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Moralische Experimente.
Sprachlos stand Lein bei diesen Worten da, als könne sie
dieselben gar nicht begreifen, dann sank sie ihn: schluchzend zu
Füßen. Wallner hob sie sogleich auf, drückte herzhaft einen
Kuß auf ihre weiße Stirne und fragte lächelnd: „Nun, nimmst
Du wohl jetzt Fränzle's Spielsachen mit?"
„Ob ich sie mitnehm'?" jubelte Lcni, die erst jetzt wieder
recht zu sich kam, so hatte das Unverhoffte sie außer sich ge-
bracht, und in der Freude und dem Entzücken ihres Herzens
sich ganz und gar vergessend, rief sie: „Ich kann nit anders!"
und che Wallner es sich versah, hatte sic ihr Bündel weggc-
worfen, ihn umarmt und einen herzhaften Kuß auf seinen
schwarzen Bart gepreßt.
Lachend drohte ihr Wallner mit dem Finger und den Wor-
ten: „Wart', wart', dies werde ich dem großen Franz sagen!"
Tief erröthend und beschämt, als sehe sie erst jetzt ein,
eine Keckheit begangen zu haben, senkte Magdalena reuig den
Kops. Ach, ihr Herz war ja zu voll von Seligkeit, ihre höch-
sten Wünsche sah sie sich erfüllen bis auf einen: wo mochte
jetzt ihr armer großer Franz weilen, und wie erging cs ihm?
oder sollte er gar .... sie wagte das Schreckliche nicht zu
denken, und ganz erschrocken fuhr sie in die Höhe, als Wallner
freundlich zu ihr sagte: „Richte nun Deine Sachen zusammen,
um zwölf Uhr geht der Postzug ab, und Du willst wohl bald
bei Deinem Fränzle sein?"
Rasch küßte sie Wallncrs Hand, ohne daß er es ihr dieses
Mal wehrte, dann flog sie mehr, als sic in ihr Kämmerchen ging.
Etliche Tage nach Leni's Abreise zu ihrer alten Base er-
hielt Wallner von Herrn von Frcundstcin ein Schreiben, worin
ihm dieser in Kürze anzcigte, daß er in nächster Zeit in der
Residenz wieder cintreffen werde. Eingcschlosscn lag ein Brief
ohne Adresse, mit einer Oblate versiegelt, und als Wallner ihn
öffnete, fiel eine Hundertthalcrnotc heraus. Erstaunt las Wallner
Folgendes:
„Fenedig 20 Novembr.
Gehrtester Herr Wallner!
Lang schon hat ich im sinn, Inen beiligendes zu senden,
abr mein gnediger Herr sagte mir immer, ich solld noch war-
ben. Da der Herr von Freundstem äbr nun selbst an Inen
schreibd; erlaub ich mir Inen ein bisgen von meineni Erspart
zu sendn, und Hof das Si es nit nngitig aufnemen. in Jrer
gegenwerdign Lagen, o könnd ich nur mer für Si tun.
Di gegend hir herum ist ser schön und habn di Leut gar
keine Strafen nit, sondern fahrn ans Käncn im Wasser, was
man Kondoliehre haißt.
sonst versteh ich di sprachen nit, denn si redn alle gans
welsch, ich wer vil Über wiedr daheimd und bei Inen.
auf baldichtes widdersehen!
Ir bis zum tot crgebenstr
Franz Miller."
Dieser in seiner Einfalt ergreifende Brief machte auf
Wallner großen Eindruck; er las ihn immer wieder und wie-
der und legte ihn alsdann gerührt mit der Banknote, die er
vom Boden aufhob, in jenes Fach des Sekretärs, wo bereits
die bewußte Hundertthalcrrolle lag.
Den beiden Briefen folgten in kurzer Zeit Herr von
Freundstem und sein Diener Franz, dessen erster Gang war,
„seinen Herrn", so hieß er Wallner immer noch, zu besuchen.
Nicht wenig erstaunt und zugleich erfreut war er, Wallner noch
in der alten Behausung zu treffen, und sein Jubel wollte kein
Ende nehmen, als Wallner ihm eröffnete, der entflohene Ban-
quicr sei glücklicher Weise in Hamburg, als er eben ein Schiff
besteigen wollte, noch erwischt worden, und er so wieder zu
seinem ganzen Vermögen gekommen.
Franz erinnerte Herrn Wallner sogleich an sein ehemali-
ges Versprechen, er könne zwar den Herrn von Freundstein
nur achten und loben, aber er sei halt für ihn fremd, und er
könne und wolle nur „seinem Herrn" dienen.
Wallner, über diese Treue erfreut, schüttelte freundlich den
Kops mit den Worten: „Für jetzt, lieber Franz, mußt Du noch
einige Zeit bei Deinem Herrn bleiben, und dann..."
„Und dann?" fragte Franz hastig und beklommen.
„Dann lvirst Du hcirathen."
„Heirathen? ich?" schrie Franz, als wäre er ans den
Wolken gefallen, und er brach in unbändiges Gelächter aus;
als er aber sah, daß Wallner ernst und ruhig blieb, schämte
er sich seiner Voreiligkeit, machte sich im Stillen Vorwürfe
darüber, und fast weinerlich bat er um Verzeihung ob seines
„dummen Lachens", er könne nichts dafür, es habe ihn so ge-
juckt, da es ihm nicht einmal im Traume cinstele, zu heirathen,
er wüßte ja gar nicht wen; denn mit der Leni sei es ja aus
und vorbei, selbst wenn er sie wieder treffen sollte und sic ihn
nähme, was beides er kaum je glaube; sic habe ihm zu bös
und unverzeihlich mitgespiclt, und mit einer anderen könne er
gleich gar nicht glücklich werden.
Wer weiß, wie lange Franz noch so in seiner einmal ent-
fesselten Redeseligkeit fortgemacht haben würde, wäre er nicht
mitten darin von Wallner unterbrochen worden, welcher in tiefem
Ernste zu ihm sagte: „Damit, lieber Franz, hat es ein eigenes
Bewandtniß, und darum bitte ich Dich, mich ruhig anzuhören.
Der Augenblick ist jetzt gekommen, wo Du mir thatsüchlich be-
weisen kannst, ob Du mich lvahrhaft liebst."
„Sie zweifeln noch?" fiel Franz halb vorwurfsvoll ein,
und hastig setzte er hinzu: „Reden Sie! reden Sie! Alles will
ich ja gerne für Sie thun!"
„Wohlan, so höre!" fuhr Wallner in ernstem, gemeffenen
Tone fort, während er sich auf das Sopha niederließ. „Es
mögen nun ungefähr drei Jahre oder etwas mehr sein, daß
einer meiner besten und liebsten Freunde sich in ein sehr hübsches
Mädchen, das leider tief unter seinem Stande war, verliebte.
Was fragt die Liebe nach Stand und Rang! Durch Geschenke
und vermöge feiner heißen Bethenerungen ließ sich die Unglück-
liche bethörcn, und es sollten die Folgen nicht lange ansbleiben.
Das Knäbchcn mag jetzt zwei Jahre alt sein, und mein Freund,
der seine Leidenschaft nun tief bereut, wünscht ans ganzem Her-
zen, ihr die Ehre, dem Kinde einen Vater zu geben. Er ist
sofort bereit, wenn sich für sie ein ordentlicher Bursche fände,
ihnen ein kleines, ihm gehöriges Pachtgut zu überlassen, mit
dessen Ertrag sie bei Fleiß und Sparsamkeit gut und zufrieden
Moralische Experimente.
Sprachlos stand Lein bei diesen Worten da, als könne sie
dieselben gar nicht begreifen, dann sank sie ihn: schluchzend zu
Füßen. Wallner hob sie sogleich auf, drückte herzhaft einen
Kuß auf ihre weiße Stirne und fragte lächelnd: „Nun, nimmst
Du wohl jetzt Fränzle's Spielsachen mit?"
„Ob ich sie mitnehm'?" jubelte Lcni, die erst jetzt wieder
recht zu sich kam, so hatte das Unverhoffte sie außer sich ge-
bracht, und in der Freude und dem Entzücken ihres Herzens
sich ganz und gar vergessend, rief sie: „Ich kann nit anders!"
und che Wallner es sich versah, hatte sic ihr Bündel weggc-
worfen, ihn umarmt und einen herzhaften Kuß auf seinen
schwarzen Bart gepreßt.
Lachend drohte ihr Wallner mit dem Finger und den Wor-
ten: „Wart', wart', dies werde ich dem großen Franz sagen!"
Tief erröthend und beschämt, als sehe sie erst jetzt ein,
eine Keckheit begangen zu haben, senkte Magdalena reuig den
Kops. Ach, ihr Herz war ja zu voll von Seligkeit, ihre höch-
sten Wünsche sah sie sich erfüllen bis auf einen: wo mochte
jetzt ihr armer großer Franz weilen, und wie erging cs ihm?
oder sollte er gar .... sie wagte das Schreckliche nicht zu
denken, und ganz erschrocken fuhr sie in die Höhe, als Wallner
freundlich zu ihr sagte: „Richte nun Deine Sachen zusammen,
um zwölf Uhr geht der Postzug ab, und Du willst wohl bald
bei Deinem Fränzle sein?"
Rasch küßte sie Wallncrs Hand, ohne daß er es ihr dieses
Mal wehrte, dann flog sie mehr, als sic in ihr Kämmerchen ging.
Etliche Tage nach Leni's Abreise zu ihrer alten Base er-
hielt Wallner von Herrn von Frcundstcin ein Schreiben, worin
ihm dieser in Kürze anzcigte, daß er in nächster Zeit in der
Residenz wieder cintreffen werde. Eingcschlosscn lag ein Brief
ohne Adresse, mit einer Oblate versiegelt, und als Wallner ihn
öffnete, fiel eine Hundertthalcrnotc heraus. Erstaunt las Wallner
Folgendes:
„Fenedig 20 Novembr.
Gehrtester Herr Wallner!
Lang schon hat ich im sinn, Inen beiligendes zu senden,
abr mein gnediger Herr sagte mir immer, ich solld noch war-
ben. Da der Herr von Freundstem äbr nun selbst an Inen
schreibd; erlaub ich mir Inen ein bisgen von meineni Erspart
zu sendn, und Hof das Si es nit nngitig aufnemen. in Jrer
gegenwerdign Lagen, o könnd ich nur mer für Si tun.
Di gegend hir herum ist ser schön und habn di Leut gar
keine Strafen nit, sondern fahrn ans Käncn im Wasser, was
man Kondoliehre haißt.
sonst versteh ich di sprachen nit, denn si redn alle gans
welsch, ich wer vil Über wiedr daheimd und bei Inen.
auf baldichtes widdersehen!
Ir bis zum tot crgebenstr
Franz Miller."
Dieser in seiner Einfalt ergreifende Brief machte auf
Wallner großen Eindruck; er las ihn immer wieder und wie-
der und legte ihn alsdann gerührt mit der Banknote, die er
vom Boden aufhob, in jenes Fach des Sekretärs, wo bereits
die bewußte Hundertthalcrrolle lag.
Den beiden Briefen folgten in kurzer Zeit Herr von
Freundstem und sein Diener Franz, dessen erster Gang war,
„seinen Herrn", so hieß er Wallner immer noch, zu besuchen.
Nicht wenig erstaunt und zugleich erfreut war er, Wallner noch
in der alten Behausung zu treffen, und sein Jubel wollte kein
Ende nehmen, als Wallner ihm eröffnete, der entflohene Ban-
quicr sei glücklicher Weise in Hamburg, als er eben ein Schiff
besteigen wollte, noch erwischt worden, und er so wieder zu
seinem ganzen Vermögen gekommen.
Franz erinnerte Herrn Wallner sogleich an sein ehemali-
ges Versprechen, er könne zwar den Herrn von Freundstein
nur achten und loben, aber er sei halt für ihn fremd, und er
könne und wolle nur „seinem Herrn" dienen.
Wallner, über diese Treue erfreut, schüttelte freundlich den
Kops mit den Worten: „Für jetzt, lieber Franz, mußt Du noch
einige Zeit bei Deinem Herrn bleiben, und dann..."
„Und dann?" fragte Franz hastig und beklommen.
„Dann lvirst Du hcirathen."
„Heirathen? ich?" schrie Franz, als wäre er ans den
Wolken gefallen, und er brach in unbändiges Gelächter aus;
als er aber sah, daß Wallner ernst und ruhig blieb, schämte
er sich seiner Voreiligkeit, machte sich im Stillen Vorwürfe
darüber, und fast weinerlich bat er um Verzeihung ob seines
„dummen Lachens", er könne nichts dafür, es habe ihn so ge-
juckt, da es ihm nicht einmal im Traume cinstele, zu heirathen,
er wüßte ja gar nicht wen; denn mit der Leni sei es ja aus
und vorbei, selbst wenn er sie wieder treffen sollte und sic ihn
nähme, was beides er kaum je glaube; sic habe ihm zu bös
und unverzeihlich mitgespiclt, und mit einer anderen könne er
gleich gar nicht glücklich werden.
Wer weiß, wie lange Franz noch so in seiner einmal ent-
fesselten Redeseligkeit fortgemacht haben würde, wäre er nicht
mitten darin von Wallner unterbrochen worden, welcher in tiefem
Ernste zu ihm sagte: „Damit, lieber Franz, hat es ein eigenes
Bewandtniß, und darum bitte ich Dich, mich ruhig anzuhören.
Der Augenblick ist jetzt gekommen, wo Du mir thatsüchlich be-
weisen kannst, ob Du mich lvahrhaft liebst."
„Sie zweifeln noch?" fiel Franz halb vorwurfsvoll ein,
und hastig setzte er hinzu: „Reden Sie! reden Sie! Alles will
ich ja gerne für Sie thun!"
„Wohlan, so höre!" fuhr Wallner in ernstem, gemeffenen
Tone fort, während er sich auf das Sopha niederließ. „Es
mögen nun ungefähr drei Jahre oder etwas mehr sein, daß
einer meiner besten und liebsten Freunde sich in ein sehr hübsches
Mädchen, das leider tief unter seinem Stande war, verliebte.
Was fragt die Liebe nach Stand und Rang! Durch Geschenke
und vermöge feiner heißen Bethenerungen ließ sich die Unglück-
liche bethörcn, und es sollten die Folgen nicht lange ansbleiben.
Das Knäbchcn mag jetzt zwei Jahre alt sein, und mein Freund,
der seine Leidenschaft nun tief bereut, wünscht ans ganzem Her-
zen, ihr die Ehre, dem Kinde einen Vater zu geben. Er ist
sofort bereit, wenn sich für sie ein ordentlicher Bursche fände,
ihnen ein kleines, ihm gehöriges Pachtgut zu überlassen, mit
dessen Ertrag sie bei Fleiß und Sparsamkeit gut und zufrieden