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74 Eine weibliche Reise nach Suez,

lopfc des Engels verwende ich als Brodkorb. Sv sitze ich an

heiteren Frühlings- und Sommermvrgen, wie Dn weißt, auf
deni Mausoleum meines Gatten und frühstücke, während mich
meine kleinen Töchterchen, die Ausgeburten unserer Liebe, mit
ihren Butterbrödchen umspielen.

Diese Situation, meine Lconie, ist Dir bekannt, —
nicht aber jene Idee, welche sich in meiner Seele oberhalb des
Mausoleums entwickelte. Obwohl ich noch mit Dir dasselbe
Landhaus bewohne und Dir also füglich meine Gedanken münd-
lich hinterbringen könnte, so wähle ich dennoch den gcheimniß-
vollen Weg eines Briefes, um Dir, ohne Furcht belauscht zu
werden, meine Projecte bekannt zu geben.

Dn weißt aus den Zeitungen, o Lconie meiner Jugend,
das; noch im Laufe dieses Jahres der Suezkanal eröffnet
werden soll. Diesen Suezkanal, die Ausgeburt heroischer Genialität,
welcher uns die Hinterländer antiker Civilisation erschließen wird,
soll auch mir eine Region neuer Lebensverhältnisse eröffnen.
Der Suezkanal ist das Thor, welches den europäischen Ver-
hältnissen gestattet, in Afrika einzudringen. Selbst das geh eim-
niß volle Tombuktn steht winkend hinter dem Suezkanale.
O Götter! Kaiser, Kaiscrinen, Könige und Kronprinzen, Präsi-
denten und Gemeinderäthe, Sängerinen und Diplomaten, Maler
und Dichter aller Nationen werden dieser Snezeröffnung bei-
wohnen. Warum sollte ich allein, die verwittwete Gattin
eines Verstorbenen, die Flügel meiner Seele beschneiden und
meine Jugend im stillen Kämmerchen ungesehen ver-
tu einen?! Weßhalb noch viele Worte? Kurz — ich ivcrdc
nach Suez reisen. Meine Phantasie ist bereits stärker als
meine Häuslichkeit geworden.

Aber höre mich weiter. Es ist nicht der Kanal allein,
welcher mich begeistert und meine Energie emporstachelt. Du
weißt es, Leonie meiner unabänderlichen Freundschaft, daß mich
die Politik anekclt. Ich habe mich daher auf Poesie, Philosophie,
Naturgeschichte und Reisebeschreibungen geworfen. Unter den
letzteren waren cs immer die afrikanischen, tvelche das Tiefste
meiner Seele am schmerzlichsten berührten. Wie tief, dachte
ich weinend, steht noch das afrikanische Menschengeschlecht unter
dem Niveau moderner Civilisation! Ja, wie erhaben däucht
mich selbst ein Chinese, ein Mohikaner, ein Konstantinopolitaner
neben dem geschwärzten Sohne des nie durchforschten Erdtheils
hinter der Wüste Sahara. Mein philantropischcs Herz blutete
bei diesen menschenfreundlichen Gedanken und ein Wunsch trat
erst leise, dann immer lauter redend, an meine Seele heran.
Wie wäre es, dachte ich mir, wenn ich als Lehrerin, als
Missionärin dieser verwahrlosten Menschenkinder am Acquator
anfträtc und hinter meinen Fnßtapfcn Gesittung und Aufklärung
zurückließe. Wie dankbar wären mir die kommenden Jahr-
tausende ! Ach, Deine Laura ist so gütig, so weich!

Ich bin zwar ein schwaches Weib, — aber was Alles
kann ein schwaches Weib erleben, ertragen! Was Alles habe
ich schon erlebt und ertragen, o Lconie! Es ist besser, ich
ziehe einen undurchdringlichen Schleier darüber!

Eine Jda Pfeifer zog von Welttheil zu Welttheil! Sic
zog allein, mutterseelenallein durch Wüsten und Sümpfe, durch
Haiden und Einöden, welche kein menschlicher Fuß seit Jahr-

tausenden betreten! Und in diesen schauerlichen Einsamkeiten
that ihr Niemand etwas zu Leide, überfiel sie kein Bcduinen-
schwarm, massacrirtc sie kein blutdürstiger Tyrann, scalpirte sie
kein befiederter Indianerhäuptling. Und Jda Pfeifer kam auch
zeitweise in bewohnte Gegenden; aber auch hier rührte ihre
weibliche Gestalt die schändlichsten Bösewichter der tropischen
Zone. Der Sultan einer unbekannten Insel empfing sie sogar
unter dem Donner der Kanonen; die eklatantesten Menschen-
fresser lagerten sich friedlich zu den Füßen der Vereinsamten
und beschnüffelten nur die Ingredienzien ihres Reisesackes. Sie
erzählt ja so rührend, daß sie ein einziges Mal von einem
Neuholländer in das Bein gebissen wurde, und selbst dieser

Abscheuliche ließ sich durch freundliches Zureden von dem be-
absichtigten Meuchelmorde abwendig machen. Was also der un-
sterblichen Jda gelang, das kann ja auch Deiner Laura gelingen.

Und von Orpheus erzählt man, daß sein holder Gesang
die reißenden Thiere bezwungen hätte. Löwen, Hyänen und
Rhinocerosse legten sich winselnd zu seinen Füßen. O Leonie!
Ich bin keine Schwärmerin, und suche immer das Praktische
mit meinen schönsten Empfindungen von Liebe und Poesie zu
vereinigen/;, aber der Gedanke enthusiasmirt mich — durch

meinen Gesang ein wildes Thier winseln zu machen. Kurz,
— höre und staune!
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Eine weibliche Reise nach Suez (Aus den Jugenderinnerungen Laura's)"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Oberländer, Adolf
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Fremdbild
Harfenspiel
Neuholland <Brasilien, Motiv>
Person of Color <Motiv>
Harfe <Motiv>
Weibliche Reisende <Motiv>
Biss <Zahnmedizin>
Löwe <Motiv>
Zähmung
Karikatur
Buch <Motiv>
Bein <Motiv>
Harfenistin <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 68.1878, Nr. 1702, S. 74
 
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