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Meine Tischnachbarin.

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rüttelt wurde. Und da sah ich es schon vor mir, mein Verhängniß,
in Gestalt meiner Tischnachbarin.

Sie war die einzige Tochter des Obersten von Zieritz, eine
schlanke, schöne Brünette, aber leider gehörte sie nicht zu jener harm-
losen Gattung der Wandernachbarinnen, die ein gtitiges Geschick
heut dem jüngsten Lieutenant, morgen dem ältesten Regierungs-
präsidenten zudiktirt — nein, unter den Sternen weiblichen Geschlechts,
welche ein drei Stunden langes Sitzen bei Tisch erträglich machen
sollen, war sie mein solider, nur gar zu beständiger Fixstern ge-
worden.

Da muß ich ein wenig ausholen. Vor drei Jahren, am Sonn-
tag nach Dreikönig, war Alice von Zieritz als letzte neue Persönlich-
keit in den geschlossenen Kreis der Baronin ausgenommen worden,
eben dem Institut entronnen, ein allerliebster, einfältiger Backfisch
mit unglaublich vergnügten, braunen Augen und einem immer halb
offenen Kirschenmündchen. Ich glaube, ich hätte, da ich damals
gerade von langen Reisen heimgekehrt war, eigentlich bildend auf
sie wirken sollen, bin aber dieser Erwartung nicht gerecht geworden,
denn unsere Unterhaltung drehte sich lediglich um Bälle, Theater
und Schlittschuhsport, aber wir lachten Beide fortwährend, und das
ist ja das untrüglichste Zeichen, daß man sich gut unterhält. Beim
Kaffee, für den ich die Baronesse in Frau von Audorf's Salon
bei der sogenannten Jugend untergebracht hatte, habe ich dann
eine große Unvorsichtigkeit begangen und in Gegenwart der Baronin
Zieritz und ihres Vaters, eines längst in den Ruhestand getretenen
Ministers, zugestanden, daß Alice ein reizendes Geschöpf sei — und
das war mein Verderben.

Ich habe damals nicht beobachtet, wie dieses Bekenntniß meiner
schönen Mannesseele, bei dem ich mir in Wirklichkeit gar nichts
gedacht habe, ausgenommen worden ist, denn ich zündete mir gerade
eine Cigarette an, aber heut bin ich überzeugt, daß sich sämmtliche
Anwesende gleichzeitig verständnißinnig angesehen und mit diesem
Blick ein Complot gegen mich geschmiedet haben. Als ich nämlich
vier Tage später bei einer alten Palastdame und bald darauf bei
Alicens Großvater zu Tisch geladen war, hatte ich die Baronesse
zu führen, und als der Oberst Zieritz dann einen Ball gab, war ich
ihr Cavalier beim Souper; Alicens Mutter, welche mir dieses Glück
ankündigte, flüsterte dabei mit bedeutsamem Lächeln: „Man muß
die jungen Lieutenants ein bischen fernhalten!"

Und ehe ich mich dessen versah, war es in der Gesellschaft
Tradition geworden, mich bei Tisch neben die kleine Zieritz zu setzen.
Zuerst lachten wir zusammen über den sonderbaren „Zufall", dann
aber bemerkte ich eine kleine Falte auf Alicens Stirn; natürlich, da ich
nicht immer dummes Zeug mit ihr schwatzte, langweilte sie sich, und
ich muß gestehen, auch ich war wenig entzückt über die Unterhalt-
ungen, die mit ihr möglich waren; da gab's so viele Mädchen, für
die ich mich weit mehr interessirte, ja, wenn ich aufrichtig sein soll,
ich habe die jungen Frauen viel lieber.

Daun kam die Sommerpause. Wir sahen uns ein halbes Jahr
nicht; aber bei der ersten Einladung, bald nach meiner Rückkehr vom
Lande, fing das interessante Spiel von Neuem an; wir lachten
wieder, aber schon etwas bitter. Nach und nach gewöhnten wir uns
an einander — das heißt, wir trugen das Unvermeidliche mit Würde.
Ich hätte zu allen unseren gemeinsamen Freunden und Bekannten
gehen und sie bitten können, uns nicht neben einander zu setzen,
aber das hätte ja endlose Kommentare gegeben und wäre gegen
Alice doch recht unartig gewesen. Unsere Tischnachbarschaft erinnerte
mich fortan an die Ehen, welche die Konvention geschlossen hatte:
wir saßen harmlos neben einander, lobten die Gerichte, tranken
unser erstes Glas Sekt stets mit einem bedeutungsvoll sein sollenden

Blick und der ebenso neuen wie geistreichen Wendung: „Was wir
lieben", und verknallten ein paar Knallbonbons, deren begleitende
Verse uns weder die Ruhe des Herzens, noch die unserer Nächte
raubten. Dann zum Schluß eine Verbeugung — „Bitte, meinen
Fächer!" — „Hier, meine Gnädigste!" und nach kaum acht Tagen
fing dieser in gesellschaftliche Formen gepreßte Blödsinn von vorn
an. Eigentlich aber ließ sich die kleine Baronesse von ihrem Nach-
barn zur Rechten unterhalten, und ich beschäftigte mich intensiver
mit meiner Dame zur Linken. So waren drei Jahre vergangen
und wir waren noch immer Tischnachbarn, obwohl das Gesicht der
Baronin Zieritz bedenklich laug zu werden begann, wenn sie mich
sah.-

Frau von Andorf war noch allein, als ich am Sonntag nach
Dreikönig bei ihr eintrat. „Nun, mein Freund, es ist hübsch, daß
Sie so pünktlich sind", sagte sie, mir ihre fette, kleine Hand reichend.

Ich setzte mich ihr gegenüber, und nachdem die landläufigen,
bequemeren Unterhaltungsstoffe erschöpft waren, meinte die Baronin:
„Sie führen natürlich Alice Zieritz zu Tisch!"

„Natürlich!" sprach ich mechanisch nach, und ich fand es wirk-
lich natürlich, daß man mich so ohne Weiteres meiner Freiheit be-
raubte; aber da regte sich doch einmal mein Widerspruchsgeist; ich
setzte den Zwicker auf, stemmte die Hände auf die Kniee und sah
Frau von Audorf fest an: „Sagen Sie, Baronin, weßhalb ist das
eigentlich natürlich?"

Die gute, alte Dame wurde über diese unerwartete Frage ganz
verlegen. „Ich glaubte nur", stotterte sie, „ja — was glaubte ich
eigentlich? . . . Liebster Graf!" meinte sie daun mit Anstrengung:
„Sind Sie denn so schwer von Begriffen? Wir haben gefunden, daß
Sie Beide ein vortreffliches Paar abgeben würden!"

„Ah!" Ich war nicht eigentlich überrascht, denn mit nichts
befassen sich alle Damen lieber, als mit dem gefährlichsten aller
Gesellschaftsspiele — mit dem Heirathsstiften; aber ich lachte laut auf:
„Ich hätte sie also heirathen müssen, um ihre lästige Tischnachbar-
schaft loszuwerden?" platzte ich, mich selbst vergessend, heraus.

„Lästig?" fragte die Baronin höchlichst erstaunt, während die
Thür aufging und der Eintritt der Familie Zieritz, drei Generationen
hoch, unserem töte-ü-tote ein Ende machte. Aber der Gedanke
intriguirte mich; ich konnte ihn, so dumm er war, nicht wieder los
werden; — also heirathen — heirathen, nur um sie nicht mehr zu
Tisch führen zu müssen — ausgezeichnet! Ich lachte wieder laut
auf, und sämmtliche Anwesenden, die außer der Baronin den Grund
meiner Heiterkeit nicht kannten, sahen mich fragend an; auch Alice
richtete den Blick auf mich.

Sie war wirklich sehr schön — man könnte sich die Sache
überlegen — sie hat zwar nichts, aber ich bin ja reich ftir Zwei —
wirklich, ich würde sie dann nicht mehr zu Tische führen müssen
und endlich einmal neben eine andere Dame gesetzt werden. Das
wäre doch wenigstens ein noch nicht dagewesenes, originelles Motiv;
— ich lachte wieder, etwas discreter zwar als vorhin, und der guten
Frau von Audorf, welche die Angelegenheit nun auch nicht mehr so
tragisch nahm, zuckte es ebenfalls merklich um die Mundwinkel.
Die gute Idee der Gesellschaft söhnte mich fast mit Alice, gegen die
ich eine ausgesprochene Abneigung zu pflegen begann, aus.

„Ich habe natürlich die Ehre", sagte ich zu ihr tretend, und sie
antwortete mit. lächelnder Ergebung: „Natürlich!"

„Wissen Sie, was Kismet ist?" fragte ich dann leise.

„Ich glaube ja: Das Fatum der Türken", meinte sie.

„Ja", sagte ich mit einem erstaunten Blick, denn eigentlich hatte
ich das Bildungsniveau der Baronesse etwas niedriger angeschätzt;
übrigens hatte sie das im Institut kaum gelernt, vielmehr dürfte
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