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Praktisch u
reichsten Maße vor den Angen dcS wonnetrunkenen Schwagers
zu enthüllen. Sie war in der Unterhaltung geistreich, ein
treffendes Wortspiel jagte das andere. Sie hatte noch nie
so meisterhaft gespielt, noch nie so scelenvoll gesungen, alö
an diesem ersten Abend.
Der Abend verfloß dem glücklichen Schwager wie ein
schöner Traum, und als er sich zur Ruhe begebe», dachte er
noch lange über die Verschiedenheit der beiden Schwestern und
über die Laune des widrigen Schicksals nach, das ihn an ein
Wesen gekettet, welches ihm so durchaus fremd gegenüber stand,
j Wie, hätte sich' sein Leben an der Hand eines so reizenden
: Geschöpfes, wie Louise war, um so vieles freundlicher gcstal-
j teil müssen! Er sah nur einen bodenlosen Abgrund vor sich,
' aus welchem ihm auch kein einziger Hoffnungsstern für die
Zukunft entgegcnschimmcrte.
Der Morgen kam nach einer fast schlaflos verbrachten
Nacht. Scefcld hatte bereits an dem niedlichen Tische Platz
genommen, von dem ihm der Kaffee lieblich entgcgendampfte.
Sein Auge war auf die Thüre geheftet, er hoffte von Minute
zu Minute, daß die reizende Schwägerin eintrcten werde.
Allein er hatte vergeblich gehofft. Als fast eine Stunde ver-
gangen und die schöne Schwägerin immer noch nicht er-
schienen war, mußte er sich dazu bequemen, den Morgen-
imbiß allein zu nehmen, doch er fand es so natürlich, daß
Louise, ermüdet von der Reise, heute etwas lange der Ruhe
pflegte. Er wartete geduldig bis zehn Uhr, obwohl ihn seine
Pflicht schon um neun Uhr in das Amthaus gerufen. Alö er
aber daö Hausmädchen noch einigemal an die Thüre von
Louisens Schlafzimmer gesendet hatte und dieses immer mit
der Nachricht zurückgekommen war, daß sich drinnen noch
nichts rege, verließ er endlich mißmuthig das Haus und be-
schäftigte sich unterwegs mit der Frage: ob Louise wohl jeden
Morgen einer solchen Liebhaberei, erst gegen Mittag aufzu-
stehen, nachhcingc.
Als er nach zwölf Uhr wieder nach Haus kam, tönten
ihm schon in der Hausflur die Klänge des Klaviers und der
Gesang Louisens entgegen. Er trat leise in das Zimmer
und stellte sich hinter die Spielende, die schon im vollendeten
Schmuck da saß und, ohne den Eintretcndcn bemerkt zu haben,
weiter spielte. Als daö Spiel zu Ende war, drehte sie sich
um und gewahrte jetzt erst den hinter ihr stehenden Schwager,
dem sic mit einem bezaubernden Lächeln einen guten Morgen
wünschte.
„Der Morgen ist scheu, vorüber, Louise," sagte Scefcld
lächelnd.
„Wie, ist cö schon so spät?" cntgegnete sie verwundert.
„Es ist fast 1 Uhr," begann Secfeld wieder, indem er
nach dem in der Mitte des Zimmers stehenden Tisch blickte,
der sonst um diese Zeit bereits für das Mittagscssen gedeckt war.
„Ich denke nie an die Tageszeit," sagte Louise leicht
scherzend; „cs scheint mir einfältig, uns den Tag nach be-
stimmten Pflichten einzutheilcn, ich treibe zu jeder Stunde
nur daö, was mir Vergnügen macht. Lasse uns jetzt noch
ein Stündchen zusammen spielen!"
n d Ideal.
„Wollen wir nicht lieber erst zu Mittag speisen?" ent-
gcgncte Scefcld kleinlaut. „Wenn man ein paar Stunden
auf der Amtsstube gcseffen —"
„Wie Du willst," siel Louise sichtbar verstimmt ein,
„lasse nur auftragcn."
Secfeld zog einigemal die Glocke, allein eö erschien kein
Dienstmädchen. Er warf einigemal schüchterne Blicke auf
Louise; diese aber hatte sich wieder an dem Klavier nieder-
gelassen und sich ganz in ein Präludium über das Thema
„Weg mit den Grillen und Sorgen" vertieft. Dem rath-
losen Affeffor blieb zuletzt nichts anderes übrig, als selbst den
Weg zur Küche anzutretcn. Hier wartete aber seiner ein herz-
zerreißender Anblick. Daö arme Dienstmädchen saß in einer
Ecke der Küche und weinte bitterlich. Auf daö Zureden dcö
Assessors sagte sie schluchzend: „Ich habe Madame gebeten,
sie möge in die Küche kommen, aber sic hat mir erwidert,
ich solle kochen, was ich wolle — ach, und ich kann noch
nicht allein kochen. Wenn nur Ihre gute Frau wieder da
wäre, sie war so freundlich und hat mir Alles gesagt und
selbst dabei geholfen."
Secfeld kehrte, ohne ein Wort zu erwidern, in das Zimmer
zurück, trat zu der noch immer vor dem Klavier sitzenden
Louise und sagte zu ihr:
„Liebe Louise, willst Du Dich nicht etwas der Küche
annehmen, das arme Mädchen versteht noch nicht ein Essen
allein herzurichten?"
Die Angcrcdcte stand rasch auf, stampfte ein wenig mit
dem Fuße auf und erwiderte dann:
„Bin ich denn auch hier nicht von diesen gemeinen Ar-
beiten verschont! Wenn Du haben willst, daß ich noch einige
Tage hier bleiben soll, mußt Du eine Köchin in daö Haus
schaffen — so geht eö nicht."
„Aber," warf Scefcld schüchtern ein, „Du führst doch,
wie ich weiß, auch daheim die Haushaltung?"
„Ja," entgcgnetc Louise, „aber mein Mann verlangt
nicht das Esten zu einer bestimmten Stunde; er richtet sich
ganz nach mir, wir essen um zwölf, ein, zwei, drei, vier
Uhr, wie ich gerade dazu disponirt bin."
„Aber ist denn damit Dein Mann zufrieden?" fragte
Scefcld.
„Mein Mann weiß, daß ich keinen Widerspruch ver-
trage , er fügt sich, wie jeder gute Mann thun soll, ganz
in die Launen seiner Frau."
(Schluß folgt.)
Praktisch u
reichsten Maße vor den Angen dcS wonnetrunkenen Schwagers
zu enthüllen. Sie war in der Unterhaltung geistreich, ein
treffendes Wortspiel jagte das andere. Sie hatte noch nie
so meisterhaft gespielt, noch nie so scelenvoll gesungen, alö
an diesem ersten Abend.
Der Abend verfloß dem glücklichen Schwager wie ein
schöner Traum, und als er sich zur Ruhe begebe», dachte er
noch lange über die Verschiedenheit der beiden Schwestern und
über die Laune des widrigen Schicksals nach, das ihn an ein
Wesen gekettet, welches ihm so durchaus fremd gegenüber stand,
j Wie, hätte sich' sein Leben an der Hand eines so reizenden
: Geschöpfes, wie Louise war, um so vieles freundlicher gcstal-
j teil müssen! Er sah nur einen bodenlosen Abgrund vor sich,
' aus welchem ihm auch kein einziger Hoffnungsstern für die
Zukunft entgegcnschimmcrte.
Der Morgen kam nach einer fast schlaflos verbrachten
Nacht. Scefcld hatte bereits an dem niedlichen Tische Platz
genommen, von dem ihm der Kaffee lieblich entgcgendampfte.
Sein Auge war auf die Thüre geheftet, er hoffte von Minute
zu Minute, daß die reizende Schwägerin eintrcten werde.
Allein er hatte vergeblich gehofft. Als fast eine Stunde ver-
gangen und die schöne Schwägerin immer noch nicht er-
schienen war, mußte er sich dazu bequemen, den Morgen-
imbiß allein zu nehmen, doch er fand es so natürlich, daß
Louise, ermüdet von der Reise, heute etwas lange der Ruhe
pflegte. Er wartete geduldig bis zehn Uhr, obwohl ihn seine
Pflicht schon um neun Uhr in das Amthaus gerufen. Alö er
aber daö Hausmädchen noch einigemal an die Thüre von
Louisens Schlafzimmer gesendet hatte und dieses immer mit
der Nachricht zurückgekommen war, daß sich drinnen noch
nichts rege, verließ er endlich mißmuthig das Haus und be-
schäftigte sich unterwegs mit der Frage: ob Louise wohl jeden
Morgen einer solchen Liebhaberei, erst gegen Mittag aufzu-
stehen, nachhcingc.
Als er nach zwölf Uhr wieder nach Haus kam, tönten
ihm schon in der Hausflur die Klänge des Klaviers und der
Gesang Louisens entgegen. Er trat leise in das Zimmer
und stellte sich hinter die Spielende, die schon im vollendeten
Schmuck da saß und, ohne den Eintretcndcn bemerkt zu haben,
weiter spielte. Als daö Spiel zu Ende war, drehte sie sich
um und gewahrte jetzt erst den hinter ihr stehenden Schwager,
dem sic mit einem bezaubernden Lächeln einen guten Morgen
wünschte.
„Der Morgen ist scheu, vorüber, Louise," sagte Scefcld
lächelnd.
„Wie, ist cö schon so spät?" cntgegnete sie verwundert.
„Es ist fast 1 Uhr," begann Secfeld wieder, indem er
nach dem in der Mitte des Zimmers stehenden Tisch blickte,
der sonst um diese Zeit bereits für das Mittagscssen gedeckt war.
„Ich denke nie an die Tageszeit," sagte Louise leicht
scherzend; „cs scheint mir einfältig, uns den Tag nach be-
stimmten Pflichten einzutheilcn, ich treibe zu jeder Stunde
nur daö, was mir Vergnügen macht. Lasse uns jetzt noch
ein Stündchen zusammen spielen!"
n d Ideal.
„Wollen wir nicht lieber erst zu Mittag speisen?" ent-
gcgncte Scefcld kleinlaut. „Wenn man ein paar Stunden
auf der Amtsstube gcseffen —"
„Wie Du willst," siel Louise sichtbar verstimmt ein,
„lasse nur auftragcn."
Secfeld zog einigemal die Glocke, allein eö erschien kein
Dienstmädchen. Er warf einigemal schüchterne Blicke auf
Louise; diese aber hatte sich wieder an dem Klavier nieder-
gelassen und sich ganz in ein Präludium über das Thema
„Weg mit den Grillen und Sorgen" vertieft. Dem rath-
losen Affeffor blieb zuletzt nichts anderes übrig, als selbst den
Weg zur Küche anzutretcn. Hier wartete aber seiner ein herz-
zerreißender Anblick. Daö arme Dienstmädchen saß in einer
Ecke der Küche und weinte bitterlich. Auf daö Zureden dcö
Assessors sagte sie schluchzend: „Ich habe Madame gebeten,
sie möge in die Küche kommen, aber sic hat mir erwidert,
ich solle kochen, was ich wolle — ach, und ich kann noch
nicht allein kochen. Wenn nur Ihre gute Frau wieder da
wäre, sie war so freundlich und hat mir Alles gesagt und
selbst dabei geholfen."
Secfeld kehrte, ohne ein Wort zu erwidern, in das Zimmer
zurück, trat zu der noch immer vor dem Klavier sitzenden
Louise und sagte zu ihr:
„Liebe Louise, willst Du Dich nicht etwas der Küche
annehmen, das arme Mädchen versteht noch nicht ein Essen
allein herzurichten?"
Die Angcrcdcte stand rasch auf, stampfte ein wenig mit
dem Fuße auf und erwiderte dann:
„Bin ich denn auch hier nicht von diesen gemeinen Ar-
beiten verschont! Wenn Du haben willst, daß ich noch einige
Tage hier bleiben soll, mußt Du eine Köchin in daö Haus
schaffen — so geht eö nicht."
„Aber," warf Scefcld schüchtern ein, „Du führst doch,
wie ich weiß, auch daheim die Haushaltung?"
„Ja," entgcgnetc Louise, „aber mein Mann verlangt
nicht das Esten zu einer bestimmten Stunde; er richtet sich
ganz nach mir, wir essen um zwölf, ein, zwei, drei, vier
Uhr, wie ich gerade dazu disponirt bin."
„Aber ist denn damit Dein Mann zufrieden?" fragte
Scefcld.
„Mein Mann weiß, daß ich keinen Widerspruch ver-
trage , er fügt sich, wie jeder gute Mann thun soll, ganz
in die Launen seiner Frau."
(Schluß folgt.)