Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
98

Eine weibliche Reise nach Suez.

einen neuen Raubzug zu unternehmen, obgleich ich ihm auf die
freundschaftlichste Art mimisch zu verstehen gab, daß so ein
Raubzug ein höchst unchristliches Geschäft ist. Ach, Leonie! Es
schmerzt mich tief, daß mein Kabylenhanpt nicht mehr meinen
Harfcnklängen lauscht, daß er gegen meine mimischen Dar-
stellungen europäischer Verhältnisse gleichgiltig geworden ist.
Sanfte Melancholie überschleicht mein Innerstes, der Kern
meiner Seele ist still verwundet. Rettet ist Banne zweier jugend-
licher Kabylenfräulein geworden und geht mit denselben an

kühlen Abenden auf der Oase spazieren. ' Sie wirft mir nur
zeitweise ans der Ferne einen stummen Blick der Verzweiflung
zu, da ich ihr strenge verboten, mit mir zu conversircn,
um keinen Fluchtverdacht zu erregen. —

So saß ich denn heute mit meiner Harfe allein vor der
Thüre meines Zeltes und gedachte in stiller Sehnsucht meines
entflohenen Bräutigams Müller. Ach, wo wird der Geliebte
weilen? Ich spielte eine Etüde von Schumann, Nettel ging mit
ihren afrikanischen Zöglinginen um eine Palme herum spazieren.
Da entstand plötzlich ein großer Tumult. Ans allen Zelten
strömten Kabylenhäuptlinge; Kameele und Araberrosse wurden
gesattelt und nach Verlauf von einigen Minuten sprengte die
ganze männliche Bevölkerung der Oase im Galoppe davon, um
einen Raubzug in Scene zu setzen. Mein Kabylenhäuptling
hatte nicht einmal so viel Aufmerksamkeit für mich, mir eine
Abschiedsvisite zu machen. Das finde ich doch höchst indiscret!
Zorn erfüllte meine empörte Seele, ich winkte Reiteln zu mir
und frug, ob es noch gesattelte Kameele ans der Oase gebe.

„Ja," versetzte der Dicnstbote schluchzend, „hinter den
Zelten."

„Gut also," versetzte ich, „packe Dein Bündel, morgen j
um die Mittagsstunde, wenn die Weiber schlafen, besteigen wir
zwei Kameele und fliehen zurück nach Bayern."

Nettel stillte für einige Augenblicke ihre reichströmenden
Thränen und entfernte sich mit ihren Kabylcnzöglingincn.

Acht Tage später.

O Leonie meines ewigen Freundschaftsbundes! Ich bin
gerettet und verloren zugleich. Unsere Flucht gelang.
Zwei der schnellsten Kameele trugen uns, unser Gepäck und
meine Harfe mit wahrer Windeseile durch die Wüste Sahara

dahin. Niemand verfolgte Deine einsame Laura, als sic zwischen
Sand und Himmel gegen Norden raste. Aber dennoch bin ich
verloren! Ich sitze bereits auf der siebenten Oase trostlos und
rathlos. Diese Wüste ist so enorm weitläufig, und ich kenne
mich nicht aus! Meine einzige Zerstreuung ist, auf mein Thermo-
meter zu schauen, denn selbst die Harfe verklingt in dieser Wüste
nngehört. Rcttel's Verzweiflung ist bereits an dem höchsten
Punkte weiblicher Exaltation angelangt. Auf jeder Oase tobt
sie umher mit dem Ausdrucke von wahrhaft fanatischer Raserei.
Wie entlegen unsere jetzigen Oasen sind, zeigt sich schon dadurch,
daß sie nicht einmal von wilden Thieren besucht werden. Sie
sind wahre Nullen in der Zahlcnlosigkeit irdischer Ocde.

Caira, am 26. Octobcr.

Schreckbar, schreckbar, schrcckbar! O Leonie! Welche Gräß-
lichkeit muß ich Dir heute schreiben! Da zog ich hin in der
stillen Wüste, Nettel ans ihrem Kameele hinter mir. Ich spielte
auf der Harfe eine Nocturne von Draischock, und mein Auge
schweifte umher, um eine wünschenswerthere Weltgegend zu er-
spähen. Da erblickte ich in der Ferne eine Oase. Wir ritten
darauf hin und erblickten endlich mitten auf derselben einen hände-
ringenden Mann, dem die Haare zu Berge standen. O Leonie!
Es war — der bereits kameellose Müller. Dieser Unglückliche
war vor lauter Oasen in Raserei verfallen. Er hatte sichtlich
die Hoffnung bereits aufgegeben, jemals wieder nach seinem
schönen Berlin zu kommen und rang darob die Hände. Ich
eilte, mich ihm in die Arme zu stürzen. Da — o Leonie
meiner Verzweiflung, da trat plötzlich ein bisher von mir un-
bemerkter Löwe aus einem Gebüsche hervor und fraß meinen
Bräutigam vor meinen liebenden Augen gänzlich auf. O Leonie!
Es war gräßlich und doch so gustiös anzuschauen, wie königlich
erhaben dieser Löwe die sterblichen Gebeine meines Geliebten
zerbiß und zermalmte und sic sodann verschluckte. Bald war
nichts mehr von meinem Otto übrig, als sein Turban und
seine goldene Lorgnette. Als sich der" gesättigte Löwe wieder

entfernt hatte, stieg ich vom Kameele und hob die Lorgnette
als Souvenir aus dem Saude, um sic ewig bewahren zu können.
Ich ritt gegen Norden ab und kam endlich nach 7 Stunden
an den Rand der Wüste, wo ich mich im nächsten Dorfe durch
köstlichen Reis mit Hammelfleisch erquickte. Der arme Müller
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Eine weibliche Reise nach Suez (Aus den Jugenderinnerungen Laura's)"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Oberländer, Adolf
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Fremdbild
Flucht <Motiv>
Dienstmädchen <Motiv>
Mädchen <Motiv>
Souvenir <Motiv>
Weibliche Person of Color <Motiv>
Fressen
Brezel
Sahara
Weibliche Reisende <Motiv>
Löwe <Motiv>
Tränenflüssigkeit
Karikatur
Turban
Taschentuch <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Lorgnon <Motiv>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 68.1878, Nr. 1705, S. 98
 
Annotationen