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Zoraide.

35

letzter Kuß und Ludwig riß sich los. „Darf ich wiederkommen?
sprach er leise noch unter der Thüre.

„Ich bin Dein, ganz Dein, mein Geliebter! Ich werde
die Minuten zählen bis zu Deiner Rückkehr!" erwiderte sie und
wandte sich erglühend ab.

Ludwig verschwand.

Zoraide aber blieb in seliger Selbstvergesscnheit an der
Thüre stehen und lauschte ans den verhallenden Tritt des Ge-
liebten. „O kehre bald zurück, mein Ladung, komme bald in
die Arme Deiner Zoraide!" flüsterte sie sehnsüchtig, die Arme
nach der Thüre ausgebreitet, durch die Ludwig soeben ge-
schritten war.

„Elende Buhlerin, falsche Heuchlerin!" tönte es jetzt der
Erschreckten in's Ohr. Entsetzt wandte sic sich um und glaubte
im Halbdunkel ein Gespenst zu sehen, betm mit drohend er-
! hobenem Arme stand Sybille, die verrathcne Gattin, vor ihr.
Unfähig, einen Laut von sich zu gebe», starrte sie die Erschein-
ung an — da senkte sich der erhobene Arm und — stumm,
eine träge Masse stürzte der Körper des lieblichen Geschöpfes
zu den Füßen seiner Mörderin. Der Dolch, der schon des
Vaters Leib durchbohrt, hatte auch das Herz der Tochter ge-
s troffen.

Entsetzen faßte die Fürstin nach der unglückselig raschen
That; wie von Furien gepeitscht, entfloh sie aus dem Gemache
des Mordes und erreichte unbemerkt wieder ihre Wohnung, wo
sie ohnmächtig zusammenbrach.

Ein durch das Schloß hallender gellender Schrei erweckte
sic aus ihrem bewußtlosen Zustande. Sie schlug die Augen
auf und sah sich allein in der herrschenden Dämmerung. Mit
Entsetzen erinnerte sic sich der begangenen That und mit Zentner-
schwere drückte sie das Bewußtsein des vollbrachten Verbrechens
darnieder; die seltsame Unruhe, das Hin- und Herrennen auf
den Gängen, die Schreckensschreie belehrten sie, das; man das-
selbe bereits entdeckt habe. Jnstinktmäßig griff ^sic nach dem
Klingelznge, verlangte Licht und frng nach der Ursache des
Lärms. Geschwätzig berichtete ihr die Dienerin, daß man
Zoraide todt - - einen Dolch im Herzen in ihrem Zimmer auf-
gesunden habe; Alles behaupte, sie habe sich in einem Anfall
von Heimweh selbst den Tod gegeben.

Die Markgrüfin athmete tief auf; man hatte keine Ahn-
ung von ihrem begangenen Verbrechen und dessen Veranlassung.
Sie klagte über Unwohlsein und befahl ihrer Kammerfrau die
Nacht über bei ihr im Zimmer zu.bleiben.

Die blutbefleckte Fürstin fürchtete sich. —

Halb wahnsinnig war Ludwig von der Leiche Zoraidens
in seine Geiuächer zurückgebracht worden, worin er bis zum
Tage der Beerdigung für Niemand sichtbar verblieb. Er hatte
Befehl gegeben, daß diese mit allem Pompe, wie für ein An-
gehöriges seiner Familie stattfiuden solle. Er selbst folgte wort-
und thräncnlos in tiefster Trauer der Bahre, auf der von acht
Edellenten getragen die mit Blunien bedeckte Hülle des unglück-
lichen Mädchens zu ihrer letzten Ruhestätte gebracht wurde.
Stumm kehrte er wieder heim und begab sich alsbald nach der
Wohnung Sybillens.

Todtenbleich, doch sonst ohne ein Zeichen von Aufregung,
trat er bei ihr ein und entließ mit einem Winke die Dienerinnen.
Langsam schritt er daun vor die Zitternde hin und sprach ruhig
und ernst: „Sybille, ich komme von dem Grabe einer Unglück-
lichen, die sich selbst den Tod gegeben — so glaubt Alles außer mir!"

Er legte seine Hand auf ihr Haupt und zwang sie, ihn an-
znsehen, während er leise, beinahe flüsternd fortfuhr: „Ich aber
weiß, daß sic durch Mörderhand — daß sie durch Dich starb!"

Aufschreiend stürzte die Markgräfin nieder und umschlang
die Kniee des Gemahls, der kalt und unbarmherzig den blut-
bedeckten Dolch hervorzog und dicht unter ihre Augen hielt mit
den Worten: „Hier der Beweis meiner Anklage — Dein
Dolch, den ich selbst aus dem Herzen der Leiche gezogen, denn
Niemand darf ahnen, daß mein Weib eine Mörderin ist.
Zwischen uns Beiden aber," — er ließ de» Dolch zur Erde
fallen — „wird für immer dieser blutige Stahl als eine
Scheidewand liegen; Du bleibst die Fürstin — doch mein
Weib bist Du gewesen!"

Langsam und ruhig, wie er gekommen, verließ er das
Gemach wieder und schickte die Frauen der Fürstin zu Hilfe,
die ohnmächtig auf der Erde lag.

Nie mehr betrat Ludwig die Gemächer Sybillens.--

So lautete die Geschichte, die mir der alte Friedhofgärtncr
erzählte. Ernst stand ich an dem Grabe der Unglücklichen,
während der Greis sein Mätzchen abnahm und ein Vaterunser
sprach für das Seelenheil der Gemordete». Dann brach er mir
eine Knospe von,,einem uralten weißen Rosenstrauche, den der
Sage nach Ludwig selbst auf das Grab Zoraidens gepflanzt
hatte und machte mir nach kurzer Pause noch folgende Mit-
theilnngen:

Seit jenem Tage, der dem Markgrafen die Geliebte ge-
raubt hatte, war ihm der Aufenthalt in dem Hause seiner
Ahnen, wo das Gräßliche geschehen war, zuwider. Er beschloß
seine Residenz nach dem etwa zwei Stunden entfernten Rastatt
zu verlegen, wo er sich ein prachtvolles Schloß erbaute. Hier
lebte er, nachdem er nochmals im spanischen Erbfolgckriegc als
Feldherr sich Lorbeeren gesammelt hatte, bis zu seinem Tode,
der im Jahre 1707 erfolgte. Bis zum letzten Athcmzuge
dachte er liebend seiner verklärten Zoraide und sein Auge war
aus ihr an der Wand hängendes lebensgroßes Bild gerichtet,
bis es brach.

Der Junker von Neuenstein zog mit dem Markgrafen in's
Feld und fiel in einem der ersten Gefechte. Er hatte den Tod
gesucht.

Sybille aber warf sich als strenge Büßerin ihres furcht-
baren Verbrechens der Religion in die Arme. Alljährlich lebte
sie mehrere Monate hindurch in einer bei Schloß Favorite ge-
legenen Einsiedelei, wo sic sich die härtesten Bußübungen auf-
erlegte. Dreimal täglich geißelte sie sich bis auf's Blut; die
Hälfte des Tages kniete sie auf spitzem Drahtgeflechte vor dem
Altäre der kleinen Kapelle; nur Wasser und Brod genoß sic
während dieser Zeit und des Nachts ruhte ihr gequälter Leib
auf einer Binsenmatte statt des Bettes. So suchte sie die auf
sich geladene Schuld zu sühnen.
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