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Ein ästhetischer Gerichtshof.

eine Ungerechtigkeit gegen sein lebhaftes, immer vorwärts
drängendes Naturell, wenn man seinem Namen nicht noch ein
kleines c hinzufügen wollte, um ihm einen Namensvetter zu
geben, mit welchem er so viel Aehnlichkcit hat. Wir Theater-
kinder nannten ihn auch nie anders als „Vater Blücher"
oder den „Geiger Vorwärts," weil er bei unseren Ballct-
Uebungen oft in ein zu rasches Tempo fiel oder wohl gar
einmal zu früh einsetzte, kurz, auf der Tanzbühne ganz die-
selbe Rolle spielte, wie der Marschall Vorwärts auf dem
Schlachtfelde. — Hoher Gerichtshof! bis jetzt sind alle von
mir beigebrachten Beweise als hinfällig bezeichnet worden,
und ich wage nun das Letzte. Sie müssen mir gestatten,
Ihnen noch einen praktischen Beweis zu liefern, daß ich wirk-
lich eine Künstlerin war und — cs noch bin."

Das Soldatenkind gab dem Vater Blücher einen be-
deutungsvollen Wink und schloß dann mit dem begeisterten
Rufe: „So werde ich meine alte Garde noch einmal ins
Feld führen, denn sie stirbt, aber sie ergibt sich nicht."

Mit diesen Worten schwenkte sie einen Fuß aus dem
Mantel hervor.

Allgemeine Bestürzung! — Was war das? Ein nacktes
Bein — eine dralle Wade!

Allgemeines Erblassen — mit Ausnahme Wendelin
Jmmerseligs, dem bei der eigenthümlichcn Disposition seiner
Gesichtshaut dicß äußerliche Zeichen des Schreckens nicht mehr
zur Verfügung stand. Am meisten gefaßt zeigte sich Levi
Guckmaier. Nach einem kurzen Erbleichen wurde er roth wie
ein Liebesapfel. — „Aha! kommt die Katastrophe endlich?"
sagte er bei sich, warf die Feder weg, setzte den Nasenguetscher
auf und vergrößerte sich um einen Zoll, indem er auf die
Zehenspitzen trat, um keinen Moment von der Entwickelung
der Ereignisse zu verlieren.

„Nun, Vater Blücher, frisch aufgestrichen! Vorwärts —
Marsch!" kommandirte das kecke Soldatenkind, die Gräfin,
und machte eine elegante Pirouette, bei der sie aus der langen,
schwarzen Kutte, wie die Wache aus dem SchilderhäuSchen,
heraussprang — zu einer reizenden Elfe verwandelt, schön,
anmuthig und kräftig, ein weiblicher Odysseus, der den Bettler-
mantel abgeworfen. Um das Knie, über den fleischfarbenen
Tricots, wallte eine duftige Fluth von Spitzen; darüber ein
gold- und silbcrgesticktcs Gazeröckchcn, ein mattgelbcs, kurzes
Mieder mit rothen und blauen Schärpen und Rosetten; in
dem dunklen Haar glänzten Diamanten und Blumen; um
den kräftigen Hals und die vollen Armgelenke goldgefaßte
Edelsteine. Holdselig lächelte das rosige Gesicht.

Blücher hatte rasch seinen Kasten geöffnet und daraus
seine Waffe — eine Violine herausgenommen. Er ließ das
Signal ertönen und Beide begannen frisch und keck den Kampf.
Sie tanzte eine Tarantella mit der ganzen wahnsinnigen Gluth
einer Italienerin; er spielte mit der Todesverachtung eines Trom-
peters, der seine Cameraden zum Sturme gegen die Feinde ruft.

Das Alles war nur das Werk eines Augenblicks, so
kurz, daß Herr v. Hohlfcld sich während dem noch nicht drei-
mal über den lichten Vorderschädel hatte streichen können —

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ein Experiment, das er immer machte, wenn er seine wenigen
Gedanken versammeln wollte. Die beiden anderen Gerichts-
räthe und der dicke Anwalt saßen wie erstarrt auf ihren
Stühlen, als hätten sie plötzlich das versteinernde Haupt der
Medusa geschaut. Und doch war es nur das liebliche Gesicht
einer Fee, welches sie so erschreckte! Freilich gab cs in ihrer
langjährigen juristischen Praxis kein Pracedcns, nach welchem
sie den gegenwärtigen kritischen Fall beurtheilen konnten.

Levi Guckmaier hatte in diesem einzigen Augenblicke
Rebeckchen ganz aus dem Gedächtnisse verloren. Alle seine
Scelenkrafte konzentrirtcn sich in dem Auge, und er konnte
nur einzelne „Ah!" der höchsten genießenden Seligkeit Her-
vorbringen.

Die übrigen Zeugen klatschten, lachten oder riefen ein
schüchternes „Bravo!" — „Sehr gut!" — „Ausgezeichnet!"

— Wcndclin Jmmcrselig fand zu seiner Gcnngthunng, daß
das früher von ihm gebrauchte geistreiche Bild von der Ricsen-
tulpe mit den umgekehrten Blättern auch heute noch ganz ;
und gar auf diese herrliche Tänzerin passe.

Die Grafcnseelc Alfreds v. Haidcbusch dagegen weinte
blutige Thräncn in sich hinein; er schluchzte wie ein Kind,
das seine Mutter etwas thun sieht, was es durchaus nicht !
begreifen kann, aber für gefährlich hält. Er war vom Stuhle
aufgesprungen und hatte sich hinter die Zeugen in eine Ecke \
gedrückt.

Die Tarantella war zu Ende und Vater Blücher ging
mit wenigen Bogenstrichen zur Melodie eines Saltarcllo über.
Mit einigen bewunderungswürdigen Entrechats folgte die
Tänzerin dem neuen Rhythmus. Immer lebhafter wurden
die Bewegungen, immer glühender Augen und Wangen. Sie
tanzte mit leidenschaftlichem Feuer, ohne je die Grenzen der
Schönheit zu überschreiten. Ihre Arme suchten nach Etwas
wie mit namenlosem Verlangen — bald gegen den Vorsitzenden,
bald gegen den dicken Anwalt gerichtet; wie süße Liebcswortc,
wie Seufzer flammender Sehnsnchtsgual flogen ihre Blicke
bald nach dem einen, bald nach dein anderen hinüber.

Der dicke Anwalt schmunzelte mit den wulstigen Lippen
ob dieser ihm ungewohnten, leidenschaftlichen Verehrung. —
Der Prozeß war für ihn doch noch keineswegs verloren; nur
Herrn v. Hohlfclds eherne Brust verschloß sich diesen rührenden
Schmeicheleien; er knöpfte seinen Rock zu,, erhob sich und
klingelte mit dem Silbcrglöckchcn nach dem Gerichtödiencr,
um diese unberufene Tänzerin hinausfühven zu lasstn. Aber
hingerissen von der Macht seiner musikalischen Natur, kam
er bei dem Klingeln ganz unwillkürlich in den Rhythmus,
den Vater Blücher auf seiner Violine mit so großer Meister-
schaft angab, und cs hörte sich daher zu, als wenn Herr
.v. Hohlfeld die Violine mit dem Tambourm accompagnirtc.
Das Silbcrglöckchcn hatte ganz den Ton eines solchen.

Es erschien keiner von den beiden Gerichtödicncrn, die
in dieser Etage den Dienst hatten. Natürlich! — wie konnten
sie denn hören? Die lustige Gräfin hatte ihnen ja die Ohren

mit einigen Banknoten verstopft.

(Schluß folgt.)

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