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Der Soldatenbrief.

weilen just nicht Alles zu wissen. Im Geheimsten öffnete ste
den Brief mit Müh' und Noth — „was er denn schreibt,
wie's ihm denn geht? Gesund wird er mir doch wohl fein.
Wenn er gar zuletzt muß kriegsühren gehen, mein Hannsl!"

Die Kuh schellte an der Kette und schnupperte. Sie kannte
den Hans recht gut; wie er in derselbigen Nacht stecken 'blieben
ist im Fenster — das ist eine dicke Glasscheiben gewesen.

Endlich ist der Brief offen, entfaltet, und überrascht rief
die Gretel aus: „Der Närrisch, das ist aber ein rechter
Närrisch!" Sein Contcrfei war oben an der Ecke des Briefes,
fein leibhaft Conterfei mit dem Czako, dem weißen Rockel und
der blauen Hose, frisch und hell gemalt, und der Schnurrbart
dabei. „Jegerl, uh mei'! Aber sauber ist er, freilich wohl
rechtschaffen sauber. Und wie er ihm gewachsen ist, der Schnauz-
bart, so viel lang gewachsen! — Na, der Hannsl, was wird
er denn schreiben? — Zessas, jetzt kann ich nicht lesen! Wer
hätt' mir's denn g'lernt! Daß so ein Briefe! kunnt kommen,
auf so 'was hätt' Ein's von klein aus ja gar keine Gedanken.
Aber na, daß ich nicht lesen kann!"

Sie preßte das Papier wohl zum Munde, und langsam
gleitete die Hand daniit nieder gegen den Busen so jung und
zart — ließ den Brief dort ruhen. Plötzlich aber zuckte sie
ihn weg: „Sapperwald, Hannsl, das darf nicht sein! Nein,
Hannsl, das darf nicht sein!" Und noch lebhafter flüsternd:
„Ich bitt' Dich um Alles in der Welt, sein darf's nicht!" —
Dann später, wie aus einem Traum erwachend, ruhig: „Weil
Ein's meint, er wär's selber — wie er da so sauber gemalt
ist." So lehnte sie im dunklen Winkel an ihrem Bettchen.
Da zeterte draußen vom Hause her Plötzlich eine Stimme:
„Grell, ja weiger, was ist denn das heut', bist leicht in den
Milchzuber gefallen? So ein junges Mädel, wie Du, hat
meine Mutter allfort gesagt, soll nit so lang müßig sein, als
eine Taube ein Korn auspickt. Ich, wie ich in den jungen
Jahren bin gewesen, über drei Zäun' bin ich gesprungen, Hab'
ich ein Federt sehen liegen. Und heutzutag'! — muß ich Dir
weiterhelfen, vom Kuhstall heraus?"

Die Bäuerin war's. Schnell verbergen den Brief unter
dem blauen Busenlatz, an dem heut' ein Schnürchen war zer-
sprungen, und der Arbeit zu. Im Dienst, im Bauerndienst!
's ist halt eine schwere Sach'; wenn so ein Mädel auf einen
Buben wollt' denken, das ging beileib nit, das wär' Sünd',
so viel Sünd'!

Die Grell hat an demselbigen Tag Alles verkehrt angefaßt.
Die Streu im Hof kratzte sie mit der Mehlschaufel zusammen,
und als sie auf der Tenne Korn in den Mühlsack fassen sollte,
wollte sie es mit der Mistgabel thun; und als sic zu Mittag
die Suppe salzen sollte, da hat sie das ganze Salzfaß in den
Waschkessel geschüttet. Sie hatte ja das ungelöste Räthsel des
Schreibens auf dem Herzen — die arme Grell!

Am Nachmittag, als sie die scheckigen zwei Kühe einspannte
und damit auf die Granitzwiese um Futter fuhr, sagte sie zu
sich selbst: „Die Christi kunnt' schon lesen, sie braucht ja ein
Bctbiichel in der Kirch', die Christi."

Die. Christi war des Schwanenwirths Weiddirn, die an

Kirchtagen auch die Gäste bedienen half, die auch den Hans
Kinigl kannte, rechtschaffen gut kannte. Und die Christel war
Gretls G'spannin, wenn's um Frohnleichnam zum Kranz'laus-
setzen kam. . Jndeß, ohne daß Eine von der Auder'n wußte,
allbeide waren dem Hannsl verbunden; er hat zwar nie was
d'rein geredet, wenn sie, weiß gekleidet, das Kranzel im Haar,
bei der Prozession gewesen sind; er hat, wie's ja Recht und
Sitte ist, die Knöpfchen seines Rosenkranzes abgebetet, und nicht
ein Mörtel hat er geplaudert; in solchen Dingen läßt, was ein
richtiger Liebhaber ist, das Reden der Jungfer und dem Beicht-
vater über.

So ist er nachher gestellt worden; sie haben ihn abgemessen
— er ist just lang genug gewesen und anstellig auch; so haben
sie ihn denn auch beim Militär behalten. Ein sauberer Soldat
ist er 'worden, der Hannsl; der Kaiser nimmt halt von seinem
Land die schönsten Leut'; ich thät's auch. Jetzund ist seitdem
schon ein ganzer Sommer vorbei. Die zwei Kühe trotteten hin
über den Steinweg, der Granitzwiese zu und der Karren knatterte
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Soldatenbrief"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Wagner, Erdmann
Entstehungsdatum
um 1885
Entstehungsdatum (normiert)
1880 - 1890
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 82.1885, Nr. 2075, S. 138
 
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