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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0078
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6i

der italienifchen Gliederung, wobei der Erfatz der Rundbogen durch Korbbogen
keineswegs die gröfste Neuerung war; fondern es muffte eine fyflematifche Am-
putation der Ordnungen und anderer Formen eintreten und ein gänzlich ver-
fchiedenes Verhältnifs der Fenfter zu den Pilaftern entliehen. Bis dahin war aber
von der Befriedigung etwaiger Wünfche der Edelfrauen, die Italien nie gefehen
hatten und um fo mehr am Heimifchen hielten, gar nicht die Rede, eben fo nicht
von der Eiferfucht und Minirarbeit der einheimifchen Architekten, die in folchen
Fällen niemals ausbleibt, noch von dem höhnifchen Gefühl der Ueberlegenheit,
welches die gothifchen Architekten überhaupt, in Folge der flructiven Complicationen
des alten Stils im Vergleich zum neuen, gewifs recht oft den Italienern gegenüber
empfinden zu dürfen glaubten und auch zur Schau trugen.
Es darf daher wohl behauptet werden, dafs der Entwurf für einen Profanbau,
den ein Italiener zwifchen 1495 und 1540 für Frankreich ausgearbeitet hatte, noth-
wendiger Weife ganz anders ausfehen muffte, als wenn derfelbe Meifter ihn für
Italien angefertigt hätte. Diefe Thatfache ift für die Beurtheilung des Antheiles der
italienifchen Meifter an franzöfifchen Kunftwerken von grofser Wichtigkeit.
b) Italienifche Vorbilder der franzöfifchen Compromifsformen.
In Italien findet man eben fo, wie fpäter in Frankreich zur Zeit Carl VIII.,
Ludwig XII. und Franz I, den Compromifs einer Verbindung gothifcher und antiker
Formen als Uebergang zur Renaiffance; nur ift diefe Erfcheinung in Italien, je nach
den betreffenden Gegenden, meidens eine verfchiedene, weil der locale gothifche
Bauftil bereits eine Vorftufe zur Renaiffance, ein antikifirender Gedanke oder ein
eben folches Gefühl in gothifirendem Gewände war.
Skizzen im Compromifs-Stil von Leonardo da Vinci und anderen italienifchen
Meiftern wurden bereits erwähnt. Von ausgeführten Beifpielen diefer Uebergangs-
phafe feien genannt: die Fenfter an den älteren Theilen des Palaftes von Urbino
und am Ojpedale zu Sulmona; diejenigen im Gange zur Sacriftei von Sta. Croce zu
Florenz; die Giebel an Werken, wie das Grabmal Brancacci zu Neapel, die Fagade
von Sani Agoftino zu Montepulciano, die Laterne Brunellesco's für den Florentiner
Dom etc., von den Beifpielen diefer Richtung in der Lombardei nicht zu reden.
In letzterem Gebiete, hauptfächlich an der Certofa bei Pavia, an den Fialen
des Domes zu Como und im Modell für den Dom zu Pavia, wurde der Grund-
gedanke der Stile Ludwig XII. und Franz I. feft geftellt, nämlich das Beibehalten
gothifcher Bautheile oder Bauglieder und ihre Detaillirung mit antik-römifchen
Formen nach den Compofitionsprincipien der letzteren. Statt aufwachfender oder
auffchiefsender Fialenthürmchen werden aufgebaute Phantafiegebilde einer Ideal-
Architektur errichtet, für den lothrechten Theil eine Reihenfolge von fchön ab-
geftuften fockel- und piedeftalartigen Unterfätzen, eine Art Tabernakel tragend.
Statt eines einzigen fpitzen, pyramiden- oder obeliskenartigen Daches zeigt fich eine
mehrfache Aufeinanderfolge von fäulenbefetzten und verfchieden gegliederten Tam-
bours, die mit Rundkuppeln abwechfeln; letztere find laternenartig abgeftuft und
von verfchiedenartigen, anmuthigen und bekrönenden Motiven begleitet. Die Phan-
tafie der Gliederungen diefer Reihenfolge von Abftufungen, die Schönheit der fie
verbindenden Profile find oft entzückend. Man glaubt durchwegs Modelle von
Phantafiethürmen im Idealftil zu fehen, etwa fo, als wenn man geneigt wäre, fich

57-
Halb-
gothifche
Compromifs-
formen.

58.
Mailänder
Vorbilder.
 
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