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Das Luftbad.

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das sei unmöglich und der Körper schon zu sehr daran ge-
wöhnt. Der Geheime Negieruugsrath meinte dann auch wohl
resiguirt: „wozu auch, ich habe doch nur noch eine so kurze
i Spanne Zeit zu leben, und will mir daher wenigstens
! nicht unnöthige Entbehrungen auferlegen."

Der Doktor schlug nun ein anderes, unfehlbares Mittel
vor, um ihn allen derartigen Phantasieen zu entziehen und
auf andere Gedanken zu bringen — nämlich zu heirathen.
Aber auch das wies der Patient entschieden von der Hand,
obgleich er mit seinem Alter — er war erst 48 Jahre alt

— noch immer Zeit dazu hatte. Erstlich wußte er Nie-
, wanden, wenigstens keine junge Dame, die er für würdig

befunden hätte, so auf einmal zur Geheimen Regierungsräthin
zu machen und überdies behauptete er, sie würde den Titel
„verwittwete" doch augenblicklich dazu bekommen.

Ur. Asmus verlor endlich die Geduld. Erstlich hatte er
gerade in dieser Zeit außerordentlich viel zu thun, da ein
hartnäckig auftretender Typhus in der Stadt grassirte, und
' eö paßte ihm dabei gar nicht, jeden Augenblick zu einem Pa-
tienten gerufen zu werden, der seinem Rath doch nicht folgte,
weil er sich über seinen wahren Zustand täuschte. Mit dem
mußte er deßhalb ein anderes Mittel versuchen, und ihn da-
bei auch womöglich auf eine Zeitlang los werden. Aber
wohin mit ihm? In irgend ein Bad? Der dortige Badearzt
würde augenblicklich gemerkt haben, daß ihm gar Nichts fehle
und er durfte sich vor einem Kollegen, der die näheren Um-
stände nicht kannte, keinesfalls soweit blamiren, den Zustand
seines Patienten falsch bcurtheilt zu haben. Dabei wurde die
Quälerei des Geheimen Rcgierungsraths immer unerträg-
licher, denn er hatte ihn in der letzten Woche sogar zweimal
mitten in der Nacht herausklingeln lassen, weil er behauptete,
keine Luft mehr zu bekommen. Dem mußte unter jeder Be-
dingung ein Ende gemacht werden.

„Regierungsrath!" sagte der Doktor eines TagcS zu
ihm, als er ihn wieder besuchte, denn er ließ den „Geheimen"
immer hartnäckig weg, „Ihr Zustand fängt an, mir selber
Besorgniß zu erregen."

„Und Sie haben cs mir immer nicht glauben wollen,
Doktor," wimmerte der Kranke erschreckt, „ach, ich fühlte den
Wurm, der an mir fraß."

„Ein Wurm?" sagte der Doktor ernsthaft, indem er
ihn stier ansah — „Sie haben eine Million Würmer in
sich. Sie stecken voll Trichinen."

„So bin ich verloren," stöhnte der Unglückliche und sank
wie vernichtet auf seinen Stuhl zurück.

„Bah, deßhalb noch lange nicht," erwiderte aber der
Arzt, indem er ein chirurgisches Besteck aus der Tasche nahm

— „jedenfalls muß ich Sic untersuchen, um vorher Gewiß-
heit zu bekommen."

„Aber, beßter Doktor," fuhr der Geheime Rcgieruugs-
rath wieder in die Höhe, denn er hatte einen heiligen Respekt
vor der Harpune, „das ist ja doch rein unmöglich, denn ich
habe von dem Moment an, als das erste Mal das entsetzliche

Wort Trichine in einer Zeitung stand, keinen Bissen Schweine-
fleisch mehr genossen."

„Das ist gleichgiltig," sagte der Doktor ruhig, „Sie
können sie auch in anderem Fleisch von einem nicht ordent-
lich gereinigten Hackklotz bekommen haben; das ist schon mehr-
fach vorgefallen. Kommen Sie nur her, es thut nicht weh;
es hilft eben Nichts, wir müssen die Gewißheit haben,
nachher kurire ich Sie rasch genug."

„Sie mich kuriren?" sagte der Geheime Negierungsrath
wehmüthig, ,,cö gibt ja noch gar kein Mittel dagegen."

„Wir hatten noch keines entdeckt," nickte der Doktor,
„aber die Amerikaner, praktisches Volk wie immer, sind der
Sache auf die Spur gekommen. Ich wette einen Korb Cham-
pagner mit Ihnen, daß ich Sie in vier Wochen, wenn Sic
meinen Rath genau befolgen, vollständig wieder hergcstellt
habe. Verlangen Sie mehr? Aber ich kann mich hier nicht
eine Stunde lang zu Ihnen hersetzen, denn meine anderen
Patienten warten. Ziehen Sie einmal den Nock aus und
streifen Sic Ihren Hemdärmel in die Höhe."

„Aber ist das wirklich unumgänglich nothwcndig?"

„Machen Sie doch keine Umstände wegen einem solchen
Quark," sagte der Doktor und ließ dabei dem Patienten
auch gar keine Zeit mehr, sich zu besinnen. Er half ihn:
selber den Rock ausziehen und hatte in wenigen Minuten ihm
ein Stück Fleisch mit der Harpune aus dem Arm geholt, das
er dann sorgfältig in ein Stück Papier wickelte und erst dann
dem leise vor sich hin Wimmernden einen Verband umlegte.

„So," sagte er dabei, „jetzt machen Sie sich keine Sor-
gen weiter. Sobald wir nur erst einmal Ihre Krankheit
constatirt haben, wollen wir ihr schon auf den Leib rücken.
Das Gefährliche an der Sache war, daß wir bis jetzt nicht i
wußten, wo wir sie angreifen sollten und glauben Sie mir, !
zahllose Menschen sind schon an dieser Ungewißheit zu Grunde !
gegangen."

„Aber welch' ein Mittel halten Sie für —"

„Erst muß ich mich überzeugen, daß meine Vcrmuthung :
wirklich begründet war," unterbrach ihn der Arzt, indem er !
seinen Hut ergriff; „heut' Nachmittag komme ich wieder her
und bringe Ihnen Gewißheit. Trinken Sic gewöhnlich Wein
bei Tisch?"

„Das ist noch das Einzige, womit ich mich bis jetzt
am Leben erhalten habe?" seufzte der Kranke.

„Was für welchen?"

„Sic kennen ja meine Schwäche," lächelte der Geheime
Regierungsrath wehmüthig — „Bocköbeutel."

„Ja, den schwersten, den cs gibt — nun bis ich mich
nicht überzeugt habe, will ich Nichts sagen, ist aber, was ich
befürchte, wirklich der Fall, so müssen Sie dem entsagen oder
Sie sind — ein verlorener Mann."

„Aber Spirituosen sollten doch gerade —"

„Nachmittag komme ich wieder her," brach der Doktor
kurz ab, „und noch Eines — sprechen Sie mit keinem Men-
schen darüber. Ich möchte nicht gern, daß Sie das Gerede
der Stadt würden und Ihr Fall nachher mit vollem Namen
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