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Unter der Linde.
Die Revolution in Bullendorf.
des gestrengen Herrn werfend, dos Bassin und eilte, von Be-
gierde getrieben, dem Wirthshause zu.
Hier wollte er sich die Flasche rasch ans der Diele
füllen lassen und dann wieder zurückkehren, aber der Wirth
lud ihn so freundlich ein, iibs Zimmer zu treten und sich
doch einen Augenblick niederzusetzen, daß er nicht widerstehen
konnte; und in dem Gastzimmer saßen noch einige Bauern
welche eine so nngehenchelte Freude zeigten, den Diener des
Gesetzes in ihrer Mitte zu sehen und ein Gläschen mit ihm
zu trinken, daß cs schon Zwölf schlug, als er wieder höchst
unsicheren Schrittes aus seinen Posten znrückkehrte.
Der etwas verlvorrene Zustand seiner Sinne ließ ihn
nicht gleich bemerken, >vas während seiner Abwesenheit ge-
schehen war, und erst die Worte des ihn ablösendeu Gens-
darmen gaben ihm das dunkle Bewußtsein, daß der Neptun
sich entsetzlich verändert habe. Ob der Neptun aber seinen
Kopf verloren habe, oder er selbst, das konnte er nicht mehr
entscheiden, halb schlafend taumelte er nach Hause und warf
sich, so wie er Ivar, auf sein Bett.
Man denke sich die Wuth des Amtmanns, als er-am
nächsten Morgen trotz Griffel und Gensdarm seinen Neptun
ohne Kopf und Dreizack fand.
Wer war der Frevler gewesen? — Niemand wußte
es zu sagen. Griffel mußte für seine Unachtsamkeit auf
einige Tage das Gefängniß beziehen; es wurden Verhöre
und Haussuchungen augestellt, aber Kopf und Dreizack Nep-
tnn's blieben verschwunden, der Thüter wurde nicht entdeckt.
Späterhin schenkten die Bauern ihrem seit der Zeit
grollenden Amtmann die Bildsäule der Göttin Justitia, um
ihn wieder zu versöhnen. Diese wurde seitwärts von dem
Bassin ausgestellt.
Vorübergehende Spötter erzählten einfältigen Fremden,
der Mann ohne Kopf in dem Bassin, ein berüchtigter Ver-
brecher, sei von der Göttin Justitia in Bullendorf ergriffen
und mittelst ihres flammenden Schwertes enthauptet worden.
Zum Andenken an dieses Ereigniß sei diese Gruppe in Stein
vor dem Hause des Amtmanns ausgestellt worden.
Kömmt aber Jemand von den freundlichen Lesern in
die Nähe Bullendorfs, so versehe er sich reichlich mit stark
duftenden Essenzen, denn noch iinmer liegen die Misthaufen
an der Landstraße vor der Thüre.
Eine Wiederholung der Revolution ist aber nicht zu
befürchten, denn der neue Amtmann besitzt keinen Schön-
heitssinn.
Mnthmaßlichc Auflösung
der räthsclhaften Schrift in Nummer 1084:
Tie fragliche Münze hat wahrscheinlich einer Kuriosi-
tätensammlung angehört, und scheinen die auf der Pergament-
Beilage befindlichen Schriftzüge „A'm Andres de sei'
>vor' mir a' lieber als d e dick'do von dem Aegide"
j bloße Randglosse des früheren Besitzers zu sein.
Unter der Linde rings im Kreis'
Da sitzen sie Alle und lauschen,
Wie in dem Abendwinde leis'
Die grünen Blätter rauschen.
„Horcht Kinder, was in süßem Ton
Die Blätter zu uns sagen,
Ein Gruß ist's, den vom fernen Sohn
Die Winde hergetragcn."
Der Alte, ach er ahnet nicht:
Es hat den lieben Knaben
Der Wind, der grüßend zn ihm spricht,
Im Meeresgrund begraben.
Unter der Linde rings im Kreis'
Da sitzen sie Alle und lauschen,
Wie in dem Abendwinde leis'
Die letzten Grüße rauschen.
fninj Neuß.
Unter der Linde.
Die Revolution in Bullendorf.
des gestrengen Herrn werfend, dos Bassin und eilte, von Be-
gierde getrieben, dem Wirthshause zu.
Hier wollte er sich die Flasche rasch ans der Diele
füllen lassen und dann wieder zurückkehren, aber der Wirth
lud ihn so freundlich ein, iibs Zimmer zu treten und sich
doch einen Augenblick niederzusetzen, daß er nicht widerstehen
konnte; und in dem Gastzimmer saßen noch einige Bauern
welche eine so nngehenchelte Freude zeigten, den Diener des
Gesetzes in ihrer Mitte zu sehen und ein Gläschen mit ihm
zu trinken, daß cs schon Zwölf schlug, als er wieder höchst
unsicheren Schrittes aus seinen Posten znrückkehrte.
Der etwas verlvorrene Zustand seiner Sinne ließ ihn
nicht gleich bemerken, >vas während seiner Abwesenheit ge-
schehen war, und erst die Worte des ihn ablösendeu Gens-
darmen gaben ihm das dunkle Bewußtsein, daß der Neptun
sich entsetzlich verändert habe. Ob der Neptun aber seinen
Kopf verloren habe, oder er selbst, das konnte er nicht mehr
entscheiden, halb schlafend taumelte er nach Hause und warf
sich, so wie er Ivar, auf sein Bett.
Man denke sich die Wuth des Amtmanns, als er-am
nächsten Morgen trotz Griffel und Gensdarm seinen Neptun
ohne Kopf und Dreizack fand.
Wer war der Frevler gewesen? — Niemand wußte
es zu sagen. Griffel mußte für seine Unachtsamkeit auf
einige Tage das Gefängniß beziehen; es wurden Verhöre
und Haussuchungen augestellt, aber Kopf und Dreizack Nep-
tnn's blieben verschwunden, der Thüter wurde nicht entdeckt.
Späterhin schenkten die Bauern ihrem seit der Zeit
grollenden Amtmann die Bildsäule der Göttin Justitia, um
ihn wieder zu versöhnen. Diese wurde seitwärts von dem
Bassin ausgestellt.
Vorübergehende Spötter erzählten einfältigen Fremden,
der Mann ohne Kopf in dem Bassin, ein berüchtigter Ver-
brecher, sei von der Göttin Justitia in Bullendorf ergriffen
und mittelst ihres flammenden Schwertes enthauptet worden.
Zum Andenken an dieses Ereigniß sei diese Gruppe in Stein
vor dem Hause des Amtmanns ausgestellt worden.
Kömmt aber Jemand von den freundlichen Lesern in
die Nähe Bullendorfs, so versehe er sich reichlich mit stark
duftenden Essenzen, denn noch iinmer liegen die Misthaufen
an der Landstraße vor der Thüre.
Eine Wiederholung der Revolution ist aber nicht zu
befürchten, denn der neue Amtmann besitzt keinen Schön-
heitssinn.
Mnthmaßlichc Auflösung
der räthsclhaften Schrift in Nummer 1084:
Tie fragliche Münze hat wahrscheinlich einer Kuriosi-
tätensammlung angehört, und scheinen die auf der Pergament-
Beilage befindlichen Schriftzüge „A'm Andres de sei'
>vor' mir a' lieber als d e dick'do von dem Aegide"
j bloße Randglosse des früheren Besitzers zu sein.
Unter der Linde rings im Kreis'
Da sitzen sie Alle und lauschen,
Wie in dem Abendwinde leis'
Die grünen Blätter rauschen.
„Horcht Kinder, was in süßem Ton
Die Blätter zu uns sagen,
Ein Gruß ist's, den vom fernen Sohn
Die Winde hergetragcn."
Der Alte, ach er ahnet nicht:
Es hat den lieben Knaben
Der Wind, der grüßend zn ihm spricht,
Im Meeresgrund begraben.
Unter der Linde rings im Kreis'
Da sitzen sie Alle und lauschen,
Wie in dem Abendwinde leis'
Die letzten Grüße rauschen.
fninj Neuß.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Unter der Linde"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)