66
Ein verfehltes Gemälde.
„Wenn das ist —" sie machte ihre Hände mühsam los,
Röschen reichte ihm zum Ersatz dafür freiwillig die ihrigen.
Aber er nahm sie nicht, sondern suchte in der Brusttasche seines
Rockes. Endlich brachte er ein zusammengefaltetes Papier her-
vor und hielt es der Mutter hin. „Blicken Sie es genau an,"
ermahnte er.
Diese legte das Papier auseinander und betrachtete es.
Röschen war neugierig und lugte über die Schulter derselben.
„Ah!" riesen Beide aus.
Der Maler lächelte vergnügt.
„Wer ist es?" fragte er.
„Natürlich der Vater," sagte das Mädchen.
„Ist er getroffen?"
„Wie er leibt und lebt," entgegnete die Mutter.
„Ec ist aus dem Gedächtniß gezeichnet," versicherte der
Maler mit vielem Stolze. „Es kann nicht Jeder ein Porträt
aus dem Gedächtniß machen."
„Das müssen wir ihm zeigen," sprach sie.
„Nein! Es soll nur als Skizze dienen. Ich habe Besseres
vor. Wollen Sie mir gestatten, morgen Früh mit Farben und
Pinsel in Ihr Haus zu kommen?"
„Es geht nicht an."
„Auch wenn ich das Versprechen ablege, mit Röschen gar
nicht zusammen zu treffen?"
„Nein, es darf nicht sein wegen der Nachbarsleute."
„Ich gehe durch die hintere Thüre und den Hof."
Er hatte die Lokalitäten bereits sehr genau inspicirt.
„Dagegen kannst Du nichts einwenden," mahnte die Tochter.
Die Mutter stimmte endlich nach vielen Bedenken zu,
schärfte jedoch der Tochter ein, daß sie sich fern halten müsse.
Der Maler eilte frohlockend davon.
Kaum war der Metzger ahnungslos abgefahren, so trat
Jener schon in den Hof. Ein Junge trug ihm die nöthigen
Utensilien nach.
Röschen überschritt zum ersten Male das Verbot, indem
sie ihm hinter der Küchenthüre einen Kuß gab. Es war ein
prachtvoller frischer Sommermorgcn, und die Beiden sahen eben-
falls so frisch aus, und ihre Augen blickten so klar in einander,
daß es ganz selbstverständlich erscheinen mußte, daß sie sich küßten.
Er betrachtete sodann die verschiedenen Räume des Hauses,
in welche ihn die Mutter führte. Ueberall war der behäbige
Wohlstand des Bürgers nicht zu verkennen. Aber Kreiling schien
von allem nicht sehr befriedigt. Die Wände der verschiedenen
Zimmer waren mit einfachen Tapeten versehen, und das genirte ihn.
„Nun bleibt noch der Laden übrig", sagte sie, indem sic
die Treppe mit ihm wieder herabstieg.
Der Laden war ein heller, freundlicher und großer Raum,
dem Wohnzimmer im Parterre gegenüberliegend. Der Metzger
hielt streng darauf, daß in demselben die größte Ordnung und
Reinlichkeit herrsche. Die Wände waren weiß getüncht.
Ueber das Antlitz des Malers breitete sich der Wiederschein
innerer Freude, — der richtige Platz für sein Vorhaben war ge-
funden. Die Mutter hatte viel einzuwenden, als er ihr seinen
Plan auseinandersetzte, aber sobald Röschen hinzukam, die viel
von der Energie ihres Vaters geerbt hatte, mußte die schwache
Frau sich fügen.
Die Tochter machte sich sofort an die ihr übertragene
Arbeit, große Stücke Leinwand an einander zu nähen. Kreiling 1
suchte unterdessen eine passende Stelle an der Wand und be- I
mühte sich, sie für seinen Zweck genügend herzurichten.
Die Mägde, welche in den Laden kamen, um Fleisch zu
holen, betrachteten zweifelnd den Fremden, der an der Wand
hcrumricb. Der Fleischergeselle, welchem der Verkauf oblag,
flüsterte ihnen zu, daß dieselbe einen Schaden haben müsse. „Es
geht nun einnial so mit alten Häusern", fügte er hinzu.
Die Mägde fanden es begreiflich, blickten aber nichts desto-
wenigcr neugierig nach dem schönen jungen Mann mit den
langen Haaren, der in Hemdärmeln auf der Leiter stand.
Er arbeitete sehr fleißig, die Schweißtropfen flössen ihm !
von der Stirne. Aber auch Röschen schaffte emsig darauf los.
Gegen Mittag schon konnte rings um die verhängnißvolle Stelle
eine Art Käfig mit Leinwand bekleidet hergcstellt werden, in
dem sich der Maler ungestört zu bewegen vermochte.
Derselbe entwickelte solchen Eifer, daß er sich kaum Zeit
nahm, etwas zu genießen. Röschen kroch zuweilen hinter die
Leinwand, um ihm einen Trunk oder einen Bissen zu bringen,
aber ihre treue Fürsorge wurde kaum durch einen Blick belohnt.
Sic nahm cs ihm nicht übel; ihre gerötheten Wangen bezeugten,
daß sie gleichfalls in aufgeregtem Zustand sich befand und mit
höchster Spannung die Weiterentwickelung des Bildes verfolgte.
Herr Kreiling führte ein Bild aus. Damit mußte er
unzweifelhaft das Herz des Vaters für sich gewinnen. Den
Ein verfehltes Gemälde.
„Wenn das ist —" sie machte ihre Hände mühsam los,
Röschen reichte ihm zum Ersatz dafür freiwillig die ihrigen.
Aber er nahm sie nicht, sondern suchte in der Brusttasche seines
Rockes. Endlich brachte er ein zusammengefaltetes Papier her-
vor und hielt es der Mutter hin. „Blicken Sie es genau an,"
ermahnte er.
Diese legte das Papier auseinander und betrachtete es.
Röschen war neugierig und lugte über die Schulter derselben.
„Ah!" riesen Beide aus.
Der Maler lächelte vergnügt.
„Wer ist es?" fragte er.
„Natürlich der Vater," sagte das Mädchen.
„Ist er getroffen?"
„Wie er leibt und lebt," entgegnete die Mutter.
„Ec ist aus dem Gedächtniß gezeichnet," versicherte der
Maler mit vielem Stolze. „Es kann nicht Jeder ein Porträt
aus dem Gedächtniß machen."
„Das müssen wir ihm zeigen," sprach sie.
„Nein! Es soll nur als Skizze dienen. Ich habe Besseres
vor. Wollen Sie mir gestatten, morgen Früh mit Farben und
Pinsel in Ihr Haus zu kommen?"
„Es geht nicht an."
„Auch wenn ich das Versprechen ablege, mit Röschen gar
nicht zusammen zu treffen?"
„Nein, es darf nicht sein wegen der Nachbarsleute."
„Ich gehe durch die hintere Thüre und den Hof."
Er hatte die Lokalitäten bereits sehr genau inspicirt.
„Dagegen kannst Du nichts einwenden," mahnte die Tochter.
Die Mutter stimmte endlich nach vielen Bedenken zu,
schärfte jedoch der Tochter ein, daß sie sich fern halten müsse.
Der Maler eilte frohlockend davon.
Kaum war der Metzger ahnungslos abgefahren, so trat
Jener schon in den Hof. Ein Junge trug ihm die nöthigen
Utensilien nach.
Röschen überschritt zum ersten Male das Verbot, indem
sie ihm hinter der Küchenthüre einen Kuß gab. Es war ein
prachtvoller frischer Sommermorgcn, und die Beiden sahen eben-
falls so frisch aus, und ihre Augen blickten so klar in einander,
daß es ganz selbstverständlich erscheinen mußte, daß sie sich küßten.
Er betrachtete sodann die verschiedenen Räume des Hauses,
in welche ihn die Mutter führte. Ueberall war der behäbige
Wohlstand des Bürgers nicht zu verkennen. Aber Kreiling schien
von allem nicht sehr befriedigt. Die Wände der verschiedenen
Zimmer waren mit einfachen Tapeten versehen, und das genirte ihn.
„Nun bleibt noch der Laden übrig", sagte sie, indem sic
die Treppe mit ihm wieder herabstieg.
Der Laden war ein heller, freundlicher und großer Raum,
dem Wohnzimmer im Parterre gegenüberliegend. Der Metzger
hielt streng darauf, daß in demselben die größte Ordnung und
Reinlichkeit herrsche. Die Wände waren weiß getüncht.
Ueber das Antlitz des Malers breitete sich der Wiederschein
innerer Freude, — der richtige Platz für sein Vorhaben war ge-
funden. Die Mutter hatte viel einzuwenden, als er ihr seinen
Plan auseinandersetzte, aber sobald Röschen hinzukam, die viel
von der Energie ihres Vaters geerbt hatte, mußte die schwache
Frau sich fügen.
Die Tochter machte sich sofort an die ihr übertragene
Arbeit, große Stücke Leinwand an einander zu nähen. Kreiling 1
suchte unterdessen eine passende Stelle an der Wand und be- I
mühte sich, sie für seinen Zweck genügend herzurichten.
Die Mägde, welche in den Laden kamen, um Fleisch zu
holen, betrachteten zweifelnd den Fremden, der an der Wand
hcrumricb. Der Fleischergeselle, welchem der Verkauf oblag,
flüsterte ihnen zu, daß dieselbe einen Schaden haben müsse. „Es
geht nun einnial so mit alten Häusern", fügte er hinzu.
Die Mägde fanden es begreiflich, blickten aber nichts desto-
wenigcr neugierig nach dem schönen jungen Mann mit den
langen Haaren, der in Hemdärmeln auf der Leiter stand.
Er arbeitete sehr fleißig, die Schweißtropfen flössen ihm !
von der Stirne. Aber auch Röschen schaffte emsig darauf los.
Gegen Mittag schon konnte rings um die verhängnißvolle Stelle
eine Art Käfig mit Leinwand bekleidet hergcstellt werden, in
dem sich der Maler ungestört zu bewegen vermochte.
Derselbe entwickelte solchen Eifer, daß er sich kaum Zeit
nahm, etwas zu genießen. Röschen kroch zuweilen hinter die
Leinwand, um ihm einen Trunk oder einen Bissen zu bringen,
aber ihre treue Fürsorge wurde kaum durch einen Blick belohnt.
Sic nahm cs ihm nicht übel; ihre gerötheten Wangen bezeugten,
daß sie gleichfalls in aufgeregtem Zustand sich befand und mit
höchster Spannung die Weiterentwickelung des Bildes verfolgte.
Herr Kreiling führte ein Bild aus. Damit mußte er
unzweifelhaft das Herz des Vaters für sich gewinnen. Den
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein verfehltes Gemälde"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 60.1874, Nr. 1493, S. 66
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg