155
Ucberr ns chungen.
Frau Amalie blieb stumm und sah ihrem Gatten mit eigen-
tümlichem Lächeln nach. Bon einem auf Andere Verlassen war
ihr nicht die Rede. Aber auch sie hatte einen Plan. Wohl-
weislich hatte sie denselben ihrem Gatten verschwiegen, denn dieser,
wußte sie, würde allerhand Gründe dagegen vorgebracht und
wu Ende gar'sich der Ausführung widersetzt haben, denn in solchen
»allen war er mitunter unglaublich hartköpfig. Sowie er aber
das Haus verlassen hatte, wurden — wie bereits an jeden: der
iünf vorhergehenden Tage — im Schlafzimmer, dessen eines Fenster
Jenau über der Hausthüre lag, von Fanny und Emilie allerhand
^kräthschaften bereit gestellt und mancherlei ungewöhnliche Anstalten
Setroffert.
August hatte inzwischen Bictor's Wohnung in gehobener
^iimniung betreten. Unterwegs war ihm eine Idee gekommen,
c’Ue wahrhaft brillante Idee! Lebhafter wie sonst ries er Bictor
„Hole mir vor allen Dingen Deinen Radmantcl und Cylinder-
Und als der Freund diese selten benützten Stücke kopfschüttelnd
^'gebracht, fuhr August glänzenden Blickes fort: „Victor, Du weißt,
^ eS bei meiner Frau zur fixen Idee geworden ist, die Rausklingler
^ppt und bestraft zu sehen. Du weißt auch, daß es nach den
iunf vergeblichen Nachtwachen mehr als unwahrscheinlich ist, daß
^ Kerls uns den Gefallen thun werden, heute zu kommen.
aber hält's meine Frau nicht mehr aus! Ihre Ruhe täuscht
w'ch nicht, ich weiß: sie fiebert innerlich. Wenn sie heute nicht
owmen — dann passirt was, ich kenne meine Frau! Und das hat
w>ch auf eine Idee gebracht. Hör' zu! Wir versuchen's heute erst
>wch einmal mit dem Aufpassen. Kommen sie innerhalb einer
stunde nicht, dann, Victor, dann klingeln wir selbst!! —'
Unterbrich mich nicht und höre weiter! — Das heißt: ich klingle
7"_ ® u springst auf mich zu. Ich reiße aus — Du schreist wie
'^ssen: „Halt da! Halt auf!!" und rennst mir nach. Im Laufen
ünn ich bann auch mitschreien, um den Scandal zu verstärken,
^ine Frau kommt natürlich auf das Klingeln hin an's Fenster,
den Lärm und unsere Haltrufe; wir kommen nach einem
Milchen zurück, berichten ihr triumphirend — in der Hitze des
^wchts inacht sich das Alles ganz famos — daß wir die Halunken
^'wischt, tüchtig durchgebläut und dann der Polizei übergeben hätten
wsd so weiter — und Du sollst 'mal sehen, welche wohlthätige
spürkung diese unschuldige Lüge auf meine Frau ausüben wird!
w Genugthuung, nach der sie lechzt, wird ihr unendlich wohl thun
Und die Ruhe unserer Häuslichkeit ist wieder hergestellt. Daß die
wlls nämlich wirklich wieder kommen sollten, glaube ich nicht. Ich
"nke mir, sie haben Lunte gerochen. Kämen sie aber doch, nun so
uns schlimmsten Falls immer noch die Polizei!"
„Ja, aber wozu denn dann Radmantel und Cylinderhut?"
wagte Victor einzuwenden. „Die ordinärsten Sachen würden's doch
auch thun!"
"Falsch, ganz falsch, Bictor! Ich muß nicht nur unkenntlich,
lm">ertt Qlt(I) anständig ausstafsirt sein. Denn wir müssen die
Füglichkeit in's Auge fassen, daß in Folge der Haltrufe Leute
Uuzuspringen. Einen anständig gekleideten Herrn im Cylinderhut
. leicht Niemand auf, man sieht dann gleich, daß es sich um
wuen Scherz handelt. Die Maßregel ist also nicht überflüssig."
Der Logik dieser Ausführungen wußte Victor nichts entgegen-
'iustellen und die Costümirung ging vor sich.
Nachdem die Freunde auf ihrem gewöhnlichen Standorte, einem
."w.^^büsch umgebenen, von der Straße seitabgelegenen Schuppen,
chrägsiber von August's Wohnhaus, eine kleine Stunde vergeblich
.^wartet hatten, schritten sie zur Ausführung der zweiten Hälfte
we-, Vorhabens — nicht ohne Herzklopfen von Seiten August's.
Ihm war das Klingeln zugefallen, und einen Moment konnte er
sich des Gedankens nicht erwehren, die Hausthüre möchte im Augen-
blicke des Klingelns von seiner Gattin geöffnet werden. Zurück-
treten von dem ganzen Plane ging aber nun nicht mehr an: er
durfte sich doch vor Victor nicht so blamiren!
So trennten sich also die Freunde nach der Verabredung, und
schlichen dann, August voran und in etwa dreißig Schritt Ent-
fernung hinter ihm Bictor, auf der tiefschattigen Häuserseite August's
Hause zu.
Unterdessen hatte Frau Amalie von Schlag 8 Uhr an unab-
lässig, trotz der kalten Abendluft, an einem halbgeöffneten Fenster
der Schlafstube gekauert und vorsichtig ausgespäht, ob die Gehaßten
sich etwa blicken lassen möchten. Am andern Fenster, dessen beide
Flügel weit zurückgeschlagen waren, standen, lautlos wie Stein-
bilder, Fanny und Emilie, jede eine mächtige Schüssel voll weißlich
schimmernden Inhalts vor sich auf dem Fensterbrett, der Befehle
ihrer Herrin gewärtig. „Aufgepaht!" klang es jetzt gedämpft vom
andern Fenster her, wo August's Gattin lauerte, „da kommt Wer
— es schleicht Einer heran — nein, Zweie — sie sind's!! Jetzt
still und regt Euch nicht, bis ich commandire!"
Roch kurz vor dem Hause hatte sich August, erschreckt durch
einen plötzlich austauchenden Spaziergänger, hinter einen der dicken
Lindenstämme geflüchtet. Das Haus lag vor ihm, in völlige
Dunkelheit gehüllt. In keiner Etage brannte Licht; im Schlafzimmer
seiner Wohnung standen, lute immer um diese Zeit, die Fenster
offen-die Schritte des unbequemen Wanderers verhallten —
jetzt galt es! Mit drei Sätzen war er an der Thür, seine Hand
fuhr nach dem porzellanenen Knopf und —
„Runter mit der Schlippermilch!" ertönte das Commando der
Frau Amalie, und August, festgewurzelt von dem Klang der
Stimme, fühlte mit heftigem Prall seinen Hut fortgeschnellt und
eine Sturzfluth eiskalten, schlüpfrigen Zeugs über sich ergießen —
„Die Asche, Fanny!"
Schrupp! — Es stiebte und stäubte um August herum, und
einen Moment war er völlig von einer Wolke eingehüllt und wie
geblendet-
18
Ucberr ns chungen.
Frau Amalie blieb stumm und sah ihrem Gatten mit eigen-
tümlichem Lächeln nach. Bon einem auf Andere Verlassen war
ihr nicht die Rede. Aber auch sie hatte einen Plan. Wohl-
weislich hatte sie denselben ihrem Gatten verschwiegen, denn dieser,
wußte sie, würde allerhand Gründe dagegen vorgebracht und
wu Ende gar'sich der Ausführung widersetzt haben, denn in solchen
»allen war er mitunter unglaublich hartköpfig. Sowie er aber
das Haus verlassen hatte, wurden — wie bereits an jeden: der
iünf vorhergehenden Tage — im Schlafzimmer, dessen eines Fenster
Jenau über der Hausthüre lag, von Fanny und Emilie allerhand
^kräthschaften bereit gestellt und mancherlei ungewöhnliche Anstalten
Setroffert.
August hatte inzwischen Bictor's Wohnung in gehobener
^iimniung betreten. Unterwegs war ihm eine Idee gekommen,
c’Ue wahrhaft brillante Idee! Lebhafter wie sonst ries er Bictor
„Hole mir vor allen Dingen Deinen Radmantcl und Cylinder-
Und als der Freund diese selten benützten Stücke kopfschüttelnd
^'gebracht, fuhr August glänzenden Blickes fort: „Victor, Du weißt,
^ eS bei meiner Frau zur fixen Idee geworden ist, die Rausklingler
^ppt und bestraft zu sehen. Du weißt auch, daß es nach den
iunf vergeblichen Nachtwachen mehr als unwahrscheinlich ist, daß
^ Kerls uns den Gefallen thun werden, heute zu kommen.
aber hält's meine Frau nicht mehr aus! Ihre Ruhe täuscht
w'ch nicht, ich weiß: sie fiebert innerlich. Wenn sie heute nicht
owmen — dann passirt was, ich kenne meine Frau! Und das hat
w>ch auf eine Idee gebracht. Hör' zu! Wir versuchen's heute erst
>wch einmal mit dem Aufpassen. Kommen sie innerhalb einer
stunde nicht, dann, Victor, dann klingeln wir selbst!! —'
Unterbrich mich nicht und höre weiter! — Das heißt: ich klingle
7"_ ® u springst auf mich zu. Ich reiße aus — Du schreist wie
'^ssen: „Halt da! Halt auf!!" und rennst mir nach. Im Laufen
ünn ich bann auch mitschreien, um den Scandal zu verstärken,
^ine Frau kommt natürlich auf das Klingeln hin an's Fenster,
den Lärm und unsere Haltrufe; wir kommen nach einem
Milchen zurück, berichten ihr triumphirend — in der Hitze des
^wchts inacht sich das Alles ganz famos — daß wir die Halunken
^'wischt, tüchtig durchgebläut und dann der Polizei übergeben hätten
wsd so weiter — und Du sollst 'mal sehen, welche wohlthätige
spürkung diese unschuldige Lüge auf meine Frau ausüben wird!
w Genugthuung, nach der sie lechzt, wird ihr unendlich wohl thun
Und die Ruhe unserer Häuslichkeit ist wieder hergestellt. Daß die
wlls nämlich wirklich wieder kommen sollten, glaube ich nicht. Ich
"nke mir, sie haben Lunte gerochen. Kämen sie aber doch, nun so
uns schlimmsten Falls immer noch die Polizei!"
„Ja, aber wozu denn dann Radmantel und Cylinderhut?"
wagte Victor einzuwenden. „Die ordinärsten Sachen würden's doch
auch thun!"
"Falsch, ganz falsch, Bictor! Ich muß nicht nur unkenntlich,
lm">ertt Qlt(I) anständig ausstafsirt sein. Denn wir müssen die
Füglichkeit in's Auge fassen, daß in Folge der Haltrufe Leute
Uuzuspringen. Einen anständig gekleideten Herrn im Cylinderhut
. leicht Niemand auf, man sieht dann gleich, daß es sich um
wuen Scherz handelt. Die Maßregel ist also nicht überflüssig."
Der Logik dieser Ausführungen wußte Victor nichts entgegen-
'iustellen und die Costümirung ging vor sich.
Nachdem die Freunde auf ihrem gewöhnlichen Standorte, einem
."w.^^büsch umgebenen, von der Straße seitabgelegenen Schuppen,
chrägsiber von August's Wohnhaus, eine kleine Stunde vergeblich
.^wartet hatten, schritten sie zur Ausführung der zweiten Hälfte
we-, Vorhabens — nicht ohne Herzklopfen von Seiten August's.
Ihm war das Klingeln zugefallen, und einen Moment konnte er
sich des Gedankens nicht erwehren, die Hausthüre möchte im Augen-
blicke des Klingelns von seiner Gattin geöffnet werden. Zurück-
treten von dem ganzen Plane ging aber nun nicht mehr an: er
durfte sich doch vor Victor nicht so blamiren!
So trennten sich also die Freunde nach der Verabredung, und
schlichen dann, August voran und in etwa dreißig Schritt Ent-
fernung hinter ihm Bictor, auf der tiefschattigen Häuserseite August's
Hause zu.
Unterdessen hatte Frau Amalie von Schlag 8 Uhr an unab-
lässig, trotz der kalten Abendluft, an einem halbgeöffneten Fenster
der Schlafstube gekauert und vorsichtig ausgespäht, ob die Gehaßten
sich etwa blicken lassen möchten. Am andern Fenster, dessen beide
Flügel weit zurückgeschlagen waren, standen, lautlos wie Stein-
bilder, Fanny und Emilie, jede eine mächtige Schüssel voll weißlich
schimmernden Inhalts vor sich auf dem Fensterbrett, der Befehle
ihrer Herrin gewärtig. „Aufgepaht!" klang es jetzt gedämpft vom
andern Fenster her, wo August's Gattin lauerte, „da kommt Wer
— es schleicht Einer heran — nein, Zweie — sie sind's!! Jetzt
still und regt Euch nicht, bis ich commandire!"
Roch kurz vor dem Hause hatte sich August, erschreckt durch
einen plötzlich austauchenden Spaziergänger, hinter einen der dicken
Lindenstämme geflüchtet. Das Haus lag vor ihm, in völlige
Dunkelheit gehüllt. In keiner Etage brannte Licht; im Schlafzimmer
seiner Wohnung standen, lute immer um diese Zeit, die Fenster
offen-die Schritte des unbequemen Wanderers verhallten —
jetzt galt es! Mit drei Sätzen war er an der Thür, seine Hand
fuhr nach dem porzellanenen Knopf und —
„Runter mit der Schlippermilch!" ertönte das Commando der
Frau Amalie, und August, festgewurzelt von dem Klang der
Stimme, fühlte mit heftigem Prall seinen Hut fortgeschnellt und
eine Sturzfluth eiskalten, schlüpfrigen Zeugs über sich ergießen —
„Die Asche, Fanny!"
Schrupp! — Es stiebte und stäubte um August herum, und
einen Moment war er völlig von einer Wolke eingehüllt und wie
geblendet-
18
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ueberraschungen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 87.1887, Nr. 2205, S. 155
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg