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S! k»

Ver Lhampagns -Kamsrav

>s

Leute zurück. Jhm gefiel dlese Tat. Und es
blieb ja für alle Wasser genug, auch für die
klrinen Leute des Dorfes.

Drei Tage stieg das Wasser nur langsam
und allmahlich, man konnte bergen und retten.
Dann aber mußte ein letzter, innerer Damm-
bruch erfolgt sein, drnn das Wasser kam in
Wellen daher. stürzte durch Türen und Fenster
und warf Mauern um. Weiber und Kinder
flüchteten, in den StSllen brüllte das Vieh in
Todesnöten und konnte nicht überall befreit
werden. Jm Pfarrhof und Schulhaus, Ee-
meindehaus und Grotzen Wirtshaus, in der
Kirche selbst drängten sich die Flüchtenden zu>
sammen. Nur fünfzehn HSuser im Mittelpunkt
blieben unversehrt, dreihundert stürzten ein oder

Zu Hunderten kampierten die Menschen im
Freien, Dampfschiffe kamen und sührten sie fort;
man teilte sie indessen auf in andere Gemeinden.
Und eine Eruppe von Verzroeifelten hatte sich
gebildet, die den Ruf ausstieh: „Auf, nach
Amerika!" Als ihr Leidensschiff sie die Donau
aufwSrts trug, befand sich unier ihnen allen
nur etn glückliches Menschenpaar: Die Ltszka
und thr Freund. Die Heimat gönnte ihnen kein
rheliches Band, aber dort drüben ftug wohl
niemand darnach, wer sie waren.

Wie auf einer Jnsel lebten die Zurück-
gebltebenen.

Als das Wasser zu sinken begann, umschlichen
dte Auswanderungsagenten wie dte HySnen das
Dorf, und zu ihnen gesellten sich übereiftige
patrtotlsche Sendlinge. Dle einen hofften auf
etn fettes Geschäft, die anderen lauerten auf
größere Beute — sie warteten auf den Beschluß
der Gemeinde, sich aufzulösen. Da war dann
Raum für eine nationale Stedelung auf Staats»
kosten im Mittelpunkt deutschen Lebens. Aber
die einen und die anderen fielen ab mit ihren
Hoffnungen und Wünschen.

Wohl löste sich die Gemeinde auf für einen
Sommer, nur wenige Familien konnten zurück-
bleibrn. Aber nach Amerika wollte keiner, dem
noch ein Stück Feld gehörte unter dem Schlamm
der Theiß. Und HStte er sein VStererbe mit
den Fingern aus dirsem Schlamm hervorgraben
müssen, preis gab er es nicht.

Als Knechte und MSgde mußten sich viele
verdingen, als Schnitter in die großen Schwaben-
dörfer gehen, um sich das Brot zu verdienen für
dirses verlorene Jahr. Dann aber, wenn die
Wasser der Sintflut wieder abgelaufen waren,
dann wollten sie alle, alle wiederkommen und ihr
Lebenswrrk von vorne beginnen. Ste waren nicht
niederzuringen, die Schwaben von Karlsdorf,
weder durch die Menlchen noch durch dle Elemente.

Und ehe sie auseinandergingen, htelt ihnen
der Pfarrer noch ein feierliches Hochamt, ver-
fammelte er die Gemeinde noch einmal um sich

Und so setzte denn, als eben Goldregen und
Syringen im Earten des Vetters sich zum Blühen
anschickten, ein braunes, rosiges Mädchen zum
erstenmal den Fuß über die Schwrlle seines
Hauses; und der Vetter konnte nicht begreifen,
weshalb auch drinnen die alten WSnde plötzlich
zu leuchten begannen. Erst später meinte er bei
sich selber, es sei ein Strahl von Güte, der aus
diesen jungen Augen gehe. Die Großtante fceilich
schütteUe etwas den Kopf über diese gar so
jugendltche HaushSlterin, und womit die alte
Karoltne geschüttelt, das hat der Vetter niemals
offenbaren wollen.

Julte war krine schlanke Jdealgestalt; sie war
liebltch und rundltch, fltnk und behaglich, ein ge-
borenes Hausmütterchen, unter deren Hand fich
die Dinge geräuschlos, wie von selber, ordneten.
Dabei, wenn ihr so recht was gelungen war,
konnte ste sich oft einer jugendlichen Unbeholfen-
heit nicht erwehren, fast als habe sie für ihre
Geschiälichkeit um Entschuldigung zu bitten. Ja,
als einmal der Vetter ein lautes Wort des Lobes
nicht zurückhalten konnte. sah er zu seinem
Schrecken das Mädchen plötzltch wie mit Blut
Übergossen vor sich stehen, und ganz deutlich
glaubte «r: „O. bitte, wenn Sie nichts dagegen
habrn!" die buchstäblichen Worte aus ihrem Munde
zu vernehmen. Jn Wirkltchkeit sreilich hatte er
sie nicht gehört; es war nur eine Konjektur, die
er aus den braunen Augen herausgelesen hatte.

zu einer Predigt. Der alte Hrckmüller, der ja
nur vom Schuldienst enthoben war, spielie die
Orgel. Der Klugsbaltzer aber hatte dem Pfarrer
die Bitte vorgetragen, daß nach Schluß des Gottec-
dienstes, zum Abschied, das Schwabenlied in der
Kirche gesungen werden dürft. Der Pfarrer las
den Tert aufmerksam durch und gewShrte die Bitte.

Dle Jugend sang das Lied, dte Alten kannten
es noch nicht. Aber als dte feierliche Schluß-

vie drei Ligeuner.

strophe wiederholt wurde, da erhoben auch sie
ihre Stimmen und sangen tief erschüttert mit:

Wir segnen dich, auf datz dich Gott behüte,

Nie haben die Glocken der Heimat so er-
haben in ihnen allen grläutet wte in dieser
Scheidestunde, nie war ihnen ihr blühendes Dorf
so teuer wie das vtelgeprüfte, das zerstörte.
--

Spruch.

Es ist noch jeder leicht durch diese Welt geschritten,
der gut zu danken wußt' und wußte gut zu bitten.

Als er es später dem Onkel Senator bei einer
Nachmittagspfeife anvertraute, nickte dieser und
meinte lSchelno, daß set eine Jnschrift, züchtig, sütz
und bescheiden und wohl passend für ein junges
Mädchenangesicht.

Und wie von selber belebten sich die öden
RSume des Hauses. Die Fenster füllten sich mit
Blumen, und unten vom Wohnzimmer in das
Treppenhaus hinauf klang morgens der helle
Schlag eines Kanarienvogels; aber ebenso lag
auch das Tüchelchen berett, um ihn zum Schweigen
zu bringen, wenn der Hnr Doktor noch beim
Morgenkaffee sein Prnsa durchnahm. Der Onkel,
der jetzt öfter bei dem Vetter einsah, behauptete,
das ganze Haus habe eine Wendung weiter nach
der Sonnenseite hin gemacht.

Selbst die alte Karoline stand eines Tages
mit eingestemmten Armen und sah den kunst-
sertigen Händen der „Mamsell" zu, die eben den
Studiersessel des Doktors neu gepolstert hatte
und nun so flink einen blanken Nagel um den
andern einschlug. Freilich, als sie sich darauf
ertappte, trabte sie eilig in ihre Küche zurück,
scheltend über sich selbst und über die fingeifire
Person, die dem Nachbar Sattler das Brot vor
dem Munde wegnehme.

Je weniger aber die alte Jungfrau die Tüchiig-
keit und die ruhige Freundltcheit des MSdchens
verkennen konnte, desto schärfer spähie sie nach
allen Seiten aus, und bald konnte man sie gegen

Mein altes vergpkarrerl.

Habt ihr es nicht schon „über Land" gehen
sehen, mein ltebes, weißhaariges altes Pfarrerl;
im dürftigen Schoßrock, schwarzen Kntehosen,
derben Bundschuhen; den weiten, grünlich
schimmernden Filzhut ins Gesicht gedrückt?

Hoch droben, auf unwirtlichem Hang,
wo die Füchse etnander gute Nacht sagen, wo
es dreiviertel Jahr Winter und einviertel Jahr
kalt ist, da haust er mitten unter ein paar armen
Bergbauern. Ungewohnt des ebenen Bodens
schrettet er bedächttg fürbaß, das mächtige Regrn-
dach unter dem Arm, bald mit kundigem Auge
das am Himmel ziehende Gewölk prüfend, dann
wieder über die weit an die Nase herunter ge-
rutschte Hornbrille hinweg im schwerfälligen
Brevierbuch blätternd und lesend. Zwischen-
drein etliches Schelten und Kosen mit dem
zotttgen, hinterdrein laufenden Psarrhund und
fteundliche Wechselrede mit begegnenden Bauern.
Treuherztg ist sein Blick und ohne Falsch und

ist ihm fremd. Den ftommen Elauben an den
Herrgott trägt er tirf im Herzen vergraben;
drum rutscht er ihm auch nicht bei jeder Gelegen-
heit auf die Zunge und zum Munde hinaus.
Dafür guckt ihm an allen Ecken und Enden
schalkhafter Humor und kerniger Mutterwttzhervor.

„Wie oft hast du dö Sünd' begangen?" fragte
er einmal den Bauer im Beichtstuhl.

„Rat' halt amal," meinte der.

„Rat'n! Sonst hab' i nir zu tun?" wettert
der Pfarrer. „Also sag'n wir . . . fünfmal!"

„Weiter aufer!"

„Zehnmal gar?"

„Nur aufer!"

„Zwanzg' mal?"

„Aufer" sag' i!"

Wie der Kurat in steigendem Entsetzen auf
die Zahl vierzig kam, metnte der Bauer:

„Jetz' hast ak'rat um zwoa z'oiel g'raten!"

Wie es zur Buße kam, fragte der Bauer:
„Wie viel Buß?"

„Rat' amal," bedeutet ihm der Kurat.

„Nu. etliche Vaterunser?"

„Aufer!"

„Epper an' Ros'nkranz gar?"

„Aufer sag' il"

Und so ging es in die Höhe, bis der Bauer
schweißtriefend vierzig stotterte.

„So! Jatz' hast um zwoa z'olel g'raten,"
meinte nun seinerseits der Kurat.

Mit den Bauern lebt mein Pfarrerl im besten
Elnvernehmen. Ec ist ihr Berater in aller Not.
Der Bauer ISßt sich von ihm den Steuerbogen
prüfen, er holt seinen Rat bei einem Ankauf so
gut wie vor einer Heirat ein; denn der Kurat

auf und ab wandern fehen. Es war unzweifel-
haft, der Doktor kam niemals mehr zu spät
von seinem Mittagsspaziergang; ja, er sah oft
ganz erhitzt aus, wenn er anlangte; er mußte
schier gerannt sein, um nur die rechte Stunde
nicht zu verfehlen. Um ihrentwillen, die sie ihn
doch auf diesen ihren Armen getragen hatte,
war noch niemals ein Tropfen Schweiß vergossen
worden! IFortsetzung folgt.)

Vergänglichkeit.

Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
Wte kann das sein, daß diese nahen Tage
Fort sind, für immer sort und ganz vergangen?
Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,

Und viel zu grauenvoll, als daß man klage:
Daß alles glettet und vorüberrinnt
Und daß mein eignes Jch, durch nichts gehemmt,
Herüberglitt aus einem kletnen Kind,

Mir wie ein Hund unhrimltch stumm und ftemd.
Dann: Daß ich auch vor hundert Jahren war,
Und meine Ahnen, die im Totenhemd,

Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar.
So eins mit mir als wie mein eignes Haar.
 
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