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11. Das Nymphaeum Traiani in seinem Kontext
Abschließend soll schlaglichtartig ein Blick auf das Nymphaeum Traiani in seinem Kontext zur Errichtungszeit am Beginn des 2. Jh.s n. Chr.
sowie in der Spätantike am Beginn des 5. Jh.s. n. Chr. gerichtet werden. Ziel ist es, das Gebäude und seine Bedeutung in ihrer Gesamtheit
zu erfassen. Auf Grund der beiden gewählten Zeitpunkte lassen sich darüber hinaus die historische Dimension der Entwicklung und die
Bruchlinie, die sich zwischen Kaiserzeit und Spätantike ergibt, besser fassen. Das urbanistische Umfeld, die Bedeutung des Nymphäums für
die Wasserversorgung der Stadt, die Architektur und der gewählte Bautypus stehen in starkem Bezug zueinander. Ebenso sind die Stifter der
Anlage, die von ihnen angebrachte Inschrift, die Skulpturenausstattung und die intendierte Aussage des Monuments miteinander verwoben.
Alle diese Aspekte müssen vor dem Hintergrund von Vergleichsbauten betrachtet werden. Erst dadurch läßt sich eine Gesamtinterpretation
des Monuments mit allen seinen Facetten erzielen.

11.1 Die Errichtungszeit am Beginn des 2. Jh.s n.Chr.
Städtebaulicher und topographischer Kontext
Das zwischen 102 und 114 n.Chr. von Ti. Claudius Aristion und seiner Gattin lulia Lydia Laterane gestiftete Nymphaeum Traiani, ein
monumentales Fassadennymphäum mit einer zweistöckigen Blendarchitektur, liegt an der Kuretenstraße, die im Taleinschnitt zwischen
den beiden ephesischen Stadtbergen verläuft, dem Panayirdag im Norden und dem Bülbüldag im Süden (Taf 1, 2; 2, 1). Diese verband den
Bereich der sog. Oberstadt - wo auch das städtische Verwaltungszentrum, das Bouleuterion und das Prytaneion lagen - mit der Hafenebene
und dem kommerziellen Zentrum der Tetragonos Agora790. Aus diesem Grund ist das Areal in der römischen Kaiserzeit als eines der
städtebaulichen Zentren von Ephesos zu betrachten.
An der Südseite der Kuretenstraße befand sich mit dem sog. Androklos-Heroon, dem Oktogon und dem Hexagon eine Reihe von Grab-
bzw. Ehrenmonumenten, die im frühen 2. Jh. n.Chr. bereits auf ein „würdiges Alter“ zurückblicken konnten. Dahinter zogen auf Terrassen
angelegte Wohnbauten den steilen Hang des Bülbüldag hinan, von denen die beiden ausgegrabenen Hanghäuser 1 und 2 eindrucksvoll
vermitteln, in welchem Wohnluxus bedeutende ephesische Familien der römischen Kaiserzeit in Zentrumsnähe lebten. Nach Osten hin
verliefen an beiden Seiten der Kuretenstraße Säulenhallen, die dahinterliegende Bebauung ist nicht ergraben. An der Nordseite ist zwischen
der sog. Badgasse und dem östlichen Ende der Straße das Nymphaeum Traiani der einzige Bau, der die Reihe der Säulenhallen mit einer
etwas zurückgesetzten, zweistöckigen Fassade unterbrach791 (Taf. 112). Dadurch dominierte die Brunnenanlage die Nordseite in diesem
Abschnitt visuell. Im Westen endete die Kuretenstraße am Vorplatz der Celsus-Bibliothek, wo die sog. Marmorstraße nach Norden abbiegt.
Von der Gestaltung dieses Bereiches wissen wir zur Zeit der Errichtung des Nymphaeum Traiani bislang nur wenig: Die Celsus-Bibliothek
(Taf. 138, 1) entstand als optischer Abschluß der Blickachse entlang der Kuretenstraße - ebenso wie das Hadrianstor - zwar nur kurze Zeit,
aber in jedem Fall nach dem monumentalen Fassadenbrunnen792. Der Bereich zwischen Badgasse und Marmorstraße wurde im wesentlichen
vom sog. Variusbad (auch Scholastikiatherme), der zugehörigen Latrine sowie dem in den Thermenkomplex integrierten sog. Hadrianstempel
eingenommen793. Die Bauinschrift des Tempels zeigt, daß mit einer Fertigstellung dieses Komplexes erst in hadrianischer Zeit zu rechnen
ist794. Allzu groß kann der zeitliche Unterschied jedoch nicht gewesen sein: Geht man davon aus, daß die Wasserleitung des Aristion nicht
nur seinen Brunnen, sondern auch das Variusbad versorgte, ist zu folgern, daß wir mit den beiden dominanten Gebäuden an der Nordseite
der Kuretenstraße ein einheitliches Baukonzept vor Augen haben795. Der Bau des Variusbades dürfte dann mehr oder weniger gleichzeitig

790 Zu detaillierten Überlegungen bezüglich der Bauten an der Kuretenstraße und ihrer
Datierung vgl. Kap. 2.4 mit ausführlichen Literaturangaben.
791 Zu einer Diskussion der umgebenden Bebauung, Säulenhallen sowie möglicherweise
östlich anschließend ein Grabbau für Aristion, vgl. Kap. 3.18 sowie Thür, Kaiser-
priester, 151-155 (zum Grabbau).
792 Zur Datierung der Celsus-Bibliothek s. insbesondere Strocka, Proceedings Ankara,
893-899; zum Hadrianstor vgl. Thür, Hadrianstor, 133 f. Ausführlich dazu auch
Kap. 2.4 mit weiteren Literaturangaben.

793 Zum Hadrianstempel ist ein Forschungsprojekt unter der Leitung der Verf. in Gang
(FWF Projekt Nr. 20947-G02). Bezüglich erster Ergebnisse zum Bauzusammenhang
zwischen Tempel und Badanlage s. Quatember, Temple of Hadrian, 376-394.
794 Zur Datierung des Hadrianstempels s. Wörrle, Hadrianstempel, 470-477; vgl. auch
Kap. 2.4.
795 Wiederholt hat P. Scherrer auf diese Verbindung hingewiesen, vgl. zuletzt Scherrer,
Bauprogramme, 49-51. s. dazu auch Kap. 5.2.

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