170
Die weibliche
Zwei Männer, in dunkle Mäntel gehüllt, Sammtlarven vor-
dem Gesicht, Blendlaternen in der Hand, traten in den Saal.
„Halt, wer da?" rief die weibliche Schildwache mit aller
Kraft, welche ihr noch zu Gebote stand.
„Gut Freund."
„Losung?"
„Pultawa."
„Passirt!"
Die beiden geheimnißvollen Männer gingen an Jadwiga
vorüber, dann blieben sie stehen und flüsterten. Sie schienen
j zu berathschlagen. Endlich kehrten sie zu Jadwiga zurück und
der Eine leuchtete ihr mit der Blendlaterne in's Gesicht. „Ah!
Sie sind es, Jadwiga Alexandrowna," sprach eine dem Mädchen
vollkommen unbekannte Stimme.
„Das Schicksal hat Sie zu einer großen That auserschen,"
sprach der Zweite, „folgen Sie uns!"
„Was wollen Sie von mir?" rief die weibliche Schildwache,
welche in ihrer Todesangst Reglement und Instruktion vergaß.
„Es gilt, die Tyrannin zu stürzen," nahm der erste der
! beiden Vermummten das Wort, „welche durch den Mord ihres
! Gatten den Thron Rußlands usurpirt hat und den alten Her-
melin der Czarcn mit Strömen Blutes besudelt hat, welche unsere
Nation mit Füßen tritt, für die Menschenrechte schwärmt und
uns als Sklaven behandelt."
„Sie wollen die Kaiserin tobten?" rief das entsetzte
Mädchen.
„Nur gefangen nehmen," sprach der Zweite, „und wenn
dies gelungen ist, das Signal geben, auf das sich die Garden
erheben werden. Jedes edle Herz muß sich für unser Unter-
nehmen begeistern. Wir rechnen auch auf Ihre Mitwirkung,
Jadwiga. Sie sollen für dieselbe durch eine hohe Stellung,
Neichthum und die Hand des Mannes, welchen Sic lieben,
belohnt werden, folgen Sie uns also!"
„Gewiß ist der Zweck, den Sie verfolgen, meine Herren,"
sprach das Mädchen „ein so reiner und patriotischer, daß ihn
jeder wahre Russe billigen und unterstützen muß. Wenn Sie
mir daher zusichern, daß Sie die Kaiserin nur gefangen nehmen
wollen, so werde ich Sic selbst in ihr Schlafgemach führen
; und vor der Thürc desselben Wache halten, bis Sie das uns
allen gleich verhaßte Weib geknebelt und gefcßelt haben."
„Vortrefflich," sprach der erste der beiden Männer.
„Gehen Sie also voran, Jadwiga Alexandrowna," fügte
der Andere hinzu.
Jadwiga legte den Finger an den Mund und ging voran,
die Verschworenen folgten, Alle drei schlichen leise auf den Fuß-
spitzen durch die anliegenden Zimmer, bis in den kleinen Saal,
aus welchem die Thüre unmittelbar in das Schlafgemach der
Monarchin führte.
„Hier ist es," sprach Jadwiga, „treten Sie vorsichtig ein,
so können Sie die Czarin im Schlafe überraschen."
„Gut," entgcgncte der eine der Verschworenen, „wir suchen
sic möglichst unerwartet zu überfallen, und Sie halten indcß
Wache und geben Feuer auf Jeden, der uns stören will."
„Wie Sie cs nöthig finden," sprach Jadwiga.
Schildwache.
„Also in Gottes Namen und mit Hülfe des heil. Niko-
laus an das Werk," sprachen die Verschworenen.
Jadwiga öffnete leise die Thüre, sie traten stille, ja un-
hörbar ein und näherten sich der entgegengesetzten Wand, wo
sie das Bett der Kaiserin vermutheten.
In diesem Augenblicke schloß Jadwiga rasch die Thüre !
und schob mit aller Kraft den schweren großen Riegel vor.
Die Verschworenen waren gefangen.
„Was gibt es?"
„Was ist das?"
„Verrath! Verrath!" schrieen sie durcheinander.
Jadwiga hatte sie statt in das Schlafgemach Katharinas
in das Zimmer geführt, in welchem dieselbe Orloff zu züchtigen
pflegte, und durch eine einfache Mädchenlist in ihre Gewalt be-
kommen. Vergebens versuchten die Beiden durch das Fenster
zu entkommen, die Thüre einzubrechen. Jadwiga stürzte indcß
an das Bett der sorglos schlummernden Monarchin und schrie
sie aus dem Schlafe.
Katharina war im Augenblick wach und hörte mit wach-
sender Aufregung den Bericht, welchen ihr das Mädchen im
Fluge erstattete.
„Es gilt vor Allem die Empörer zu überraschen," rief
die Kaiserin, „auf Dich und Samarin kann ich zählen."
„Bis in den Tod!" rief das Mädchen.
„Eile also hinab, lasse die Compagnie, ohne Lärm zu
machen, in das Gewehr treten und Samarin mit zehn verläs-
sigen Leuten herarffkommen."
Jadwiga flog die Treppe hinab. Wenige Minuten dar-
nach stand Samarin mit zehn Soldaten im Salon der Kaiserin
und Jadwiga trat in das Schlafgemach.
Katharina hatte einen kurzen Pelzrock angelegt und eine
Kosakenmütze aufgesetzt, sie lud eben ihre Pistolen und steckte sie
in die Taschen. Dann nahm sie einen Degen, denselben, mit
dem bei dem Beginn der Empörung gegen ihren Gemahl
Die weibliche
Zwei Männer, in dunkle Mäntel gehüllt, Sammtlarven vor-
dem Gesicht, Blendlaternen in der Hand, traten in den Saal.
„Halt, wer da?" rief die weibliche Schildwache mit aller
Kraft, welche ihr noch zu Gebote stand.
„Gut Freund."
„Losung?"
„Pultawa."
„Passirt!"
Die beiden geheimnißvollen Männer gingen an Jadwiga
vorüber, dann blieben sie stehen und flüsterten. Sie schienen
j zu berathschlagen. Endlich kehrten sie zu Jadwiga zurück und
der Eine leuchtete ihr mit der Blendlaterne in's Gesicht. „Ah!
Sie sind es, Jadwiga Alexandrowna," sprach eine dem Mädchen
vollkommen unbekannte Stimme.
„Das Schicksal hat Sie zu einer großen That auserschen,"
sprach der Zweite, „folgen Sie uns!"
„Was wollen Sie von mir?" rief die weibliche Schildwache,
welche in ihrer Todesangst Reglement und Instruktion vergaß.
„Es gilt, die Tyrannin zu stürzen," nahm der erste der
! beiden Vermummten das Wort, „welche durch den Mord ihres
! Gatten den Thron Rußlands usurpirt hat und den alten Her-
melin der Czarcn mit Strömen Blutes besudelt hat, welche unsere
Nation mit Füßen tritt, für die Menschenrechte schwärmt und
uns als Sklaven behandelt."
„Sie wollen die Kaiserin tobten?" rief das entsetzte
Mädchen.
„Nur gefangen nehmen," sprach der Zweite, „und wenn
dies gelungen ist, das Signal geben, auf das sich die Garden
erheben werden. Jedes edle Herz muß sich für unser Unter-
nehmen begeistern. Wir rechnen auch auf Ihre Mitwirkung,
Jadwiga. Sie sollen für dieselbe durch eine hohe Stellung,
Neichthum und die Hand des Mannes, welchen Sic lieben,
belohnt werden, folgen Sie uns also!"
„Gewiß ist der Zweck, den Sie verfolgen, meine Herren,"
sprach das Mädchen „ein so reiner und patriotischer, daß ihn
jeder wahre Russe billigen und unterstützen muß. Wenn Sie
mir daher zusichern, daß Sie die Kaiserin nur gefangen nehmen
wollen, so werde ich Sic selbst in ihr Schlafgemach führen
; und vor der Thürc desselben Wache halten, bis Sie das uns
allen gleich verhaßte Weib geknebelt und gefcßelt haben."
„Vortrefflich," sprach der erste der beiden Männer.
„Gehen Sie also voran, Jadwiga Alexandrowna," fügte
der Andere hinzu.
Jadwiga legte den Finger an den Mund und ging voran,
die Verschworenen folgten, Alle drei schlichen leise auf den Fuß-
spitzen durch die anliegenden Zimmer, bis in den kleinen Saal,
aus welchem die Thüre unmittelbar in das Schlafgemach der
Monarchin führte.
„Hier ist es," sprach Jadwiga, „treten Sie vorsichtig ein,
so können Sie die Czarin im Schlafe überraschen."
„Gut," entgcgncte der eine der Verschworenen, „wir suchen
sic möglichst unerwartet zu überfallen, und Sie halten indcß
Wache und geben Feuer auf Jeden, der uns stören will."
„Wie Sie cs nöthig finden," sprach Jadwiga.
Schildwache.
„Also in Gottes Namen und mit Hülfe des heil. Niko-
laus an das Werk," sprachen die Verschworenen.
Jadwiga öffnete leise die Thüre, sie traten stille, ja un-
hörbar ein und näherten sich der entgegengesetzten Wand, wo
sie das Bett der Kaiserin vermutheten.
In diesem Augenblicke schloß Jadwiga rasch die Thüre !
und schob mit aller Kraft den schweren großen Riegel vor.
Die Verschworenen waren gefangen.
„Was gibt es?"
„Was ist das?"
„Verrath! Verrath!" schrieen sie durcheinander.
Jadwiga hatte sie statt in das Schlafgemach Katharinas
in das Zimmer geführt, in welchem dieselbe Orloff zu züchtigen
pflegte, und durch eine einfache Mädchenlist in ihre Gewalt be-
kommen. Vergebens versuchten die Beiden durch das Fenster
zu entkommen, die Thüre einzubrechen. Jadwiga stürzte indcß
an das Bett der sorglos schlummernden Monarchin und schrie
sie aus dem Schlafe.
Katharina war im Augenblick wach und hörte mit wach-
sender Aufregung den Bericht, welchen ihr das Mädchen im
Fluge erstattete.
„Es gilt vor Allem die Empörer zu überraschen," rief
die Kaiserin, „auf Dich und Samarin kann ich zählen."
„Bis in den Tod!" rief das Mädchen.
„Eile also hinab, lasse die Compagnie, ohne Lärm zu
machen, in das Gewehr treten und Samarin mit zehn verläs-
sigen Leuten herarffkommen."
Jadwiga flog die Treppe hinab. Wenige Minuten dar-
nach stand Samarin mit zehn Soldaten im Salon der Kaiserin
und Jadwiga trat in das Schlafgemach.
Katharina hatte einen kurzen Pelzrock angelegt und eine
Kosakenmütze aufgesetzt, sie lud eben ihre Pistolen und steckte sie
in die Taschen. Dann nahm sie einen Degen, denselben, mit
dem bei dem Beginn der Empörung gegen ihren Gemahl
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die weibliche Schildwache"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1870
Entstehungsdatum (normiert)
1860 - 1880
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 53.1870, Nr. 1324, S. 170
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg