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Ein Märchen aus dem Ricscngebirge.

nicht mehr da. Wohl aber lag auf dem Tische ein Zettcl-
cheu, und darauf stand:

Lieber Franzl! Du hast Dich gestern gegen einen armen
Mann liebreich und barmherzig gezeigt und gethan, was Du
I konntest, um seine Noth zu lindern. Dadurch hast Du Dir,
ohne es zu wissen und zu wollen, einen Freund erworben,
der für Dich und Deine Elsbeth, das herzige Kind, etwas
zu thun Willens und auch im Stande ist, wofern Ihr nur,
wie bisher, Eures Herzens Stimme folgt und Euch dadurch
seiner Hülfe völlig würdig macht. Vorderhand verlange ich
nur von Dir, daß Du das Päckchen, das in der Tischlade
liegt, dem Onkel Elsbeths übergibst, und, solange cs nichts
Unrechtes ist, thust, was er verlangt.

Dein Freund

Rübezahl, Herrscher dcö Riescngebirgs.

Franzl stand nach dem Lesen dieses Zettels einen Augen-
i blick ganz betroffen da, denn er wußte nicht, sollte er den
Fremden für einen Betrüger halten, oder sollte er glauben,
daß er den Berggeist Rübezahl, von dem er schon so vieles
Gute gehört hatte, bewirthet habe. Als er aber die Tischlade
öffnete und in derselben wirklich ein Päckchen, das an
Elsbeths Ohm überschrieben war, fand, beschloß er, den
Auftrag dcö Fremden auszuführen und den Verlauf der
Sache abzuwarten. Gedacht, gethan. Er nahm das Päck-
chen, daö ihm sehr schwer vorkam, aus der Tischlade heraus
und machte sich auf den Weg zu Elsbeths Wohnung. Als er
in dieses Haus, in das er schon seit Jahren keinen Fuß
hineinzusetzeu gewagt hatte, trat, traf er auf der Hausflur
seine Elsbeth au, die über sein Erscheinen nicht wenig er-
staunt war. Als er ihr aber mittheilte, waö ihm mit seinem
Gaste begegnet, leuchtete ihr Gesicht alsbald im Aus-
drucke der reinsten Freude, und sie erklärte zuversichtlich, ihrer
festeil Ucbcrzeuguug nach sei der Fremde wirklich kein anderer
j gewesen, als Rübezahl, und sie sehe in die Hülfe dieses edelu
Geistes all ihr Vertrauen. Und wem will das unglaublich

: Vorkommen? Der weibliche Sinn ist ja stets für den Glau-

: ben an'ö Wunderbare mehr empfänglich, als der männliche,
und wo in der Seele des Manucs noch lange starker Zweifel
' obwaltet, hat sich in der des Weibcö oft schon ein fester

: Glaube eingebürgert. So war cS auch bei Elsbeth. Dcß-

halb wies sic frohen Muthes Franzl die Thüre zu der
Stube ihres Ohms, und derselbe klopfte an pochenden Hcr-
: zens, aber durch die Worte Elöbcthö doch auch merklich ge-
stärkt. Er mußte jedoch sein Klopfen mehrmals wieder-
> holen, obgleich ein deutliches Hin- und Herschlüpfen erkennen
j ließ, daß sich Jemand im Zimmer befinde. Endlich erfolgte
’ ein knurrendes „Herein!" Franzl öffnete die Thüre und sah
eben noch, wie der Alte den Deckel einer schweren, eiser-
nen Truhe zuschlug, in welcher er ohne Zweifel seinen
Mammon verwahrt hielt. Als er aber Franzl gewahrte,
fuhr ein Zug äußersten Hasses über seine vergilbten Züge
| hin, und er rief ihm mit zorniger Stimme zu: „Was hast Du
hier zu suchen, Du Lotterbube, marsch! mach' daß Du aus
I meinem Hause hinauskommst!" Franzl, der einen solchen Aus-

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bruch erwartet hatte, nahm sich, obgleich er tief darüber
empört war, doch so gut als möglich zusammen und sagte
mit unsicherer Stimme: „Herr Nachbar, nehmt mein Kom-
men nicht für ungut und seid überzeugt, daß ich nicht aus
eigenem Antrieb Euer Haus betreten, wenn mir nicht Je-
mand ein Päckchen an Euch übergeben hätte, in welchem
dem Anschein nach Geld ist." Bei dem Worte „Geld" hellte
sich das Gesicht des Alten sichtlich auf, und er sagte möglichst
freundlich: „Nun so! Das ist etwas Anderes, laßt einmal
sehen, Herr Nachbar."

Franzl reichte ihm das Päckchen hin, und der Alte
brach eö mit zitternder Hast auf. Und welche Ueberraschung
ward ihm da zu Thcil. Gold, blankes Gold lachte ihm ent-
gegen, und zwar viel, viel Gold. Neben dem Golde aber !
lag ein Päckchen und ein Zettclcheu, und auf dem Zcttelchcn
stand geschrieben: „Beiliegende 500 Goldgulden sind das

Heirathgut, das ein Freund der Elsbeth und ihres Liebsten,
des Franzl, denselben zum Geschenke macht. Ihr sollt das-
selbe bis zur Hochzeit der Beiden verwalten und den Nutzen
daraus ziehen. Außerdem aber sollt Ihr dafür, daß Ihr
dem Franzl die Elöbeth gebt, folgende Belohnung haben:
Daö Säckchen nämlich, das bciliegt, hat eine wunderbare
Eigenschaft! Alle Abende, wenn ein junger Mann, der einem
Mädchen in treuer, keuscher Liebe ergeben ist, in das Säck-
chen langt, kann er auö demselben ein Goldstück hcrvor-
holen, und zwar dauert diese Eigenschaft 500 Tage laug.
Nun verlange ich von Euch, daß, da bei Franzl diese Eigen-
schaft zutrifft, Ihr denselben alle Abende auf ein Stündchen
oder darüber zum Besuche einladet, und dafür soll Euch dann
derselbe, bevor er in die Stube tritt, aus dem Säckchen als
Eintrittspreis einen Goldgulden hervorholen; hat er aber dicß
gethan, so sollt Ihr das Pärchen eine Zeitlang allein lassen, ;
damit sie sich ungestört ihrer Liebe erfreuen mögen. Sind
aber die 500 Tage vorüber, so sollt Ihr die Beiden zu- ;
sammcugeben und das HochzeitSgeschcnk, das ihnen gehört,
nicht vergessen und wohl bedenken, daß, wenn Ihr dagegen
verstoßt, Ihr die Rache Eines zu fürchten habt, der strenge
auf Gerechtigkeit hält."

So daö Zettclcheu. Der Alte aber, dem um die 500
Goldguldeu aus dem Säckchen zu thun war, beschloß wenig- !
stenö einmal den Versuch zu machen mit der vorgeblichen ;
Wunderkraft desselben und wendete sich deßhalb, als er mit
dem Lesen zu Ende war, aufö Freundlichste zu Franzl
und sprach:

„Ich habe aus dem Schreiben hier ersehen, daß Du im
Grunde doch mehr taugst, als ich geglaubt habe. Du kannst :
deßhalb alle Abende künftig auf ein Stündchen zu uns her-
überkommen, und wir wollen dann später sehen, was mit
Dir und der Elsbeth zu machen ist."

(Fortsetzung folgt.)

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