„Hör', Marie," hat a d' Muatter gsait,
„Was hau—n — i seaha müssa,
Wear wird se au am Helle Tag
Vou a Mannsbild lasse küssa!
Wenn me will a rechts Mädle sei.
So send dös koine Sache!
I sag' Der's ernstlich, thua mer nia
Maih solche G'schichte mache!"
„Ei! Muatter!" sait a d' Marie d'rauf,
„Ihr haut megcr guat schwätza!
I möcht doch wisse, wia —n — i mi
Hält könne widcrsctza!
Wia—n i bi über rinsern Hof
Mit zwoi Giaßkanne gange,
So kommt der Jörg und schwätzt koi Wort
Und hat me glei umfange.
D'rauf hat er packt me unter'm Kinn
llud hat a'gfange z' küsse,
Und i mit meine Kanne hau
Mer's g'falla lasse müsse."
„Was g'falle lasse!" d' Muatter sait,
„Jetzt wenn i dös muaß höre!
Hütt'st Deine Kanne falle lau,
So hätt'st De könne wehra!"
Do sait d' Marie und thuat derbei
Beschämt es Köpfte henke,
„Me ko doch, wenn's an's Küsse goht,
Au net an Alles denka!" G.. K.
Richter.- „Sie sind überwiesen, drei Ballen Lamms-
felle gestohlen zu haben; schämen Sie sich denn nicht als alter
Mann, an der Schwelle Ihres Lebens — noch zu stehlen?"
— Angeklagter: „Erlauben Se. Wie ich als Bub ge-
stohlen Hab', hat man mir vorgeworfen, daß ich so jung schon
stehle. Wie ich später als Mann gestohlen Hab', hat's g'heißcn,
es war' e Schand zu stehlen, wenn man zur Arbeit die beste
Kraft hat. Jetzt, wo ich weder e Bub bin, noch Kraft zur
Arbeit Hab', heißt's, es is e Schand vor en solch' alten Mann,
zu stehlen. Wann soll ich dann stehlen?"
Deutung für's Leben.
Zuhöchst im Gebirg', wo im ewigen Eis'
Das Leben erstarret, der Ton verhallt.
Stumm ragen, öde die Gipfel im Kreis',
Springt hervor der Bach aus der Gletscherspalt',
Durchsichtig und rein, flüssiger Krystall,
Und stürzet zum Thale in tosendem Fall.
Doch unten im Flachen, weit vom Ursprünge weg,
Da schleicht er verdrossen, trüb', schlammig und 'trüg';
Und das soll derselbe noch sein? nimmermehr!
Er ist es und weiset dir dar im Bild,
Die Wandlung jedweder weisen Lehr' :
Wie rein sie dem Geiste des Meisters entquillt,
Und wie nach und nach im Laufe der Zeit
Sie verliert ihre hehre Lauterkeit. Craffus.
110 Die geraubten Küsse.
(Schwäbisch.)
Der unrichtige Zeitpunkt.
„Was hau—n — i seaha müssa,
Wear wird se au am Helle Tag
Vou a Mannsbild lasse küssa!
Wenn me will a rechts Mädle sei.
So send dös koine Sache!
I sag' Der's ernstlich, thua mer nia
Maih solche G'schichte mache!"
„Ei! Muatter!" sait a d' Marie d'rauf,
„Ihr haut megcr guat schwätza!
I möcht doch wisse, wia —n — i mi
Hält könne widcrsctza!
Wia—n i bi über rinsern Hof
Mit zwoi Giaßkanne gange,
So kommt der Jörg und schwätzt koi Wort
Und hat me glei umfange.
D'rauf hat er packt me unter'm Kinn
llud hat a'gfange z' küsse,
Und i mit meine Kanne hau
Mer's g'falla lasse müsse."
„Was g'falle lasse!" d' Muatter sait,
„Jetzt wenn i dös muaß höre!
Hütt'st Deine Kanne falle lau,
So hätt'st De könne wehra!"
Do sait d' Marie und thuat derbei
Beschämt es Köpfte henke,
„Me ko doch, wenn's an's Küsse goht,
Au net an Alles denka!" G.. K.
Richter.- „Sie sind überwiesen, drei Ballen Lamms-
felle gestohlen zu haben; schämen Sie sich denn nicht als alter
Mann, an der Schwelle Ihres Lebens — noch zu stehlen?"
— Angeklagter: „Erlauben Se. Wie ich als Bub ge-
stohlen Hab', hat man mir vorgeworfen, daß ich so jung schon
stehle. Wie ich später als Mann gestohlen Hab', hat's g'heißcn,
es war' e Schand zu stehlen, wenn man zur Arbeit die beste
Kraft hat. Jetzt, wo ich weder e Bub bin, noch Kraft zur
Arbeit Hab', heißt's, es is e Schand vor en solch' alten Mann,
zu stehlen. Wann soll ich dann stehlen?"
Deutung für's Leben.
Zuhöchst im Gebirg', wo im ewigen Eis'
Das Leben erstarret, der Ton verhallt.
Stumm ragen, öde die Gipfel im Kreis',
Springt hervor der Bach aus der Gletscherspalt',
Durchsichtig und rein, flüssiger Krystall,
Und stürzet zum Thale in tosendem Fall.
Doch unten im Flachen, weit vom Ursprünge weg,
Da schleicht er verdrossen, trüb', schlammig und 'trüg';
Und das soll derselbe noch sein? nimmermehr!
Er ist es und weiset dir dar im Bild,
Die Wandlung jedweder weisen Lehr' :
Wie rein sie dem Geiste des Meisters entquillt,
Und wie nach und nach im Laufe der Zeit
Sie verliert ihre hehre Lauterkeit. Craffus.
110 Die geraubten Küsse.
(Schwäbisch.)
Der unrichtige Zeitpunkt.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die geraubten Küsse" "Der unrichtige Zeitpunkt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1870
Entstehungsdatum (normiert)
1860 - 1880
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 53.1870, Nr. 1316, S. 110
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg