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Eine weibliche R

Ich habe cs heute auf der Urne meines Gatten mir selbst
feierlichst zugeschworen, nach Afrika zu reisen, um daselbst die
Civilisation zu verbreitein Ich werde meine beiden Zwillings-
töchterchen Deiner jungfräulichen Sorgfalt übergeben und allein
— einzig gefolgt von meinem getreuen Kammerkätzchen Ncttel,
die Pilgerreise nach Tom buk tu antreten. Ich werde
mich mit wenigem Gepäcke belasten und nur meine Harfe und
ein Thermometer mitnehmen, um erstens die wilden Völker-
schaften vor Allem durch Musik zu bezähmen und anderseits
auch meteorologische Forschungen über die Wärmeverhältnisse der
verschiedenen Windströmungen anzustellen. Frisch gewagt
ist halb gewonnen!

Leonie meines getreuen Schwesterherzcns! Ich breite im
Geiste meine liebenden Arme über Dich und meine Kinder und
bleibe ewig Deine Dir unvergeßliche

Laura Gruber, gcb. Fischer.

In acht Tagen bin ich bereits in Triest."

Zweiter Brief.

Wie», August 1869.

Carissima Leona!

Wie weit bin ich von Dir entfernt! Ich stehe bereits an
der ersten Pforte des Orients. Ach, mich ergreift bei diesem
Gedanken ein wahrhaft geographisches Gefühl! Eisenbahn und
Dampfschiff, ihr seid die beiden Schwingen, welche uns über
die engen Grenzen des häuslichen Patriotismus empor tragen!

Meine Reise über Regensburg nach Wien auf dem Donau-
strome, welcher in Bayern und Oberösterreich grün, in den
Weingegenden Niederösterreichs aber grau ist — weßhälb der be-
rühmte Walzerkönig Strauß seinen berühmten Walzer „An der
schönen blauen Donau" benannt hat — war vom schönsten Wetter
begünstigt. Aber ich weiß nicht, warum mir Europa in den
letzten Wochen so langweilig geworden ist, daß ich kaum ohne
Gähnen eine europäische Gegend oder Stadt aublicken konnte.
Meine reiche Phantasie spiegelte mir schon immer nichts anders
als Palmen, Sykomoren, Schlangen, brüllende Löwen und
Kameele vor, und so wurde ich auf meiner afrikanischen Reise
durch Bayern und Oesterreich völlig indignirt durch den Anblick
von Europäern, gothischen Domkirchen, lieblichen Dörfern und
Landhäusern, Rathhäusern, Eisenbahnen und Dampfschiffen.
Laß mich daher, o liebenswürdige Leona, über meine Reise-
erlebnisse bis Wien lieber schweigen!

In Wien und Umgebung beginnt wenigstens eine neue
Schattiruug der Gegenstände, welche das ausländische Auge be-
trachtet. Die Gegend erscheint bereits gelber, das Grün ist
schon mehr vertrocknet, die Menschen sind magerer und schwärzer
geworden — cs ist also ein leiser Uebergang in's Afrikanische ge-
wonnen. Als wir am Quai landeten, frug mich Nettel, ob
wir bereits in Afrika aussteigen würden, weßhalb ich dieser
jungen Thörin eine Ohrfeige gab. O, dieses Nettchen! Wie
kann man so ohne jeden geographischen Vorbegriff geboren
sein! In unserem Zeitalter! — Doch halt. Bald hätte ich
ein kleines Abentenerchen zu beschreiben vergessen. Als ich
mit Nettchen das Dampfboot bei Regensburg betrat und das

eise nach Suez,
thörichtc Mädchen aus Augst vor der Wasscrrcise in stummen
Thränen zerfloß, bemerkte ich, daß ein interessant aussehender
Reisender uns theiluehmend betrachtete. Ich setzte mich in seine
Nähe und nahm eine interessante Stellung au. Wie hingegossen

ruhte ich auf dem Verdecke und gebot Nettcln, ihre'Thränen
zu trockne». Nettel setzte sich schweigend aus ihren Koffer
und strickte, stille Thränen vergießend. Ich blätterte harmlos
in meinem Büdeker und warf von Zeit zu Zeit einen schmach-
tenden Blick auf den Regensburger Dom. Der interessante,
blondgelockte Fremdling näherte sich mir und knüpfte alsbald
ein 'geistreiches Gespräch mit mir au. Ich erzählte ihm meine
Biographie, woraus er mir gestand, daß er ein Professor aus
Norddeutschland sei — .und nach Suez reise. Ich unterdrückte
einen leise aufkeimcndeu Schrei.

O Leonie! Ich gestehe Dir, daß dieser geistreiche Blondiu
gar bald einen tiefen Eindruck auf mich machte. Alles, was
er sagte, erschien mir pikant und schwungvoll, mein Seelenkern
fühlte sich so kräftig berührt. Seine, wenn auch magere Ge-
stalt imponirte mir, seine blauen Brillen milderten die intensive
Gluth geistsprühender Blicke. Ich empfand alsbald den Rapport
mit einer originalen Persönlichkeit. O Leonie! „Gleich und
gleich gesellt sich gern," — ich lud Herrn Professor Müller
also ein, mich auf meinen Wanderungen nach dem Innersten
von Afrika zu begleiten, was er nach halbstündiger, reiflicher
Ueberleguug auch sreudigst annahm.

Als wir Nachts im Mondenschimmer auf den Wogen des
vaterländischen Stromes dahinfuhren, weinte Nettchen bitterlich.
Sie frug mich alle drei oder vier Stunden, wie weit es noch
bis Afrika sei, weßhalb ich trotz meines weichen Gemüthes, ge-
zwungen war, ihr öfters eine Ohrfeige zu geben, worauf sich
das Mädchen gewöhnlich beruhigte.

In 'Wien angekommen, durchfuhren wir jene mir aus
früheren Tagen bekannten Straßen und Plätze dieser volk-
durchwimmelten Hauptstadt. Nettel vergoß aus nervöser Reiz-

10*
Image description

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Eine weibliche Reise nach Suez (Aus den Jugenderinnerungen Laura's)
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Oberländer, Adolf
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Abenteuer <Motiv>
Dampfboot
Regensburg
Weibliche Reisende <Motiv>
Tränenflüssigkeit
Karikatur
Stricken
Buch <Motiv>
Reisender <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 68.1878, Nr. 1702, S. 75
 
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