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ZUSAMMENFASSUNG

Im letzten Jahrzehnt vor der Zeitenwende wird im Norden des ephesischen >Staatsmarktes< ein Gebäude
errichtet, das uns heute als eines der wenigen sicher identifizierten Prytaneia der griechisch-römischen
Welt bekannt ist. Die überzeugende Deutung des Baus als Prytaneion und Heiligtum der Hestia Boulaia
gelang bereits im Zuge der Ausgrabungen von F. Miltner in den Jahren 1955 und 1956, der die Anlage in
zügigen Arbeitsschritten bis auf das jeweils jüngste erhaltene Bodenniveau freilegte. Neben dieser heute
weitgehend akzeptierten Identifizierung des Komplexes als Amtssitz der Prytanen und zentrales städtisches
Kultgebäude, die epigrafisch belegt ist, konnte bereits Miltner mehrere Bauphasen unterscheiden. Trotz
weiterer eingehender Untersuchungen in den frühen 1960er Jahren unter der Leitung von W. Alzinger, der
zahlreiche Sondagen unter Bodenniveau anlegte, oder in den frühen 1990er Jahren durch das Efes Müze-
si Selçuk blieben aber zentrale Fragen zu Nutzungsgeschichte, Aussehen, Funktion und Beziehung zum
benachbarten ephesischen Regierungsviertel unbeantwortet. Die ausführliche Vorlage der Inschriften des
Prytaneions durch D. Knibbe im Jahr 1981 erweiterte unser Wissen - vor allem um den im Gebäude be-
heimateten Kultverein der Küreten - zwar beträchtlich, Baubefund und archäologische Auswertung lagen
bei Beginn der Neuuntersuchung der Anlage im Jahr 2007 aber nicht vor. Die exzeptionelle Bedeutung des
Gebäudes innerhalb des Stadtgefüges und des administrativen Zentrums von Ephesos sowie die Aussicht auf
tiefgreifende neue Erkenntnisse in einem Gebiet, in dem grundsätzliche topografische und chronologische
Fragen noch ungeklärt sind, führten schließlich zur Wiederaufnahme der Forschungen am ephesischen
Prytaneion, die eine grundlegende Analyse des architektonischen und stratigrafischen Befundes mitsamt
seiner Ausstattung unter Berücksichtigung der Resultate der Altgrabungen beinhalten sollte. Die Ergebnisse
dieser Forschungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Das 1 170 m2 große, in augusteischer Zeit errichtete Prytaneion in Ephesos besaß einen klar geglie-
derten Grundriss, der erst in spätantiker Zeit komplex überformt wurde: Über den Haupteingang im Süden
des Gebäudes gelangte man in den 18,40 * 21,65 m großen Vorhof in Form einer Triporticus mit 14 zu
rekonstruierenden Säulen ionischer Ordnung. Im Zentrum des Hofes fand sich ein leicht aus der Achse
des Gebäudes gedrehtes Fundament, das ab traianischer Zeit als Basis der >Großen Artemis<-Statue diente.
Die wuchtige dorische Fassade der nördlich des Vorhofes gelegenen, quergelagerten, 7,20 * 21,38 m großen
Stoa (Vorhalle), deren Säulen in den 1960er Jahren teilweise wieder aufgestellt wurden, vermittelte in den
Kernbau des Prytaneions. Die Fassade mit ihren sechs Säulen in antis und einem erweiterten Mitteljoch
sowie die dahinterliegende, langrechteckige Halle gliederten und umfassten das nicht mehr der zentra-
len Mittelachse folgende Raumensemble nördlich davon, dessen Eingänge allesamt aus der Hauptachse
verschoben waren. Sowohl das ionische Peristyl des Vorhofes als auch die dorische Vorhalle gaben somit
eine Axialität vor, die durch das heterogene Raumprogramm im Norden der Anlage aufgelöst wurde. Die
unkonventionelle Grundrisslösung war, wie gezeigt werden konnte, durch die begrenzten lokalen topogra-
fischen Gegebenheiten einerseits und das benötigte Raumangebot andererseits bedingt. Am Gebälk der das
Gebäude dominierenden dorischen Fassade befanden sich an den Oberlagern der Geisa Einlassungen für
die anlaufenden Holzbalken des Dachstuhls. Daher ist das Gebäude auch entgegen früheren Meinungen,
die über dem Gebälk - entsprechend einer >Tempelfassade< - ein Tympanon und einen Giebel vermuteten,
mit einem Walmdach zu rekonstruieren. Das ephesische Prytaneion verliert damit seinen Status als Einzel-
fall in der Serie anderer bekannter Prytaneia und imitiert keinen Tempel mehr. Die dorische Architektur
der Vorhalle steht mit ihrer Großflächigkeit und ihrem reduzierten Dekor gleichermaßen in der Tradition
des hellenistisch-kleinasiatischen Werksteinbaus wie auch in der klassizistischen Tradition augusteischer
Architektur. Da sich dorische Ordnungen in Ephesos, wie auch im übrigen Kleinasien, als überaus selten
erweisen, ist die wuchtige Fassade des Prytaneions sicher als Besonderheit zu bezeichnen. So werden be-
reits ab flavischer Zeit in Ephesos keine monumentalen Gebäude in dorischer Ordnung mehr errichtet. Die
 
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