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82

Mauerblümchen.

Vater, ihr leichtfüßigen Jünglinge da unten. Wollt auch ihr
einst im Schweiße eueres Angesichtes nach Tänzern jagen für
ein halbes Dutzend ballfähigcr Töchter? —

Ich lehnte mich zurück an die kühle Marmorsäule und es
überkam mich das wohlige Gefühl meiner persönlichen Sicherheit.
Da sah ich das kleine Männchen mir schräg gegenüber zwischen
den Ballroben der zusehenden Damen auftauchen. Es stand
vor einem jungen Mädchen in einfacher weißer Balltoilette und
gestikulirte heftig. „Ich that mein Möglichstes" — sprachen
diese Geberden — „aber wer vermag gegen solch' einen Wall
von Indolenz und Blasirtheit anzustürmen?"

Eine ältere Dame an der Seite des Mädchens, vermnthlich
die Mama, nickte entrüstet ihre Zustimmung, während das
Mädchen selbst, mit einem leichten wehmüthigen Lächeln, dem
Papa Trost zusprach.

Ein Mauerblümchen! Ein Exemplar jener Blumenspecies,
die, der Steinnelke zu vergleichen, in den hohen Regionen der
letzten Sitzreihe zwischen schroffen Ballmüttern gedeiht und sehn-
suchtsvoll hinablächelt in die gesegneten Gefilde des spiegelblanken
Parkets. Aber offenbar ein reizendes Mauerblümchen! Wie
graziös sich diese seingeschnittenen Lippen zu kräuseln wußten
und wie treuherzig diese Augen zu lächeln verstanden, um die
Eltern glauben zu machen, daß ihr Nichts, ach so gar Nichts
am Tanzen gelegen sei! Und zu Hause wird dann die Kleine
das Köpfchen in den Kissen vergraben und bitterlich, recht
bitterlich weinen.

Ich erschrack. Denn ich hatte mich plötzlich bei dem un-
leugbaren Versuche ertappt, meine Handschuhe über die Finger
zu streifen. Ruhe — nur Ruhe! Ich lehnte mich kategorisch
gegen die Marmorsäule; ich war ja Eins mit ihr!

Unwillkürlich aber streifte mein Blick doch wieder hinüber

nach dem Mauerblümchen. Eben hatte sich die Kleine erhoben und
Mama legte ein flaumbesetztes Entröe um ihre Schultern. Der

alte Herr aber schwang seinen Claque pathetisch in der Luft.
Ein inhaltsschwerer Fluch rang sich vermnthlich von seiner
Seele.

Mir ward seltsam zu Muthe. Es regte sich in mir wie
Mitleid mit diesem allerliebsten Blumengesichtchen, welches sich
so lebensfroh der Sonne zukehrtc und nun ohne einen wärmenden
Strahl derselben erhascht zu haben, sich abwcnden sollte. Dabei
legten sich die Weisen eines herrlichen Walzers süß und
schmeichelnd an mein Ohr wie Sirencnklüngc. Hüte Dich vor
den Fluchen des Tanzes!

Da nahm mein Mauerblümchen den Arm Papas und
wandte sich zum Gehen. Gewaltsam riß ich mich von dem
kühlen Marmor los und drängte mich mitten durch dcu Saal.
Eben stand die Kleine auf der letzten Stufe der Balustrade,
als ich anlangte. Ich nannte meinen Namen und bat um
einen Tanz. Der helle Glücksschein leuchtete aus ihren Augen. -
„Wir wollten allerdings bereits ausbrechen, da Gabriele etwas
unwohl ist" — log die Mama; „wenn es aber dem Kinde
Vergnügen macht" — unterbrach sic rasch der Papa und nahm
eiligst Entree und Fächer des Töchterleins in Empfang.

Ob es ihr Vergnügen machte! Jede Fiber in ihr zuckte,
als ich den Arm um ihre schlanke Taille legte und mit ihr
durch den Saal flog. Das Tanzen ist zweifellos nur als eine

Art Zimmergymnastik zu betrachten. Aber es ist doch etwas
Eigenthümliches darum, solch' ein weiches, schmiegsames Geschöpf
im Arme zu halten. Ich tanzte, bis der letzte Ton der
Musik verklungen war. Es kommt ja schließlich nicht alle
Tage vor.

Dann führte ich die Kleine an ihren Platz zurück. Mit
leuchtenden Augen dankte sie mir und plapperte mit größter
Unbefangenheit das Geständniß heraus, daß es ihr recht wehe
gethan hätte, schon jetzt den Ball verlassen zu müssen, auf den
sie sich so sehr gefreut hatte und zu dem leider auch nicht ein
Einziger ihrer zahlreichen Bekannten erschienen sei. — „Ich
werde Ihnen mit dem größten Vergnügen einige Herren vor-
stellen" — platzte ich in meiner unüberlegten Weise heraus,
und da standen wir auch schon vor den Eltern. Ein dankbarer
Blick der Mama, ein bärenhaft herzlicher Händedruck des Papas
und ich war allein mit dem drückenden Bewußtsein, einen recht
dummen Streich begangen zu haben.

„Ich werde Ihnen einige Herren vorstellen!" Wie mir nur
solch' ein waghalsiger Gedanke kommen konnte! Als ob sich
ein Tänzer überhaupt gutwillig vorstellen ließe! Ich fluchte
meiner geradezu lächerlichen Weichherzigkcit. Aber dann sah
ich wieder das kindlich frohe Auge meines Mauerblümchens vor
mir aufleuchten und mein verstocktes Gemüth begann aufzu-
thauen unter diesem Sonnenblicke. Nein, sie sollte nicht länger
als einsames Mauerblümchen den Tanzsaal zieren, sie sollte zur
vielumslatterten Ballrose werden — und wenn ich die nöthigen
Tänzer mit Gewalt zu ihr schleifen sollte. Entschlossen ging ich
auf die Jagd nach Tänzern aus.

(Fortsetzung folgt.)
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Mauerblümchen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schlittgen, Hermann
Entstehungsdatum (normiert)
1885 - 1885
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 82.1885, Nr. 2068, S. 82
 
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