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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Contr.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0041
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27

gehenden Architekturftile in fleh aufzunehmen und zu verwerthen im Stande fei.
Dies zu thun, ift fie aber allein durch eine Definition, wie die hier verfuchte, fähig.
Wir können uns unmöglich mit denjenigen Definitionen begnügen, die an-
nehmen , dafs eine gefchichtliche Bewegung von folcher welthiftorifcher Bedeutung
ftets nur das Gegentheil hervorgebracht haben füllte von dem, was Alles in ihr
erftrebte: die Wiedereinführung in der Kunft der objectiven Vollkommenheit und
ihre Harmonie mit der fubjectiven individuellen Freiheit, wie fie alle wirklichen
claffifchen Kunftepochen erftreben. Man beurtheile fie auch etwas nach ihrem
Streben und dem, was fie geleiftet, nicht blofs nach dem, was fie noch nicht er-
reicht hat. Die claffifchen Epochen find die Blüthezeiten der Renaiffance. Sie
waren vom erften Tage an ihr Ziel; fie von der Renaiffance auszufchliefsen, ift
geradezu unlogifch.
Eben fo wenig ift die Anficht berechtigt, es fei diefe Architektur nothwendiger-
weife ein weniger chriftlicher Stil, als die vorhergehenden. Eine folche Anficht
ift allerdings fcheinbar fehr oft berechtigt, beruht aber ftets auf einer Verwechfelung
deffen, was uns ein Stil in unwürdigen Händen oft geworden ift, mit demjenigen,
was er, feinem innerften Wefen entfprechend, zu leiften fähig ift und berufen war.
Der gründliche und gewaltige Unterfchied zwifchen der Renaiffance und allen
ihr einigermafsen ähnelnden Beftrebungen nach einer reineren oder intenfiveren
Anwendung antiker Architektur-Fragmente oder -Elemente, wie wir fie zu Zeit
Carl des Grofsen oder in Pifa im XI. oder in Toscana im XII. Jahrhundert fehen,
befteht darin, dafs zur Zeit der letzteren kein gänzlicher, grundfätzlicher, äfthetifcher
Bruch mit den Formen Roms ftattgefunden hatte. Immer ungefchickter, roher und
unverftandener wurden fie von den lateinifchen, wie von den germanifchen Barbaren
in Italien angewendet, meiftens auch dann noch, als fie in den verfchiedenen
romanifchen Schulen des Abendlandes als Gedankenrahmen oder Formenfprache
für die eigenen Ideen gebraucht wurden — für Ideen, welche die nordifchen Völker-
fchaften, die fich in den Gebieten des ehemaligen Römerreiches niedergelaffen hatten,
von einem inneren Drange erfüllt, immer mehr auszufprechen fich bemühten.
Mit der Gothik aber war endlich eine neue, eine ganze, eine herrliche Kunft
entftanden, die auf allen Gebieten, auf den äfthetifchen, wie auf den ftructiven, zur
Antike in einem Gegenfatz ftand, wie er gröfser nie erdacht werden konnte. Und
als nach 350 Jahren eine folche Kunft den ganzen Schatz ihres Ideals erfchöpft
hatte, als man es für nöthig fand, mit der feit taufend Jahren todt geglaubten
antiken Kunft einen neuen Bund zu fchliefsen, da war dies ein Ereignifs, wie es
die Welt noch nie gefehen und welches wohl das fchöne Wort »Renaiffance« zu
tragen verdient, und der aus diefem Bunde hervorgegangene Architektur gebührt
für alle Zeiten der Name Architecture de la renaiffance par excellence.
Vafari macht die Künftler darauf aufmerkfam, wie die Kunft von einem kleinen
Anfänge fich zur höchften Blüthe erhob und wie fie von einer fo erhabenen, edlen
Stufe in die äufserfte Ruine ftürzte; er fagt, dafs den Künften, wie den menfeh-
lichen Körpern, das Geborenwerden, das Wachfen, das Altwerden und das Sterben
eigen feien44). In Folge deffen, fo fährt er fort, könne man jetzt leicht den Fort-
fehritt ihrer Wiedergeburt erkennen und jene Vollkommenheit felbft, bis zu welcher
fie in feinen Tagen wieder geftiegen fei. Der Ausdruck progreffo della fua rinafeita
enthält alfo fchon in feiner ganzen Form das bildliche Wort »Renaiffance«.
44) Proemio delle vite. No. XVIII. Ediz. Le Monnier. I. 214.

23-
Unterfchied
zwifchen
Renaiffance,
Revival
und
Reveil.

24.
Graphifche
Darftellung
der
Entwickelung
der
franzöfifchen
Architektur
feit 1500.
 
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