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3 lt nt Wohle der leidenden Menschheit.

für ihn. Ich will hundert gegen Eins wetten, dciß sein
lieber Onkel sich wieder über sein Fortkommen den Kopf
zerbricht; möchte weiß Gott! herausbekommen, was der Papa
vorhat."

„Frag ihn doch!" sagte die Aeltere, indem sie gedankenlos
zum Fenster hinausblickte.

Was wir von der schalkhaften Georgine soeben über
das Verhältniß ihres Vetters zur Familie des alten Häßlich
erfahren haben, war im Ganzen richtig. Rudolph Staubig
war der Schwestersohn des alten Herrn Häßlich; er war
elternlos, hatte sein geringes Vermögen bei der Erlernung des
Apvthekergewerbes zugesetzt, war durch das Examen gefallen
und zeichnete sich durch eine gewisse Trägheit, ein erstaunlich
winziges Begriffsvermögen und eine so hervorragende Unge-
schicklichkeit und Unsauberkeit aus, daß sich kein honetter
Apotheker -- und sie sind alle honette Leute — dazu ver-
stehen wollte und schlechthin auch nicht konnte, ihn mit der
Bereitung von Medikamenten zu betrauen. Ter alte Häßlich
hatte durch die verschiedensten Mittheilungen die Gewißheit
erlangt, daß sein lieber Neffe zum zweiten Male das Examen
nicht würde bestehen können, und nahm ihn, als derselbe
keine Condition hatte und die Hoffnung verschwunden war,,
daß er jemals eine solche finden würde, aus Mitleid und
Rücksicht auf das Gerede der Leute, in sein Hans auf, um
ihm bei der Erlangung eines anderen Unterkommens mit
Rath und That au die Hand zu gehen. Allein auch dies
hielt bei der cigenthümlichen Cvnstrnktion jenes verwandt-
schaftlichen Gehirns und den dieselbe begleitenden Eigenschaften
äußerst schwer, und so gehörte denn der gute Rudolph —
gutmüthig war er -- schon länger als ein Jahr zur
Familie seines Onkels, ein Zeitraum, der nur durch eine
sechswöchentliche Abwesenheit des Neffen in den Räumen des
Schnldgefängnisses wegen einiger beträchtlicher Verbindlich-
keiten unterbrochen worden war. Jndeß auch diese Abwesen-
heit erreichte ihr Ende, als die Herren Gläubiger sich von
der Insolvenz ihres Schuldners und der Unlust des Onkels,
fremde Schulden zu bezahlen, überzeugt und eingesehcn hat-
ten, daß sie ans ihrer Tasche mit Wohnung und Kost eine
Existenz fristeten, welche wenigstens vorläufig ihrem Geld-
beutel auch nur einen Gulden znznführen, außer Stande
war. Rudolph hatte die Leiden des Schnldgefängnisses mit
großem Gleichmuthe ertragen; für ausreichende Naturalver-
pflegung, ein Abonnement in der Leihbibliothek und ein
kleines Taschengeld war liebevoll der Onkel besorgt gewesen,
hatte ihm auch in der Sprechstunde zuweilen persönlich —
die beiden Cousinen hätten natürlich um keinen Preis jene
Stätte der Schande betreten — Besuche gemacht, und der
genügsame Rudolph schwelgte förmlich in einer wundervollen
Muße, die ihm schon immer sein Phlegma als das Ziel
seiner Wünsche hatte erscheinen lassen. Aber genoß er denn
dieselbe Muße nicht im Hanse seines Onkels und die Freiheit
dazu? O, nein! Die gefühlvolle Georgine hat uns den
Umstand verschwiegen, daß Rudolph bei ihr und ihrer Schwester
sich gerade nicht des beneidcnswerthesten Daseins erfreute. Sie

ließen es ihn beide recht tüchtig fühlen, wie unbequem ihnen
seine Anwesenheit war; ja sie machten oft genug Anspiel-
ungen auf die Erbärmlichkeit einer Existenz, die von der
Gnade anderer Leute abhängig sei, auf die häßliche Eigen-
schaft der Unreinlichkeit, auf Bretter, welche gewisse Leute
vor dem Kopf trügen u. dgl. m. Wie erhellt, sprachen sie
sich gerade nicht undeutlich ans, aber, darin muß man ihnen
ihr Recht widerfahren lassen, sie hatten es weiß Gott! nöthig,
wenn es überhaupt gemerkt werden sollte, denn der gute
Rudolph hatte, wie man zu sagen pflegt, ein überaus dickes
Fell, an welchem alle solche Piquanterieen wie Hagelkörner
von einem Gletscher abprallten. Außerdem wurde ihm durchaus
keine absolute Ruhe gegönnt, er begleitete vielmehr im Hause
das hochpreisliche Amt eines Laufburschen, eines heimlichen
— die Leute durften es nicht merken — Stiefelputzers, ja
die Nachbarschaft wollte sogar bemerkt haben, daß er in
Abwesenheit des Dienstmädchens häufig während der Dun-
kelheit den unreinen Eimer auf dem Hofe ausgeleert habe.
Nun! dabei soll selbst ein reinlicher Mensch sauber bleiben,
wie viel weniger Rudolph! Allen diesen Funktionen unter-
zog er sich mit der dumpfen Langsamkeit eines Packesels,
vertilgte die Nahrung, welche man ihm hinschob, und schüt-
telte die Schmähungen über sein unbeholfenes Wesen mit
großer Gemüthsruhe von sich ab. Georgine hatte also gewiß
in dem Punkte Unrecht, wenn sie behauptete, daß er den
Geschwistern so ganz entbehrlich sei; sie hatten es schon
während seiner Abwesenheit im Schuldarreste gefühlt, und
würden es nun um so schwerer empfunden haben, als Ru-
dolph von ihnen für gewöhnliche Funktionen schon recht
hübsch angelernt worden war. Aber so sind die Weiber! j
lieber dem ungewissen Ziele einer glänzenden Partie übersahen
sie das naheliegende Gute. Der alte Herr, welcher überhaupt
nicht die gallige Gemüthsart seiner leider schon verblühenden
Schößlinge hatte, — sie war von der seligen Mutter auf sie
übergegangen —, der alte Herr vertrug sich mit Rudolph
recht gut. Herr Häßlich war Künstler, Maler, hatte aber, ;
weil seine eigene Produktivität nicht durch den Beifall des
Publikums ermuntert wurde, sich dem größere Sicherheit der
Existenz gewährenden Berufe eines Zeichenlehrers für an-
gehende Künstler zngewendet und erfreute sich eines genügenden
Zuspruchs. Seine Einnahmen wurden nicht unbeträchtlich
vermehrt durch eine Direktorstelle, welche er bei einem Ge-
mälde-Verkaufs- und Verloosnngs-Vereine bekleidete. Lessing |
hat einmal irgendwo behauptet, daß gerade bedeutende Geister
nachsichtig gegen die Werke ihrer Mitmenschen sind; wenn
hieraus eine Regel für das Gegentheil folgt, so machte Herr-
Häßlich von ihr eine Ausnahme, denn die Künstler konnten
sich über eine zu strenge Beurtheilnng ihrer Gemälde nicht
beklagen. Und doch machte das Institut gute Geschäfte, denn
der Geschmack ist verschieden im Publikum. Im Punkte der
geistigen Befähigung stand Herr Häßlich mit seinem Neffen
auf gleichem Niveau, weßhalb er sich gern mit ihm unter-
hielt, mit ihm zum Bier ging und zuweilen eine Partie Karte
oder Billard mit ihm machte. Auch war für ihn der Rudolph
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