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Die schlim
mit lautem Halloh neben ihnen auftauchend und an ihnen
vorbeisausend, ihnen den jähen Schreck in die Glieder zu
jagen, daß sie schreiend davonliefen und im Angstschweiß zu
Hause bei den Ihrigen ankamen, wo dann alle Donnerwetter
über das Haupt der armen Greth losgingen, die glücklicher
Weis/: von Allem nichts hörte.
Doch, wie gesagt, es gab andere Leute, die nicht er-
schracken, wenn sie die Greth zu Gesicht bekamen, sondern
wünschten, sie recht oft und recht nahe zu sehen. Das waren
insbesondere die Schreiber aus der Stadt, welche die Holzver-
käufe alljährlich in den Wald führten, das waren die Forst-
praktikanten, die in der Nähe zu Hause waren, das waren
überhaupt alle jungen Männer, welche jemals Gelegenheit
gehabt hatten, die schlimme Greth zu sehen. Was war denn
nun aber so Besonderes an der Greth? Sie war ein hübsches
Ding, schlank gewachsen, mit rosenrothen Wangen und kirsch-
rothen Lippen, aber im klebrigen keineswegs von untadlicher
Schönheit. Und doch war etwas Besonderes an ihr. Ihre
Schönheit war die Schönheit der Waldblume; sie hatte nicht
die kunstvollen Formen, nicht den leuchtenden Glanz der
Gartenslora, aber sie war durchweht von dem Dufte des
Waldes, ein Kind der freien Natur, des blauen Himmels,
leicht hingehaucht, zitternd und schwebend, luftig und duftig,
wie die Blumen des Waldes. Darum gesiel sie den Schreibern,
weil sie diesen das wonnige nnd sonnige Wesen der lieben
Natur sogar deutlicher als diese selbst, als Wald, Wiesen und
Bäume, vor Augen stellte und ihnen wies, was sie nicht
hatten und desto mehr ersehnten nud suchten; darum gefiel
sie den Forstleuten, weil sie in ihr dasjenige verkörpert
sahen, was ihnen das Höchste war, den frischen, grünen
Wald, darum gefiel sie allem jungen Volk, von Stadt nnd
Land, weil sie war, wie der liebe Gott sie geschaffen, fröhlich
wie der Vogel in der Luft, elastisch wie das Reh deö Waldes,
frisch wie der Quell aus dem Felsen, sinnig wie das Rauschen
der Blätter, mild nnd herbe zugleich wie jedes gesunde, un-
verdorbene Kind der heiligen Mutter Natur. Sie war der
Wald, das Feld, die Natur, der blaue Himmel selbst, nur
eingeschlossen in die Hülle der Jungfrau. Dabei hatte sie
aber doch auch noch eine besondere Schönheit, die vor allem
dazu beitrug, ihre Verehrer zu entzücken. Diese Schönheit
waren ihre Zöpfe. Unter dem kleinen Häubchen, das sie nach
der Sitte der Gegend trug, quollen die zwei schönsten blonden
Zöpfe hervor, die man sehen konnte. Voll und weich flosien
die breiten Flechten über den Rücken hinunter, nnd das ein-
geflochtene feine rothe Band berührte, so kurz es auch nach-
flatterte, den Boden. Jedermann kannte die Zöpfe der Greth,
die Greth ohne die Zöpfe zu denken, war unmöglich. Die
Greth war der Wald, die Zöpfe waren die Greth.
So fröhlich nnd sorglos iudeß die Greth ihr Waldleben
führte, so wenig sie sich um die verliebten Blicke der Schreiber
oder um die kräftigen Stoßseufzer der Forstpraktikanten zu
kümmern schien, so war doch der Alte nicht ebenso beruhigt.
Er war trotz seines einsamen Waldaufenthaltes nicht unbekannt
mit dem Leben und wußte, daß jedem Herzen seine Stunde
me Greth.
schlägt. Nun war zwar seiner Greth Herz nicht bloß ein
gutes, sondern auch ein kräftiges Herz, aber es war auch ein
durchaus argloses und unerfahrenes Herz, und da mochte
jetzt, wo eben die volle Blüthe anfging, die väterliche Fürsorge
wohl am Platze sein. Wenn er sich dachte, daß seine Greth,
die reine, luftige Waldblume, am Ende ihr Herz an einen
Unwürdigen verlieren könnte, da ward es ihm grün und blau
vor den Augen.
Als daher einst die Greth nach dem Abendessen de»
Tisch abgeränmt hatte und, nachdem sie die Küche geordnet,
in's Zimmer znrückkehrte, fand sie zwar den Alten wie sonst
in seinem Lehnstuhl sitzend, aber der Lehnstuhl stand nicht
an seinem gewöhnlichen Platz beim Tische, sondern in der
Mitte der Stube, dem geöffneten großen Uhrkasten gegenüber.
Sie sah den Vater fragend an; denn das bedeutete etwas
Besonderes.
„Greth," sagte der Alte, „bist Du fertig in der Küche?"
„Ja, mein Vater. Aber was —"
„Stell' Dich da her zu'mir. — So ist's recht, Greth.
Du weißt, Greth, Deine selige Mutter —"
„Ja, ich weiß es, Vater," unterbrach ihn Greth, welche
glaubte, er wolle wieder seinen wehmüthigen Erinnerungen
an ihre früh verstorbene Mutter nachhängen.
„Nein, Greth," sprach der Alte, „Du weißt nicht, was
ich sagen will. Also hör' mir aufmerksam zu. Du weißt, 1
Deine selige Mutter hat mir nur zwei Dinge hinterlassen, ;
Dich nnd das da."
Er deutete bei diesen Worten auf den Uhrkasten hin,
in welchem hinter dem Perpendikel ein paar Zöpfe anfgehangen
zn sehen waren, welche denjenigen an Greth's Kopfe so ähnlich
waren, als ein Ei dem andern.
Die schlim
mit lautem Halloh neben ihnen auftauchend und an ihnen
vorbeisausend, ihnen den jähen Schreck in die Glieder zu
jagen, daß sie schreiend davonliefen und im Angstschweiß zu
Hause bei den Ihrigen ankamen, wo dann alle Donnerwetter
über das Haupt der armen Greth losgingen, die glücklicher
Weis/: von Allem nichts hörte.
Doch, wie gesagt, es gab andere Leute, die nicht er-
schracken, wenn sie die Greth zu Gesicht bekamen, sondern
wünschten, sie recht oft und recht nahe zu sehen. Das waren
insbesondere die Schreiber aus der Stadt, welche die Holzver-
käufe alljährlich in den Wald führten, das waren die Forst-
praktikanten, die in der Nähe zu Hause waren, das waren
überhaupt alle jungen Männer, welche jemals Gelegenheit
gehabt hatten, die schlimme Greth zu sehen. Was war denn
nun aber so Besonderes an der Greth? Sie war ein hübsches
Ding, schlank gewachsen, mit rosenrothen Wangen und kirsch-
rothen Lippen, aber im klebrigen keineswegs von untadlicher
Schönheit. Und doch war etwas Besonderes an ihr. Ihre
Schönheit war die Schönheit der Waldblume; sie hatte nicht
die kunstvollen Formen, nicht den leuchtenden Glanz der
Gartenslora, aber sie war durchweht von dem Dufte des
Waldes, ein Kind der freien Natur, des blauen Himmels,
leicht hingehaucht, zitternd und schwebend, luftig und duftig,
wie die Blumen des Waldes. Darum gesiel sie den Schreibern,
weil sie diesen das wonnige nnd sonnige Wesen der lieben
Natur sogar deutlicher als diese selbst, als Wald, Wiesen und
Bäume, vor Augen stellte und ihnen wies, was sie nicht
hatten und desto mehr ersehnten nud suchten; darum gefiel
sie den Forstleuten, weil sie in ihr dasjenige verkörpert
sahen, was ihnen das Höchste war, den frischen, grünen
Wald, darum gefiel sie allem jungen Volk, von Stadt nnd
Land, weil sie war, wie der liebe Gott sie geschaffen, fröhlich
wie der Vogel in der Luft, elastisch wie das Reh deö Waldes,
frisch wie der Quell aus dem Felsen, sinnig wie das Rauschen
der Blätter, mild nnd herbe zugleich wie jedes gesunde, un-
verdorbene Kind der heiligen Mutter Natur. Sie war der
Wald, das Feld, die Natur, der blaue Himmel selbst, nur
eingeschlossen in die Hülle der Jungfrau. Dabei hatte sie
aber doch auch noch eine besondere Schönheit, die vor allem
dazu beitrug, ihre Verehrer zu entzücken. Diese Schönheit
waren ihre Zöpfe. Unter dem kleinen Häubchen, das sie nach
der Sitte der Gegend trug, quollen die zwei schönsten blonden
Zöpfe hervor, die man sehen konnte. Voll und weich flosien
die breiten Flechten über den Rücken hinunter, nnd das ein-
geflochtene feine rothe Band berührte, so kurz es auch nach-
flatterte, den Boden. Jedermann kannte die Zöpfe der Greth,
die Greth ohne die Zöpfe zu denken, war unmöglich. Die
Greth war der Wald, die Zöpfe waren die Greth.
So fröhlich nnd sorglos iudeß die Greth ihr Waldleben
führte, so wenig sie sich um die verliebten Blicke der Schreiber
oder um die kräftigen Stoßseufzer der Forstpraktikanten zu
kümmern schien, so war doch der Alte nicht ebenso beruhigt.
Er war trotz seines einsamen Waldaufenthaltes nicht unbekannt
mit dem Leben und wußte, daß jedem Herzen seine Stunde
me Greth.
schlägt. Nun war zwar seiner Greth Herz nicht bloß ein
gutes, sondern auch ein kräftiges Herz, aber es war auch ein
durchaus argloses und unerfahrenes Herz, und da mochte
jetzt, wo eben die volle Blüthe anfging, die väterliche Fürsorge
wohl am Platze sein. Wenn er sich dachte, daß seine Greth,
die reine, luftige Waldblume, am Ende ihr Herz an einen
Unwürdigen verlieren könnte, da ward es ihm grün und blau
vor den Augen.
Als daher einst die Greth nach dem Abendessen de»
Tisch abgeränmt hatte und, nachdem sie die Küche geordnet,
in's Zimmer znrückkehrte, fand sie zwar den Alten wie sonst
in seinem Lehnstuhl sitzend, aber der Lehnstuhl stand nicht
an seinem gewöhnlichen Platz beim Tische, sondern in der
Mitte der Stube, dem geöffneten großen Uhrkasten gegenüber.
Sie sah den Vater fragend an; denn das bedeutete etwas
Besonderes.
„Greth," sagte der Alte, „bist Du fertig in der Küche?"
„Ja, mein Vater. Aber was —"
„Stell' Dich da her zu'mir. — So ist's recht, Greth.
Du weißt, Greth, Deine selige Mutter —"
„Ja, ich weiß es, Vater," unterbrach ihn Greth, welche
glaubte, er wolle wieder seinen wehmüthigen Erinnerungen
an ihre früh verstorbene Mutter nachhängen.
„Nein, Greth," sprach der Alte, „Du weißt nicht, was
ich sagen will. Also hör' mir aufmerksam zu. Du weißt, 1
Deine selige Mutter hat mir nur zwei Dinge hinterlassen, ;
Dich nnd das da."
Er deutete bei diesen Worten auf den Uhrkasten hin,
in welchem hinter dem Perpendikel ein paar Zöpfe anfgehangen
zn sehen waren, welche denjenigen an Greth's Kopfe so ähnlich
waren, als ein Ei dem andern.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die schlimme Greth"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 44.1866, Nr. 1069, S. 3
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg