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Frciulcin Dirndl.

Werke gehen, damit der Streich ivcnigstcns nicht gar zu —
dumni nnsfalle! Die Hauptsache wird für mich sein, daß mein
Vermögen nach meinem Tode in gute Hände übergehe."

Da dieser Gedanke der maßgebende bei ihm war, so sollte
diese Angelegenheit, welche so viele Frauen- und Mädchenköpfe
beschäftigte, ohne daß er es selbst dachte, eine ganz unerwartete
Richtung bekommen. Eines Tages brachte.nämlich der Briefbolc
an den Herrn Scheffelbcrg einen Brief, der den Poststempel
„Minnersdors" trug.

Minnersdorf?! Was war es, das dem Empfänger
Beim Entziffern dieser Postsignatur eine leise Röthe in's Gesicht
trieb? Was waren cs für Gedanken, die ihn bewegten, als er
eine Weile den noch nneröfsneten Brief in der gesenkten Hand
hielt? Nochmals überblickte er die Adresse des nneröfsneten Briefes.
In fast kindlichen Schriftzügen und sehr bedenklicher Orthographie
war darauf zu lesen: „An den Herrn Hans Scheffelberger, ehemals
Wachtmeister, jetzund Privatier in X. Sehr dringend!"

Offenbar kannte Herr Hans Scheffelberger diese Schrift,
denn ein unaufhaltsamer Ausdruck der Rührung schlich sich in
seine Gesichtszüge ein. Fast schien es, als ob seine Hand zittere,
indem er den mit dickem Siegelwachs geschlossenen Brief öffnete.

In demselben aber stand, von derselben Hand wie ans der
Adresse, Folgendes geschrieben:

„Mein lieber Hans!

Neunzehn Jahre sind es jetzund, daß Du nichts von
Dir hören ließest, aber auch ich habe seitdem nichts von mir
hören lassen. Viel, viel Leid ist inzwischen über mich ge-
kommen! Hundertmal habe ich die Feder in der Hand ge-
habt, Dir zu schreiben, aber mein Stolz hielt sic mir immer
zurück. Es war doch besser so. Warum ich jetzt schreibe?
Das wirst Du am Ende dieses Briefes erfahren. Jetzt
aber muß ich Dir sagen, daß ich wenige Monate, nachdem
Du von uns gingst, Mutter wurde von einer Tochter, die
Hanne getauft wurde; es ist Dein Kind! — Ich glaubte
cs ohne Dich fortbringen zu können, — hab's auch schwer
genug bis jetzt fortgebracht — aber die Kräfte verlassen mich.
Die Hanne ist jetzt achtzehn Jahre, ein saubers, lieb's Dirndl,
es ist ganz Dein Bild, auch so lustig lute Du, wenn's nur
nicht — sei nicht bös! — auch so leicht wird wie Du!
Bis jetzt ist sie brav, aber wenn ich todt bin? — Sie hat
Niemanden auf der Welt! Meine Ziehschwester, die Roscl,
möcht' sib nicht verlassen, aber die ist selber nothig! — Also,
Hans, cs ist das letzte Wort nach so langer Zeit, —
wenn ich gestorben bin, behalte das verlassene Mädel im
Ang'! Mehr verlang' ich nicht. Sie wird sich schon durch-
schlagen wie ihre Mutter, nur verspreche mir, daß Du. . .
Es zerreißt mir's Herz, aber cs kann nicht anders sein!
Und so leb' wohl, Hans! Ich verzeihe Dir Alles, hab's
schon längst gethan — cs ivar unser Schicksal! Lebe recht
wohl, ich sterbe ruhiger, seit ich mich entschlossen habe, Dir
Alles zu sagen, denn ein gutes Herz hast Du doch alleweil
gehabt. Diesen Brief kriegst Du erst, wenn ich
im — Grab liege. Die Rosel wird ihn Dir schicken.

> Deine

Marie Schwaiger."

Der Inhalt dieses Schreibens enthebt uns, den Leser mit
der Vorgeschichte unserer Erzählung bekannt zu machen, und die
eigenthümliche Lage und Stimmung zu schildern, in ivelche
Scheffelberg durch diesen Brief versetzt wurde. Es war ihm
vor Allem, als sei ihm mit einem Male seine ganze Vergangen-
heit, die er fast vergessen zu haben glaubte, mit aller Lebendigkeit
vor Augen getreten.

Die gute Marie! Warum schwieg sie? Warum war sie
so „hosfärtig", wie man sie im Dorfe schalt? . . . Und wie
aussichtslos war damals Scheffelsbergs Zukunft, als er das
Dorf verließ, nachdem er eine Amtsschreiberstelle in einem größeren
Marktflecken bekam, aber kaum so viel einnahm, um gerade
nicht zu verhungern! . . . Hanne heißt das Kind! Sein Kind
ist es! . . . Und sie hat es so treu gehegk und gepflegt! . . .

Wie aus dem stillen Grabe heraufgekommen, erschien ihm
die so gänzlich unerwartete Nachricht und er glaubte, er müsse
der Verstorbenen einen Eid leisten, daß er ihre letzte Bitte
erfülle. „Gottlob, daß ich jetzt kann, wie ich will!" sagte
Scheffelberg. „Es ist meine Tochter! Marie! ich schwöre es
Dir, sie soll cs sein! ..."

Man sieht, Scheffelberg war ein ehrlicher Mann, und als
er die Zeilen von der Hand seiner verblichenen Liebsten leise
an seine Lippen drückte, da konnte man erkennen, daß er sie
aufrichtig liebte; aber die Thräne, die ihm dabei über die
Wange floß, sagte deutlich, daß er von Reue zerknirscht sei
über die Leichtfertigkeit, mit der er das Verhältniß zur Ver-
storbenen genommen. _

Eine Woche darnach hielt der Eisenbahnzug in der Station
Minnersdorf. Ein einziger Passagier verließ den Train. Es
war Scheffelberg. Er war nach seiner Gewohnheit elegant ge-
kleidet und trug einen kleinen Ledcrhandsack. Vom Ausgange
des Bahnhofes aus ivarf er einen Blick nach Minnersdorf, das
eine gute Viertelstunde davon entfernt war. Da sahen ihm
wohlbekannte Gebäude entgegen, aber auch ganz neue stattliche,
denn seit er das letzte Mal hier ivar, hatte sich Minnersdorf,
das durch seine nialerische Lage für Touristen beliebt wurde,
erweitert und vorthetlhaft verändert. Es verdiente gar nicht
mehr, daß cs Dorf genannt wurde, denn besonders in
seinem inneren Theilc, der sich an das Gebirge lehnte, hatte
es einen völlig städtischen Charakter erlangt. Gegen die Bahn
zu aber ivar noch Alles so ziemlich im Alten geblieben; da
standen noch die kleinen niederen Häuser, die braunen Hütten,
und ganz vorne am äußersten Eingänge in's Dorf blickte das
Hänschen, in welchem seine Marie bei ihrer Mutter gelebt
hatte, zwischen zivci alten Nußbäumen hervor.

Langsam und sinnend folgte Scheffelberg einem Pfade, der
von der Fahrstraße ablcnkte. Als er auf diesem Wege vor
dem bezeichneten Hause angelangt lvar, senkte die Sonne eben
die letzten rothen Strahlen vom Gipfel des felsigen Berges
herab, und leuchtete dem dürftigen Wohnhanse verschönend
in's verkümmerte Antlitz. Wehmuth erfaßte den Wanderer
so mächtig, daß er sich unwillkürlich an den Stamm eines der
Nußbäume aulehnte.

Das war das niedere Fenster mit den kleinen Scheiben,
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