhalten? Die Wcibsleute verderben Einem jedes Plaisir,
und er ist so ein leidiger Weiberknecht. Ich meine, die
Gottcsgabe werde ich am Feste allein austrinken müssen, j
und an Kalteschale ist nicht zu denken. Heiliges Kreuz-
mohrendonner —" Da gab der Teckel kläffend Laut, und
Hirschmann, der Schweißhund, richtete sich knurrend an der
Thür auf. Schwere Tritte erschallten voin Hofe her; die
Thür öffnete sich und der Erwartete trat hastig ein. „Ver-
teufelt lange bist Du ausgeblieben," sagte der Hauswirth,
indem er das Gewehr des Gastcö an das Hakenbrett hinter
der Thür hing, während Kohlstrunk einen Pack in grauem
Löschpapier — den bewußten Honigkuchen — auö dem Dachö-
holstcr zog und bedächtig auf den Tisch legte. „Meine Alte
machte Einwände," crwiedcrte der Gast, der sich auf tie
Es war am Abend vor dem heiligen Osterfeste; feier-
lich hallten die Klänge der Glocken vom Kirchthurme zu
j Elmrode, die das morgige Fest einläuteten. Die Dorfbevölke-
rung hatte indessen keine Zeit, um darauf zu achten; die
festliche Stimmung findet sich morgen erst, wenn es zum
Gottesdienste läutet und Groß und Klein im Festtagsstaate
zur Kirche wandert. Heute ist Jedermann darüber, zu
fegen, zu weißen, zu scheuern, zu putzen und — daö Wich-
tigste beim Feste — Kuchen zu backen. Das ganze Dorf,
vom Pfarrer, der die Osterpredigt concipirt, um sic morgen
wie immer abzulesen, bis zum Nachtwächter, der mit der
Dorfjugend auf der nächsten Anhöhe Dornen zum Osterfeuer
j aufschichtct: Alle sind mit Vorbereitungen zum Feste be-
I schäftigt. Nur der alte Unterförster Löwefinke hat nichts
i damit zn schaffen. Was macht sich der alte Hagestolz aus
Sauberkeit? Weshalb soll sein Zimmer gescheuert werden,
; daö er mit seinen Hunden in der nächsten Viertelstunde doch
wieder cntsäubcrt haben würde? Wozu nützen ihm blanke
I Fensterscheiben? In der Dunkelheit kann man doch nicht hin-
durchsehen und zu Hause ist er nur vom Abend bis zum
I Tagesanbruch und auch dann nicht immer, wie es die Holz-
i und Wilddiebe der Umgegend oft genug zu ihrem Schaden
erfahren haben. Im Dunkeln bemerkt man die weißen Wände,
die hellen Fenster, die reinen Dielen doch nicht. Wozu also
die Reinlichkeit? Ihm schmecken Tabak und Branntwein
überall, mag cs reinlich oder schmutzig um ihn sein, und' für
den letzteren hat er überdem noch eine gewisse Standesvor-
liebe. Nach- seiner und vieler alter Jäger Meinung wird ein
guter Jäger am Geruch nach Branntwein, Tabak und Hun-
den erkannt.
gut wie Ostcrmorgcn.
Heute aber scheint ihn, wenn auch nicht die Thätigkeit,
doch die allgemeine Unruhe der Dorfbevölkerung angesteckt zu
haben. Den dampfenden Pfcifenstummel im bartumwucherten
Munde geht er im engen Zimmer auf und nieder und steckt
ungeduldig von 5 zu 5 Minuten seinen buschigen Kopf aus
dem Fenster. „Wo er nur bleibt? Könnte längst hier sein!
— Ist die höchste Zeit, sie anzumengen " So lauten seine
kurzen, mit schweren Flüchen gewürzten Selbstgespräche, zwischen
welchen ungeheure Dampfwolken dem Munde entsteigen. Seine
Aufregung überträgt sich auf seine Stubengcnosscn, den strup-
pigen Schweißhund, den schwarzen gelbläufigen Teckel, die
muntere Amsel und die beiden im Käfig auf und nicder-
hüpfenden geblendeten Finken. Unterförstcr Löwcfinke mit den
Seinen befindet sich in der unbehaglichen, aufgeregten Stim-
mung, welche daö Zögern eines bestimmt Erwarteten hcrvvr-
zurufen pflegt. Der Ersehnte ist der College und Herzens-
freund Löwefinkcs, Unterförstcr Kohlstrunk, und hat ihm noch
vorgestern seinen Besuch aus heute — spätestens in der „Eulen-
flucht" (Abenddämmerung) war die Abrede — fest zugesagt.
Sic haben eine Fcstfeier für den Morgen des ersten Ostcr-
tags verabredet, eine jetzt nicht sehr gebräuchliche mehr, da-
mals aber — denn vierzig Jahre sind seitdem verstrichen —
wurde auf dem Lande in der Frühe der Oster- und Wcih-
nachtöfesttagc allgemein die treffliche „Branntweinkaltschale"
als Festtrunk genossen. Am Abend zuvor wurde sie angc-
mengt, das heißt eine Quantität Honigkuchen in Branntwein '
erweicht und je nach dem Vermögen der Trinker mit mehr
oder weniger Wasser verdünnt. Kohlstrunk nun hatte die
Lieferung des Honigkuchens übernommen, während sich Löwe-
finkc zeitig in den Besitz von einer genügenden Menge guten
Branntweins (echter Nordhäuser von Räude in Schöppen-
stedt) gesetzt hatte. Die zehn Maß haltende Flasche aus
Steingut stand längst in der Kammer neben dem Lager des ,
Försters, im Fenster das nicht sehr reinliche „Stutzglas" mit
geborstenem Fuße. Manche Wanderung zur Kammer, der !
ein vernehmliches Schmatzen folgte, hatte Löwefinke's Un- |
geduld anfänglich gezügelt; jetzt aber drohte sie zu reißen.
Ingrimmig klopfte er die ausgerauchte Pfeife am Ofen aus
und murmelte zwischen den Zähnen: „Daß Dich die Schock-
schwercnoth! Sollte seine Alte Lunte gerochen haben und ihn
zurückhalten? Die Wcibsleute verderben Einem jedes Plaisir,
und er ist so ein leidiger Weiberknecht. Ich meine, die
Gottcsgabe werde ich am Feste allein austrinken müssen, j
und an Kalteschale ist nicht zu denken. Heiliges Kreuz-
mohrendonner —" Da gab der Teckel kläffend Laut, und
Hirschmann, der Schweißhund, richtete sich knurrend an der
Thür auf. Schwere Tritte erschallten voin Hofe her; die
Thür öffnete sich und der Erwartete trat hastig ein. „Ver-
teufelt lange bist Du ausgeblieben," sagte der Hauswirth,
indem er das Gewehr des Gastcö an das Hakenbrett hinter
der Thür hing, während Kohlstrunk einen Pack in grauem
Löschpapier — den bewußten Honigkuchen — auö dem Dachö-
holstcr zog und bedächtig auf den Tisch legte. „Meine Alte
machte Einwände," crwiedcrte der Gast, der sich auf tie
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Osterabend ist so gut wie Ostermorgen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Kommentar
Unidentifizierte Signatur MfH
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 40.1864, Nr. 977, S. 102
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CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg