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146 Mcrster Nrkels dose Tage.

(Fortsetzung.)

„Anders kann's kaum gewesen sein!" bestätigte der Raths-
schreiber. „Meister Mkel mußte recht gut wissen, daß die Sache
nicht so gar gefährlich stand!"

Valtin nickte bekümmert vor sich hin; „'s wird schon so
sein!" klagte er. „Nun ja, klüger freilich war er immer als
ich, und auch fleißiger, und manchmal hat's böse Worte zwischen
uns gesetzt, wenn er meinte, ich nähme mich der Sache nicht
ordentlich an... er mochte auch Recht haben ... ich war gar
nicht so hinter dem Geschäfte her . . . aber daß er's so weit
treiben würde! . . . Und nun ist die Afra todt, und ich habe
sie nicht mehr gesehen, und mein Kind ist groß geworden, und
meine Augen haben es nie geschaut!" Er seufzte tief auf und
schaute in geduldigem Kummer vor sich hin, nachdem er sich
mit der Hand die feuchten Augen getrocknet. Wehklagend wieder-
holte er mehrmals: „Hütt's nimmer gedacht! Hänser hätt'
ich wollen auf ihn bauen!"

Der Rathsschreiber saß eine Weile neben dem Bekümmerten
in schweigender Theilnahme, dann hob er von neuem an und
fragte: „Aber warum seid Ihr denn so gar lange herumgestreift
und habt nicht ..."

„Ja, ja!" fiel jener verlegen ein. „Seht, bis Nürnberg
mußt' ich . . . das ist ein langer Weg und gingen viele Wochen
d'rüber hin, und dann (der Landstreicher kratzte sich hinter'm
Ohre) ich war ... 's ist einmal so . . . ich war immer . . .
es hat mir schon damals leid gethan, daß ich als Meisterssohn
mit anderthalb Jahren Wanderns davon kam . . . und . . .
nun war schon so viel Zeit her, daß ich von Hause fort war,
wußte ohnehin nicht, wie es da aussehe, und mußt' denken,
daß da Alles ans sei . . . da bin ich denn so immer weiter ge-
zogen und endlich, da war mein Geld zu Ende, mußt' mir fort-
helfen, so gut es ging. . . ach, Herr, wenn ich Euch erzählen
sollt', was ich da Alles erlebt und wo ich gewesen, ich könnte
wochenlang reden, von Früh bis Abend und würde nicht fertig!"

„Na," fiel Goswin lachend ein, der aus dem halb treu-
herzigen, halb verlegenen Geständnis; herausgehört hatte, wie
an der langen Verschollenheit des Mannes die Lust am müßigen
Umherstrcifen keinen geringen Thcil hatte, „na, nun ist's ja
überstanden, Ihr kehrt mit mir heim. Euer Bruder muß Euch.."

Aber kopfschüttelnd wehrte Jener ab und sagte seufzend:
„Er hat mich weg haben wollen, und wenn ich jetzt, nach so
langen Jahren, wieder käme, da er meint, des Vaters ganzes
Erbe sicher zu haben . . . nein! nein! In der Acht bin ich
so, der Bruder ist Rathsfreund, da würden sic kurzen Proceß
mit mir machen! Freilich," fuhr er fort, „wollt' ich jetzt
wieder zurück, wollt' sehen, wie's daheim steht; dachte, mich
kennt doch Niemand mehr; aber nun habt Ihr mich erkannt,
weil ich meinem Bruder so ähnlich sehe — das würden Andere
wohl auch, :md so will ich lieber. . ."

„Nichts da!" fiel der Stadtschreiber eifrig ein. „Laßt
mich nur machen! Ihr müßt zurück, schon um Eures Kindes
Willen, das sie sonst wahrhaftig dem Wütherich, dem Höhne,
überliefern! Wenn Ihr es den Herren vom Rathe darlegt,
wie es gekommen, daß..."

„Ach, das würde die Sache noch viel schlimmer machen! !
Da hätt' ich meinen Bruder erst recht auf dem Halse!"

„Nun, seid nur getrost! Morgen ziehen wir zusammen,
ich bring' Euch in die Stadt. D'rinnen Hab' ich eine geräumige !
Kemenate; die Frau, die mir die Junggesellen - Wirthschaft
besorgt, ist ein ruhig zuverlässig Weib, die schweigen kann.
Da könnt Ihr bei mir verborgen sein, und dann sehen wir
weiter zu, was anzufangen ist. Denkt doch an Euer Kind!"

— Seufzend schaute der Landstreicher vor sich hin und sagte
endlich achselzuckend: „Ja! ja!" — „So, nun laßt uns wieder
in's Haus hinein," mahnte Goswin. „Es ist zwar Keiner |
aus Gleißheim unter den Leuten drinnen, aber der Sicherheit
wegen wollen wir thun, als gingen wir einander nichts an. j
Vor der Stadt nehme ich Euch mit, ich geb' Euch einen
Mantel um, so kommt Ihr in meiner Begleitung ungefragt in
die Stadt, dann sehen wir weiter zu!" — Die beiden Männer

begaben sich nach der Herberge zurück.

* *

*

Acht Tage, waren verflossen, seitdem der Rathsschreiber in !
der Herberge draußen den Vater seiner Herzerkorenen entdeckt
hatte. Es war gegen Abend, und Meister Nikel Gerhold stand
zum Ausgehen angekleidet in der Wohnstube zu ebener Erde;
er hatte aber zuvor noch eine eben nicht freundliche Unterredung j
mit seiner Nichte Regine, die, vom Rocken anfgestanden, mit i
blassem Antlitz und bebenden Lippen vor ihm stand.

Meister Gerhold hatte seinem Mitmeister Höhne, als sich
dieser um Reginens Hand bei ihm bewarb, mit Freuden zu-
gesagt — war derselbe doch der reichste unter den Tuchmachern,
und Zunftältester obendrein. Die Heftigkeit seines Charakters,
um derenwillen er allerdings nicht eben wohl beleumundet war,
hatte, so meinte Gerhold, sich mit den Jahren gegeben, und
tvenn Regine auch den Rathsschreiber Goswin lieber zuin
Manne gehabt hätte, so war nach den Ansichten jener Zeit in
solchen Dingen die Entscheidung der Eltern allein maßgebend,
die besser wissen mußten, was für ihre Kinder zuträglich, als
die unerfahrenen Kinder selbst. Ueberdcm standen Meister
Gerhold selbst durch die Verschwägerung mit dem angesehenen
Zunftältesten mancherlei Bortheile in Aussicht; um so größer
war der Aerger des Meisters, als ihm von Seiten der Nichts
in der Ausführung seiner Zusage ein ernstlicher Widerstand
entgcgentrat. Wiederholt hatte er derselben erklärt, die Sachr
sei abgemacht, und immer wieder hatte die Trostlose unter
Thräucn und Bitten bethenert, sic werde darein nie einwilligen-
Meister Höhne drängte, verlangte des Mädchens Jawort und
begriff nicht, wozu sich der Mitmeister immer wieder eine neiü
Frist erbat. Er verlangte, Meister Nikel solle mit dem Müdcheb
doch ernstlich reden; wenn Höhne mit den Seinigen ernstlich
redete, da verstummte jeder Widerspruch, warum that es Meiste
Nikel nicht eben so?

Erst heute hatte der Freier den Meister wieder ernstlich
gemahnt, und dieser wollte nun die Sache rasch zum Abschlup j
bringen, um Jenem das Jawort auf die Trinkstube mitbringe>'
zu können. Aber auch diesmal wiederholte sich nur, was sich
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