Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Contr.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0042
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
28

Verflicht man nun eine graphifche Darflellung der Wandelungen der Archi-
tektur in Frankreich nach der Intenfität des antiken Geiftes und der Menge antiker
Elemente, die jeweilig in den verfchiedenen Stilphafen auftreten, fo entlieht das
Bild, welches wir auf der neben flehenden Tafel geben. Die durch rothen Farbton
angedeutete antike Strömung bildet vom Zuge Carl VIII. nach Italien bis zum Bau-
beginn des neuen Parifer Opernhaufes (1862) drei Wellen von genau gleicher Länge,
welche mit Gegenftrömungen abwechfeln, in denen ein freierer Geift waltet, ein
Geift, der als Fortfetzung des einheimifchen gothifchen betrachtet werden kann,
unterflützt und ftark beeinflufft vom Geifte der Freiheit und oft von der Willkür
der Schule Michelangelo s und Borromini's einerfeits und vom Geifte der Hugenotten
und der Holländer andererfeits.
Auf der Seite der roth angedeuteten Strömung haben wir graphifche Dar-
ftellungen der Dauer des Lebens und der Thätigkeit der italienifchen Architekten,
welche auf die Entwickelung der italienifchen und fpäter der franzöfifchen Renaiffance
den gröfsten Einflufs ausgeübt haben, beigefügt, und zwar derjenigen, deren Wirken
zur gefetzmäfsigen oder objectiven Stilrichtung gehört. Auf der Seite der durch
einen blauen Farbton gekennzeichneten Strömung haben wir das Gleiche für die-
jenigen italienifchen Meifter gethan, welche die überwiegend fubjective Kunft dar-
ftellen.
Die erftere Strömung gipfelt in Bramante, in deffen »vier Manieren« die ge-
fammte italienifche Architektur vor ihm einmündet und Alles nach ihm ausgeht.
Die zweite Strömung gipfelt in Michelangelo. Durch die Anfchwellungen in den
»Cartouchen« einzelner Meifter haben wir daran erinnern wollen, dafs fie ver-
fchiedene Manieren gehabt haben, wobei wir nicht in der Lage waren, diefe An-
fchwellungen genau im Verhältnifs zu ihrer chronologifchen Dauer wiederzugeben.
In der Dicke der Cartouchen haben wir auf die Wichtigkeit der Meifter aufmerkfam
machen wollen; auch dabei ift ein mathematifcher Mafsftab nicht angenommen
worden.
Von den beiden fchmalen Seitencanälen, welche den Hauptftrom zu beiden
Seiten begleiten, ftellt der roth markirte die direkte Studienquelle der antiken Denk-
mäler dar, der grün gekennzeichnete die Quelle des unmittelbaren Naturftudiums,
vorwiegend im Sinne gothifcher und flämifcher naturaliftifcher Richtung.
Auf die neben flehende Tafel werden wir im Nachfolgenden an verfchiedenen
Stellen hinzuweifen haben. •

2. Kapitel.
Die franzöfifche Renaiffance ein franzöfifch-italienifcher Compromifs.

a) Franzöfifches Bedürfnifs nach der Renaiffance.
Im Leben der Einzelwefen, wie der Völker folgen einander — wahrfcheinlich
in regelmäfsiger Abwechfelung — Perioden, in denen man das Bedürfnifs einer
Renaiffance. Anregung von aufsen empfindet, und folche, in denen man ein nicht minderes Be-
dürfnifs fühlt, die Früchte, die aus der Verbindung diefer Anregungen mit unterer
eigenen Auffaffungsweife hervorgegangen find, zu offenbaren und unter den Menfchen

25-
Bedürfnifs
nach der
 
Annotationen