110
Ucb er Heines Loreley.
Aus dem literarischen Nachlaß unseres vor Kurzem verblichenen Or. Anastasius Trätschmeier.
Traurige Gedanken kamen über mich, als ich den lite-
, rarischen Nachlaß des wackeren Trätschmcier ordnete und
namentlich die Ouantität seiner Leistungen bewundern mußte.
Viele und boshafte Feinde hatte der Wackere. Man
behauptete sogar von gewisser Seite, lügnerischer Weise, Trätsch-
meiers philosophisches Denken sei, da er in sehr geordneten,
ja sogar behäbigen Verhältnistcn gelebt, nie über den Satz:
„selber essen macht fett," hinausgckommen, und über seine
schriftstellerische Thätigkeit wurde nicht minder ungerecht und
j absprechend geurtheilt.
Ja, die schriftstellerische Thätigkeit Trätschmcicrs ist es,
welche mir das Material liefert, seine hämischen Feinde zum
Schweigen zu bringen, und ihnen die Larve vom Antlitz zu
i reißen, wo alsdann Neid und Haß zu Tage treten müssen.
Hoher sittlicher Ernst, starke Abneigung gegen alles Frivole
, durchweht die Schriften des Verewigten, und sein scharfer
Blick durchdrang jede Hülle, wie dicht dieselbe auch immer
gewebt sein mochte, seine Alles zersetzende Logik brach jede
: Schale unv löste den wahren Kern heraus.
Nach dem so eben Gesagten wird man es natürlich fin-
den, daß Trätschmeier niemals an den Schriften seines Zeit-
genossen „Heine" Gefallen fand. Anastasius konnte sich nicht
! befreunden mit der leichten Manier, in welcher dieser Dichter
so häufig über Dinge und Institutionen sprach, vor denen
Trätschmcier unbegrenzte Ehrfurcht hatte.
Ein schlagendes Beispiel für die brillante Kritik des
großen Mannes geben uns folgende Zeilen desselben, in wel-
chen er Hcinc's Gedicht „die Loreley" bespricht. Das betref-
fende Manuscript lautet:
Herr Heinrich Heine kann sich nicht beklagen, daß ich
ihn je zu strenge beurtheilt habe, denn stets dachte ich beim
' Lesen seiner Schriften mit Faust: „Auch solche Käuze muß
es geben." Die übergroße Nachsicht aber, welche jener Herr
Seitens der deutschen Kritik fand, ermuthigcn ihn, wie es
scheint, dem deutschen Volke immer neue Pasquills in's Ant-
litz zu schleudern, in welchen er, durch ihr Alter ehrwürdige
! Institutionen beleidigt und verspottet, ja selbst das Beste und
j Schönste nicht unvcrschont läßt.
Fast immer geschieht dies offen; mitunter aber ist er
auch bemüht, seine Schmähschriften in ein unschuldiges Aeußcre
' zu kleiden, in dem Glauben, so den geübten Blick deutscher
Censoren und Gelehrten zu täuschen.
Ein neues Opus lctztgcdachter Art ist sein Gedicht: die
Loreley. Zu meinem Befremden habe ich nirgendwo in einer
mir zu Gesicht gekommenen Kritik die Wahrnehmung gemacht,
daß auch nur einer der Beurthciler dieses Heine'schcn Pro-
duktes die wahre Tendenz destelbcn erkannt hätte. Und doch
! tritt dieselbe vor dem geübten Blick sofort zu Tage.
Der Sinn des PoömS läuft doch offenbar auf Ver-
i spottung der hohen Obrigkeit hinaus, wie ich mit der mir
eigenen kurzen schlagenden Darstellungswcisc in wenigen Zügen
darlegen werde. Beiläufig gesagt, krankt das ganze OpuS
an einer bodenlosen Mittelmäßigkeit:
Wenn beispielsweise Herr Heine beginnt:
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin,
so weiß man in der That nicht, was man zu einem solchen
Anfänge sagen soll. Wenn der Verfasser den Grund seiner
Traurigkeit nicht angeben kann, wer soll ihn denn sonst
wissen? Wie kann denn ein Mann, der mit sich über seine
Empfindungen nicht im Klaren ist, Verse machen!?
Ein Märchen kommt ihm nicht aus dem Sinn! Nicht
übel! Also mit Märchen will Heine das 19. Jahrhundert
in die Kinderstube zurück versetzen? — Doch nein! Dieses
„Märchen" ist ja nur eine Maske für sein Pasquill.
Wem wären solche tendenziösen „Märchen" unbekannt?
Doch weiter im Text: Folgt nun eine Wetterbeschrcibung,
aus welcher wir lernen, daß der Rhein ruhig fließt und die
Sonne noch immer ihrer alten Gewohnheit huldigt, beim
Niedergänge die Gipfel der Berge am längsten zu bescheinen.
Nun zeigt sich der Pferdefuß:
Die schönste Jungfrau sitzet auf einem Felsen und
kämmt ihr goldenes Haar mit goldenem Kamme! Besagtes
Frauenzimmer führt den verdächtigen Namen Loreley, und
singt Lieder (!), welche eine gewaltige Melodei haben. Vom Text
ist nirgends die Rede.
Wo — so frage ich — ist cs bei den geordneten Zu-
ständen unseres Vaterlandes möglich, daß ein Frauenzimmer,
welches den verdächtig klingenden Namen Loreley führt, an
offener Waflcrstraßc Toilette machen und Lieder singen darf,
deren Text selbst Heine zu unterdrücken für gut findet? (Daß
er dieses Mädchen eine Jungfrau nennt, ist offenbar einer
seiner bekannten Witze.)
Bei der inneren Unwahrscheinlichkeit also, daß jeneS
Ucb er Heines Loreley.
Aus dem literarischen Nachlaß unseres vor Kurzem verblichenen Or. Anastasius Trätschmeier.
Traurige Gedanken kamen über mich, als ich den lite-
, rarischen Nachlaß des wackeren Trätschmcier ordnete und
namentlich die Ouantität seiner Leistungen bewundern mußte.
Viele und boshafte Feinde hatte der Wackere. Man
behauptete sogar von gewisser Seite, lügnerischer Weise, Trätsch-
meiers philosophisches Denken sei, da er in sehr geordneten,
ja sogar behäbigen Verhältnistcn gelebt, nie über den Satz:
„selber essen macht fett," hinausgckommen, und über seine
schriftstellerische Thätigkeit wurde nicht minder ungerecht und
j absprechend geurtheilt.
Ja, die schriftstellerische Thätigkeit Trätschmcicrs ist es,
welche mir das Material liefert, seine hämischen Feinde zum
Schweigen zu bringen, und ihnen die Larve vom Antlitz zu
i reißen, wo alsdann Neid und Haß zu Tage treten müssen.
Hoher sittlicher Ernst, starke Abneigung gegen alles Frivole
, durchweht die Schriften des Verewigten, und sein scharfer
Blick durchdrang jede Hülle, wie dicht dieselbe auch immer
gewebt sein mochte, seine Alles zersetzende Logik brach jede
: Schale unv löste den wahren Kern heraus.
Nach dem so eben Gesagten wird man es natürlich fin-
den, daß Trätschmeier niemals an den Schriften seines Zeit-
genossen „Heine" Gefallen fand. Anastasius konnte sich nicht
! befreunden mit der leichten Manier, in welcher dieser Dichter
so häufig über Dinge und Institutionen sprach, vor denen
Trätschmcier unbegrenzte Ehrfurcht hatte.
Ein schlagendes Beispiel für die brillante Kritik des
großen Mannes geben uns folgende Zeilen desselben, in wel-
chen er Hcinc's Gedicht „die Loreley" bespricht. Das betref-
fende Manuscript lautet:
Herr Heinrich Heine kann sich nicht beklagen, daß ich
ihn je zu strenge beurtheilt habe, denn stets dachte ich beim
' Lesen seiner Schriften mit Faust: „Auch solche Käuze muß
es geben." Die übergroße Nachsicht aber, welche jener Herr
Seitens der deutschen Kritik fand, ermuthigcn ihn, wie es
scheint, dem deutschen Volke immer neue Pasquills in's Ant-
litz zu schleudern, in welchen er, durch ihr Alter ehrwürdige
! Institutionen beleidigt und verspottet, ja selbst das Beste und
j Schönste nicht unvcrschont läßt.
Fast immer geschieht dies offen; mitunter aber ist er
auch bemüht, seine Schmähschriften in ein unschuldiges Aeußcre
' zu kleiden, in dem Glauben, so den geübten Blick deutscher
Censoren und Gelehrten zu täuschen.
Ein neues Opus lctztgcdachter Art ist sein Gedicht: die
Loreley. Zu meinem Befremden habe ich nirgendwo in einer
mir zu Gesicht gekommenen Kritik die Wahrnehmung gemacht,
daß auch nur einer der Beurthciler dieses Heine'schcn Pro-
duktes die wahre Tendenz destelbcn erkannt hätte. Und doch
! tritt dieselbe vor dem geübten Blick sofort zu Tage.
Der Sinn des PoömS läuft doch offenbar auf Ver-
i spottung der hohen Obrigkeit hinaus, wie ich mit der mir
eigenen kurzen schlagenden Darstellungswcisc in wenigen Zügen
darlegen werde. Beiläufig gesagt, krankt das ganze OpuS
an einer bodenlosen Mittelmäßigkeit:
Wenn beispielsweise Herr Heine beginnt:
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin,
so weiß man in der That nicht, was man zu einem solchen
Anfänge sagen soll. Wenn der Verfasser den Grund seiner
Traurigkeit nicht angeben kann, wer soll ihn denn sonst
wissen? Wie kann denn ein Mann, der mit sich über seine
Empfindungen nicht im Klaren ist, Verse machen!?
Ein Märchen kommt ihm nicht aus dem Sinn! Nicht
übel! Also mit Märchen will Heine das 19. Jahrhundert
in die Kinderstube zurück versetzen? — Doch nein! Dieses
„Märchen" ist ja nur eine Maske für sein Pasquill.
Wem wären solche tendenziösen „Märchen" unbekannt?
Doch weiter im Text: Folgt nun eine Wetterbeschrcibung,
aus welcher wir lernen, daß der Rhein ruhig fließt und die
Sonne noch immer ihrer alten Gewohnheit huldigt, beim
Niedergänge die Gipfel der Berge am längsten zu bescheinen.
Nun zeigt sich der Pferdefuß:
Die schönste Jungfrau sitzet auf einem Felsen und
kämmt ihr goldenes Haar mit goldenem Kamme! Besagtes
Frauenzimmer führt den verdächtigen Namen Loreley, und
singt Lieder (!), welche eine gewaltige Melodei haben. Vom Text
ist nirgends die Rede.
Wo — so frage ich — ist cs bei den geordneten Zu-
ständen unseres Vaterlandes möglich, daß ein Frauenzimmer,
welches den verdächtig klingenden Namen Loreley führt, an
offener Waflcrstraßc Toilette machen und Lieder singen darf,
deren Text selbst Heine zu unterdrücken für gut findet? (Daß
er dieses Mädchen eine Jungfrau nennt, ist offenbar einer
seiner bekannten Witze.)
Bei der inneren Unwahrscheinlichkeit also, daß jeneS
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ueber Heines Loreley"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 48.1868, Nr. 1186, S. 110
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg