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Die Macht der Einbildungskraft.

oder der von ihm stets geliebten Stadt, in deren Mauern
er das Glück genieße, seinen Forschungen obzuliegen, seine
Dienste resp. die Anwendung seiner äußerst geringen Kennt-
nisse zur Verfügung zu stellen und zu Füßen zu legen; —
was er je als eine von der göttlichen Wissenschaft anerkannte
Wahrheit befunden und ausgesprochen habe, das sei er bereit
allsogleich zu versuchen, anzuwenden und zu vollführen; er
habe zwar niemals gewünscht, noch auch je daran gedacht,
den geweihten Kreis, welchen seine geliebten Bücher um ihn
gezogen, zu verlassen — aber so wie jener alte Römer, der
in stiller Zurückgezogenheit seinen Kohl baute, seinen Pflug
und seine Hütte auf den ersten Ruf des Staates verließ, so
wolle auch er seinen Kohl, das heißt seine Bücher eine Weile
entbehren, und dem Staat, falls dieser es verlangt, sein
Schwert, das heißt seine Wissenschaft zur Verfügung stellen.

Ein leises Gemurmel der Bewunderung ging durch die
kleine Schaar der abgesaudten Väter der Stadt, als der
Professor seinen poetischen Vortrag beendet hatte, und der
Bürgermeister kam jetzt zum Schluß und Kern seiner Rede,
indem er nach einer kurzen Rekapitulation dessen, was er
bereits gesagt hatte, und nach gebührender Anerkennung der
Bescheidenheit und der patriotischen Gefühle, welche Doktor
Mäuslein in seinen Worten ausgedrückt hatte, auf das Licht
überging, welches derselbe durch seine Forschungen und seinen
Vortrag über die Macht der Einbildungskraft angczündet
habe, und ihn schließlich bat, den zum Tode verurtheilten
Verbrecher, vulgo „Saufhannes" zum Besten der Wissenschaft
und seiner wißbegierigen Schüler, mittelst der Macht der
Einbildungskraft vom Leben zum Tode zu bringen. —
Doktor Mäuslein riß den Mund auf, so bald er den eigent-
lichen Zweck der pomphaften Rede zu errathen begann, und
hätte ihn auch, nachdem der Bürgermeister seine Rede be-
endet und >>ch verbeugt hatte, vor Entsetzen noch offen ge-
lassen, als er sich an Alles das erinnerte, was er so eben
erst behauptet, und was der Bürgermeister ihm in Aussicht
gestellt hatte; er überlegte daher, daß es sowohl um seiner
Ehre, als auch um der ihn erwartenden Ehren willen nicht
räthlich, ja sogar gefährlich wäre, wenn er Nein sagte, und
schloß . daher mit großer Selbstverleugnung den Mund, den
er gleich wieder öffnete, um dem Bürgermeister zu versichern,
daß er sich inniglich freue, weil er nun Gelegenheit gesun-
den, der Wissenschaft zu einer neuen Ehre zu verhelfen und
dem Gemeinwohl einen Dienst zu leisten. Er halte cs nur
für notwendig, daß ihm Gelegenheit gegeben werde, das
fragliche Individuum zu sehen und zu vernehmen, damit er
mit demselben das Experiment in der geeignetsten Weise
machen könne; denn die Macht der Einbildungskraft sei
nicht etwa mit einem gemeinen Strick zu vergleichen, mit
welchem man jeden Hals auch ungesehen zuschnüren kann.
— Der Bürgermeister versprach hierauf morgen selbst zu
kommen, um den Herrn Professor abzuholen, damit er die
Ehre habe, hochdenselben in den Kerker des Delinquenten
zu geleiten. — Und alsbald verneigten sich die abgesandten
Väter der Stadt, und entfernten sich unter vielen tiefen

Bücklingen vom Professor, welchem die Kniee schlotterten,
und der kaum Kraft genug hatte, seinen hochansehnlichen
Gästen das Geleite bis zur Thür zu geben.

Jetzt war Doktor Mäuslein allein, jetzt konnte er, ohne
seiner Würde etwas zu vergeben, seine Angst und sein Ent-
setzen ungehindert walten lassen. Zuerst erstaunte er darüber,
daß er im Stande gewesen sei, die schreckliche Zusage zu
machen. Dann sann er auf Mittel sich aus der Verlegenheit
zu ziehen und seine Hände rein zu erhalten von der ge-
meinen abscheulichen Hantirung, die auf einmal all seinen
Glanz verdunkeln und ihn mit allen Henkern der Welt in
eine Reihe stellen würde. Er fand wohl tausend Ausflüchte,
aber jedesmal siel ihm sogleich wieder ein, was er im Colle-
gium vorgetragen und den abgesandten Vätern der Stadt
versprochen und bctheuert hatte; man würde ihn einen ge-
meinen Prahlhans, und was noch mehr, die Wissenschaft
würden die Bürger der Stadt, den Bürgermeister an der
Spitze, eitle Prahlerei nennen. Und wohin käme der Re-
spect der Studenten? Sie würden ihn verspotten, — was
er sie bisher gelehrt, würden sie verachten und vergessen; der
Strom der Wissenschaft, welcher aus seinem Quell mittelst
seiner Schüler in die Welt strömt, würde dann versiegen, '
und er, der eifrigste Priester der Wissenschaft, wäre daun j
mit jenem Bauer zu vergleichen, welcher sich einbildete, die
Donau müsse verschwinden, wenn er an den Quell, aus
welchem sie entspringt, seinen Fuß setzt; — was aber dem
blöden Mann aus dem Volke mit dem Wasserstronr nicht
gelang, das würde ihm, dem erleuchteten Manne, mit dem
lebendigen Strom der Wissenschaft leider ja gelingen! —
Und was hat der Bürgermeister gesagt? — Serenissimus,

— Gnadenkette, Verdienste um den Staat! — Ach, Doktor
Mäuslein mußte sich zu dem entschließen, was er nicht j
zurücknchmen konnte. Hat er cs denn nicht ausdrücklich
zugesagt, vor den ansehnlichsten Männern der Stadt ver-
sprochen?

Während Peregrinus Mäuslein, in seine trüben Ge-
danken vertieft, den sechs leeren Stühlen gegenüber in einem
Lehnstuhl saß, bemerkte er nicht, daß er noch immer den !
Festtagsrock anhabe, und überhörte es, als ihn die Haus- ;
magd schon zum zweitenmal zum Essen rief. Endlich er- ;
wachte er aus seinem Sinnen, er flüchtete sich in den be-
quemen warmen Hausrock, und versuchte es, zum Mittagessen !
zu gehen. Das gelang ihm. Kaum war er bei seiner Frau
eingetreten, • fo fragte sie ihn natürlich, was die Herren bei |
ihm gewollt hätten. Er sagte ihr mit erzwungener Gleich- !
giltigkcit: Nichts! Wie hätte er ihr auch das sagen können,

! woran er selbst nicht glauben wollte, was ihn mit so viel j
Angst erfüllte. Mitten in seinem betrübten Gemüthszustande
bemerkte er mit Verwunderung, daß seine Frau nicht mehr
mit Fragen in ihn drang; er freute sich, daß er wenigstens
von dieser Seite Ruhe habe, und versuchte zu essen; aber
das gelang ihm nicht, und mehr als einige Löffel Suppe
brachte er in der Bedrängniß seines Gcmüths nicht hinunter.
Seine Frau, die ihn kaum öfter als am Mittagstischc zu
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