2. Grabungsgeschichte und Forschungsstand
Überlegungen zum Grabungsbefund Miltners 1957/58
Die im Anhang zitierten Einträge im handschriftlichen Tagebuch23 bilden mit den wenigen Fotos der Ausgrabung und einigen publizierten
Vorberichten die einzige Quelle zur Ausgrabung des Nymphaeum Traiani24. Eine Beurteilung von Befundsituation und Sturzlage ist deshalb
schwierig. Den Grabungsfotos und Tagebucheinträgen zufolge wurden die Bauteile und Skulpturen offenbar zum Teil in Sturzlage gefunden
(vgl. etwa Taf. 4, 1). Auffällig ist jedoch, daß während der Ausgrabung außer einigen Fragmenten von Säulen mit Reliefdekoration, die
wahrscheinlich der Rahmung der Mittelnische dienten, keine weiteren Stützglieder dokumentiert wurden25. Dies könnte dafür sprechen, daß
diese für ein anderes Bauwerk wiederverwendet worden sind, was einen planmäßigen Abbau der vorhandenen Architektur voraussetzt26.
Auf einen solchen weisen die Grabungsfotos jedoch nicht hin. Alternativ dazu wäre denkbar, daß die Säulen aus Buntmarmor bestanden
und deshalb nach der Zerstörung des Gebäudes abtransportiert wurden, um sie in Form von opus sectile o. ä. zu nutzen. Dafür sprechen auch
die Reste von grob zubehauenen Pfeilern aus hellgrauem Marmor, die dem Nymphäum zugeordnet werden können und die ursprünglich
wohl mit buntem Marmor inkrustiert waren27. Auch sie wurden des wertvollen Materials entkleidet zurückgelassen. Das Fehlen von anderen
Baugliedern und von Teilen der Skulpturenausstattung ist hingegen vielleicht damit zu erklären, daß diese als Spolien wiederverwendet
wurden. Darauf deutet in erster Linie hin, daß nicht eine bestimmte Baugliedart völlig fehlt, sondern jeweils nur einzelne Blöcke bzw.
Statuen aus dem Gesamtmaterial entfernt wurden, die wohl für den ihnen zugedachten Zweck die geeigneten Maße besaßen.
2.2 Forschungsstand
Nach dem plötzlichen Tod Miltners kurz vor Beginn der Grabungskampagne 1959 wurde die Arbeit in Ephesos erst 1960 unter der Leitung
F. Eichlers - mit ähnlichen Schwerpunkten, aber unter Betonung wissenschaftlicher Interessen im Gegensatz zu dem von Miltner forcierten
Wiederaufbau - erneut aufgenommen28.
Im Jahr 1962 wurde der Wiener Architekt H. Pellionis mit der Bearbeitung des Nymphaeum Traiani beauftragt. Während in der Herbstkampagne
die Aufstellung einer Architekturprobe den Schwerpunkt des Arbeitsprogramms bildete29, diente die Frühjahrskampagne der zeichnerischen
Aufnahme von Grundriß und Schnitten durch das Gebäude sowie der Dokumentation aller Bauteile30. Die von Pellionis gewonnenen Er-
kenntnisse führten zu einer zeichnerischen Darstellung (inklusive Schichtplänen der Architrav-Friese und Gesimse beider Geschoße) und
einem alternativen Rekonstruktionsvorschlag sowie zur Abfassung eine Manuskriptes, wurden aber nicht publiziert31. Teile der von Pellionis
angefertigten zeichnerischen Dokumentation sowie sein Rohmanuskript sind heute im Archiv des ÖAI nicht mehr auffindbar32. Der von
Pellionis erstellte Grundriß sowie die schematische Rekonstruktion der Fassade in Normalprojektion (Taf. 7, 2) wurden erstmals von A.
Bammer 1975 in den ÖJh abgebildet33. Eine von Pellionis gezeichnete perspektivische Rekonstruktion (Taf. 5, 2) wurde erstmals 1995 ver-
öffentlicht34.
Bei allen in weiterer Folge publizierten Darstellungen des Nymphaeum Traiani handelt es sich entweder um leicht modifizierte oder direkte
Übernahmen von Pellionis’ Zeichnungen35. Auch allen übergreifenden Analysen hinsichtlich Bauform und architektonischer Gestaltung liegt
seine Bearbeitung zugrunde36.
23 Zu einer chronologischen Zusammenstellung aller Einträge zum Nymphaeum Traiani
s. Anhang.
24 Vgl. Kap. 3.2.1.
25 Von einem Fehlen der Säulen sprechen Alzinger, Weltwunder, 237; ebenso Wohlers-
Scharf, Forschungsgeschichte, 263. Anders hingegen Eichler, Bericht ÖAW 1962,
50, der hinsichtlich der Aufstellung der Architekturprobe erwähnt, diese erfolge „unter
Verzicht auf die ursprüngliche Höhe, die aus den Resten der Säulen und Pfeiler nicht
genau festgestellt werden konnte“. Dabei dürfte es sich jedoch um eine Unschärfe in
der Formulierung handeln.
26 Dann wäre m.E. mit einer zumindest etwas regelmäßigeren Anordnung der Archi-
tekturfragmente zu rechnen, als dies den Fotos zufolge - die zum Teil Bauglieder in
Sturzlage zeigen - der Fall gewesen sein dürfte. Gegen einen intentional herbeigeführ-
ten Einsturz der Fassade spricht hingegen, daß die Gefahr, die Säulen zu beschädigen
und dadurch für eine Weiterveiwendung unbrauchbar zu machen, relativ groß gewesen
wäre. Eine breit angelegte Untersuchung von antiken Spolien und ihrer Weiterver-
wendung zur Beurteilung derartige Befunde stellt ein Desiderat der Forschung dar.
27 s.u. Kap. 3.4.2.
28 Wohlers-Scharf, Forschungsgeschichte, 134 f.; G. Wiplinger, Ephesos, in: 100 Jahre
ÖAI, 192.
29 s.u. Kap. 2.3.
30 Vgl. maschinschriftliches Tagebuch der Frühjahrskampagne 1962, z. B. 28. April 1962:
„Grundrissaufnahme am Nymphäum Traiani“. Eine zeichnerische Dokumentation
existierte - laut persönlicher Mitteilung von H. Pellionis - für alle Bauglieder des
Nymphaeum Traiani.
31 Zur Tätigkeit von H. Pellionis in Ephesos s. auch Eichler, Bericht ÖAW 1962, 50 f.
32 Die vorhandene Dokumentation von H. Pellionis diente als Grundlage für die Neu-
aufnahme, wobei alle Steinaufnahmen vor Ort kontrolliert, nachbearbeitet sowie
fallweise verbessert wurden. Die Schichtpläne wurden überprüft, korrigiert und
um weitere Fragmente ergänzt. In mehreren Fällen stellen die Zeichnungen eine
Informationsquelle für heute auf Grund der Architekturprobe nicht mehr sichtbare
Steinflächen dar.
33 Bammer, Grabungen 1960-1970, 386. Abb. 9f.
34 Scherrer, Führer, 119 Abb. 2; Wiplinger - Wlach, Ephesos, 96 Abb. 127.
35 Vgl. Hueber, Ephesos, 12 Abb. 13. In der von L. Vandeput und Ch. Berns publizierten
Darstellung ist der Statuenschmuck in der Fassade frei ergänzt, vgl. Vandeput -
Berns, Private Freigebigkeit, 74 Abb. 55a. Das ebenda 184 im Abbildungsnachweis
angegebene Zitat (Miltner, Grabungsbericht 1957, 340 f.) bezieht sich zwar auf den
schematischen Grundrißplan nach der Aufnahme von K.-H. Göschl, bei Vandeput -
Berns Abb. 55b, die von Pellionis übernommene Rekonstruktionszeichnung (wohl
nach der Publikation bei Bammer, Grabungen 1960-1970, Abb. 10) bleibt aber un-
erwähnt.
36 Vgl. beispielsweise Gros, Architecture Romaine, 430 Abb. 485; Dorl-Klingenschmid,
Prunkbrunnen, passim, bes. 55. 142. 188 f. (Nr. 26); Höcker, Metzler Lexikon, 178.
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Überlegungen zum Grabungsbefund Miltners 1957/58
Die im Anhang zitierten Einträge im handschriftlichen Tagebuch23 bilden mit den wenigen Fotos der Ausgrabung und einigen publizierten
Vorberichten die einzige Quelle zur Ausgrabung des Nymphaeum Traiani24. Eine Beurteilung von Befundsituation und Sturzlage ist deshalb
schwierig. Den Grabungsfotos und Tagebucheinträgen zufolge wurden die Bauteile und Skulpturen offenbar zum Teil in Sturzlage gefunden
(vgl. etwa Taf. 4, 1). Auffällig ist jedoch, daß während der Ausgrabung außer einigen Fragmenten von Säulen mit Reliefdekoration, die
wahrscheinlich der Rahmung der Mittelnische dienten, keine weiteren Stützglieder dokumentiert wurden25. Dies könnte dafür sprechen, daß
diese für ein anderes Bauwerk wiederverwendet worden sind, was einen planmäßigen Abbau der vorhandenen Architektur voraussetzt26.
Auf einen solchen weisen die Grabungsfotos jedoch nicht hin. Alternativ dazu wäre denkbar, daß die Säulen aus Buntmarmor bestanden
und deshalb nach der Zerstörung des Gebäudes abtransportiert wurden, um sie in Form von opus sectile o. ä. zu nutzen. Dafür sprechen auch
die Reste von grob zubehauenen Pfeilern aus hellgrauem Marmor, die dem Nymphäum zugeordnet werden können und die ursprünglich
wohl mit buntem Marmor inkrustiert waren27. Auch sie wurden des wertvollen Materials entkleidet zurückgelassen. Das Fehlen von anderen
Baugliedern und von Teilen der Skulpturenausstattung ist hingegen vielleicht damit zu erklären, daß diese als Spolien wiederverwendet
wurden. Darauf deutet in erster Linie hin, daß nicht eine bestimmte Baugliedart völlig fehlt, sondern jeweils nur einzelne Blöcke bzw.
Statuen aus dem Gesamtmaterial entfernt wurden, die wohl für den ihnen zugedachten Zweck die geeigneten Maße besaßen.
2.2 Forschungsstand
Nach dem plötzlichen Tod Miltners kurz vor Beginn der Grabungskampagne 1959 wurde die Arbeit in Ephesos erst 1960 unter der Leitung
F. Eichlers - mit ähnlichen Schwerpunkten, aber unter Betonung wissenschaftlicher Interessen im Gegensatz zu dem von Miltner forcierten
Wiederaufbau - erneut aufgenommen28.
Im Jahr 1962 wurde der Wiener Architekt H. Pellionis mit der Bearbeitung des Nymphaeum Traiani beauftragt. Während in der Herbstkampagne
die Aufstellung einer Architekturprobe den Schwerpunkt des Arbeitsprogramms bildete29, diente die Frühjahrskampagne der zeichnerischen
Aufnahme von Grundriß und Schnitten durch das Gebäude sowie der Dokumentation aller Bauteile30. Die von Pellionis gewonnenen Er-
kenntnisse führten zu einer zeichnerischen Darstellung (inklusive Schichtplänen der Architrav-Friese und Gesimse beider Geschoße) und
einem alternativen Rekonstruktionsvorschlag sowie zur Abfassung eine Manuskriptes, wurden aber nicht publiziert31. Teile der von Pellionis
angefertigten zeichnerischen Dokumentation sowie sein Rohmanuskript sind heute im Archiv des ÖAI nicht mehr auffindbar32. Der von
Pellionis erstellte Grundriß sowie die schematische Rekonstruktion der Fassade in Normalprojektion (Taf. 7, 2) wurden erstmals von A.
Bammer 1975 in den ÖJh abgebildet33. Eine von Pellionis gezeichnete perspektivische Rekonstruktion (Taf. 5, 2) wurde erstmals 1995 ver-
öffentlicht34.
Bei allen in weiterer Folge publizierten Darstellungen des Nymphaeum Traiani handelt es sich entweder um leicht modifizierte oder direkte
Übernahmen von Pellionis’ Zeichnungen35. Auch allen übergreifenden Analysen hinsichtlich Bauform und architektonischer Gestaltung liegt
seine Bearbeitung zugrunde36.
23 Zu einer chronologischen Zusammenstellung aller Einträge zum Nymphaeum Traiani
s. Anhang.
24 Vgl. Kap. 3.2.1.
25 Von einem Fehlen der Säulen sprechen Alzinger, Weltwunder, 237; ebenso Wohlers-
Scharf, Forschungsgeschichte, 263. Anders hingegen Eichler, Bericht ÖAW 1962,
50, der hinsichtlich der Aufstellung der Architekturprobe erwähnt, diese erfolge „unter
Verzicht auf die ursprüngliche Höhe, die aus den Resten der Säulen und Pfeiler nicht
genau festgestellt werden konnte“. Dabei dürfte es sich jedoch um eine Unschärfe in
der Formulierung handeln.
26 Dann wäre m.E. mit einer zumindest etwas regelmäßigeren Anordnung der Archi-
tekturfragmente zu rechnen, als dies den Fotos zufolge - die zum Teil Bauglieder in
Sturzlage zeigen - der Fall gewesen sein dürfte. Gegen einen intentional herbeigeführ-
ten Einsturz der Fassade spricht hingegen, daß die Gefahr, die Säulen zu beschädigen
und dadurch für eine Weiterveiwendung unbrauchbar zu machen, relativ groß gewesen
wäre. Eine breit angelegte Untersuchung von antiken Spolien und ihrer Weiterver-
wendung zur Beurteilung derartige Befunde stellt ein Desiderat der Forschung dar.
27 s.u. Kap. 3.4.2.
28 Wohlers-Scharf, Forschungsgeschichte, 134 f.; G. Wiplinger, Ephesos, in: 100 Jahre
ÖAI, 192.
29 s.u. Kap. 2.3.
30 Vgl. maschinschriftliches Tagebuch der Frühjahrskampagne 1962, z. B. 28. April 1962:
„Grundrissaufnahme am Nymphäum Traiani“. Eine zeichnerische Dokumentation
existierte - laut persönlicher Mitteilung von H. Pellionis - für alle Bauglieder des
Nymphaeum Traiani.
31 Zur Tätigkeit von H. Pellionis in Ephesos s. auch Eichler, Bericht ÖAW 1962, 50 f.
32 Die vorhandene Dokumentation von H. Pellionis diente als Grundlage für die Neu-
aufnahme, wobei alle Steinaufnahmen vor Ort kontrolliert, nachbearbeitet sowie
fallweise verbessert wurden. Die Schichtpläne wurden überprüft, korrigiert und
um weitere Fragmente ergänzt. In mehreren Fällen stellen die Zeichnungen eine
Informationsquelle für heute auf Grund der Architekturprobe nicht mehr sichtbare
Steinflächen dar.
33 Bammer, Grabungen 1960-1970, 386. Abb. 9f.
34 Scherrer, Führer, 119 Abb. 2; Wiplinger - Wlach, Ephesos, 96 Abb. 127.
35 Vgl. Hueber, Ephesos, 12 Abb. 13. In der von L. Vandeput und Ch. Berns publizierten
Darstellung ist der Statuenschmuck in der Fassade frei ergänzt, vgl. Vandeput -
Berns, Private Freigebigkeit, 74 Abb. 55a. Das ebenda 184 im Abbildungsnachweis
angegebene Zitat (Miltner, Grabungsbericht 1957, 340 f.) bezieht sich zwar auf den
schematischen Grundrißplan nach der Aufnahme von K.-H. Göschl, bei Vandeput -
Berns Abb. 55b, die von Pellionis übernommene Rekonstruktionszeichnung (wohl
nach der Publikation bei Bammer, Grabungen 1960-1970, Abb. 10) bleibt aber un-
erwähnt.
36 Vgl. beispielsweise Gros, Architecture Romaine, 430 Abb. 485; Dorl-Klingenschmid,
Prunkbrunnen, passim, bes. 55. 142. 188 f. (Nr. 26); Höcker, Metzler Lexikon, 178.
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