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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0101
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84

85-
Schlufs-
ergebniffe.

in Gemeinfchaft mit dem Hauptwerkmeifter {Mattre des oeuvres} Jean de Felln mit dem Nivellement der
Brücke befchäftigt war 196J. Man vergeffe hierbei nicht, dafs die fpeciellen Regifter über den fraglichen
Brückenbau verloren gegangen find. Die Bedeutung diefes Unternehmens für die damalige Zeit, verlieh
demfelben, wie Le Roux de Lincy bemerkt, eine gewiffe Feierlichkeit, die erft in das richtige Licht tritt
wenn man fieht, wie während des faft 100 Jahre fpäter ftattfindenden Baues des Pont neuf fortwährend
die Verhältniffe beim Pont Notre-Dame ftudirt wurden197).
Für die Beurtheilung der Sachlage ift ferner das Folgende von Wichtigkeit. Am 18. Nov. 1504
fchreibt der venetianifche Gefandte Francesco Morofini feiner Regierung aus Paris: ». . . Hier giebt es
einen Mönch , Fra Giocondo aus Verona, im Dienfle diefer erlauchten Gemeinde von Paris. Die Stadt
hat ihn für den Bau einer Brücke belohnt, die er über der Seine errichtet hat und welche ein fehr
fchönes Werk ift . . .« 198).
Das wahre Verhältnifs Fra Giocondo'?, zum Bau der Parifer Notre-Dame-'ftvMp&& dürfte endlich
daraus hervorgehen, dafs die Stadt Paris an einem Bogen ihrer neuen und erften Steinbrücke folgendes
Diftichon als Infchrift anbringen liefs:
Jucundus geminos pofuit tibi, Sequana, pontes;
Hunc tu jure potes dicere Pontificem 199).
Sicherlich wäre dies einem fremden Meifter gegenüber, der noch dazu vor der völligen Vollendung
der Brücke Frankreich verlaffen hatte, eine unerklärliche, ja undenkbare Schmeichelei gewefen. Deffen
ungeachtet fchreibt Le Roux de Lincy: »Giocondo kann hiernach nicht als der Architekt der Notre-Dame-
Brücke angefehen werden. Die Einheitlichkeit der geiftigen Erfindung (Conceptionj, die eine folche Be-
zeichnung vorausfetzt, lag nicht in den Gedanken der damaligen Zeit; aber es ift gewifs, dafs der Antheil,
den er an jenem Bauwerk genommen hat, grofs ift. Er wurde defshalb durch den Ruhm belohnt, der
fich an feinen Namen knüpft. Die Parifer wollten bereits im XVI. Jahrhundert das dauernde Gedächtnifs
feines Namens durch jenes Diftichon verewigen . . .«
Die vorftehenden Erörterungen und Schilderungen dürften zu folgenden Schlufs-
ergebniffen geführt haben:
a) Durch das Zufammenwirken der italienifchen Colonie zu Amboife mit den
einheimifchen Meiftern ift die erfte franzöfifche Renaiffance-Schule, diejenige der
Loire und zu Gaillon, entftanden.
ß) Bei diefem Zufammenwirken ift der italienifche Antheil weit gröfser, als
man feit Emeric David, Deville, Paluftre und anderen Schriftftellern diefer Richtung
angenommen hat und als es der Stil diefer Gebäude, verglichen mit den gleich-
zeitigen Ausführungen in Italien, anfänglich annehmen läfft.
7) Es ift keineswegs unmöglich, dafs Fra Giocondo an den ihm in Paris und
in Gaillon zugefchriebenen Werken wirklich einen bedeutenden fchöpferifchen An-
theil gehabt hat.
5) Er hat wahrfcheinlich auch auf andere Bauwerke, wie z. B. auf die Schlöffer
zu Amboife und Le Verger, ftellenweife eingewirkt.
s) Er kann, als erftes Haupt der Schule an der Loire, an ihrer Ausbreitung
nach Paris und Gaillon beigetragen haben und kann fich zum Theile vielleicht auch
durch den Unterricht, den er über Vitruv und andere Architekturfragen (Profilirung?)
gegeben hat, an der Einführung der Renaiffance betheiligt haben.
C) Nachdem Fra Giocondo 1505 durch Julius II. plötzlich berufen worden war,
um an der Concurrenz für St. Peter zu Rom fich zu betheiligen, fcheint Domenico
da Cortona, vielleicht fchon gleichzeitig mit erfterem, eine fehr wichtige Stellung
eingenommen zu haben, von der man bisher verhältnifsmäfsig wenig gewufft hat.
196) Siehe ebendaf., S. 39.
197) Siehe des Verfaffers: Les Du Cerceau, a. a. O., Abfchnitt über den Pont neuf.
198) Siehe: Baschet, A. Les archives de Venife. Hifloire de la chancellerte fecr'ete. Paris 1870. S. 562.
1") Gelegentlich diefer unzählige Male abgedruckten Infchrift verweist Le Roux de Lincy auf: Les antiquites de
Paris 1561. Fo. 150.
 
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