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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0204
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18/

Martin lagt weiter: »Der Gefchmack, Kunft und Literatur blieben auf der
Oberfläche diefes obfcönen Chaos . . . Heinrich ehrte die Dichter Ronfard und
Desportes und förderte, wie feine Mutter, die Künfte, vorausgefetzt, dafs fie fleh vor
feinen Laftern proftituirten. Sein Hof war ein Gemifch von Bigotterie und abfcheu-
licher Sittenlofigkeit, verbunden mit einem Reft von Ritterlichkeit, lafterhaft ver-
dorben, aber kühn, nach Abenteuern dürftend bis zum Wahnfinn . . . Bei Heinrich III
war Alles Lüge: der Geift, das Herz, das Urtheil; feine Gewohnheiten waren
kindifch und phantaftifch bis zur Extravaganz; fie liefsen ungeheuerliche Neigungen
errathen; die Phantafien einer zügellofen und verderbten Einbildungskraft hinderten
ihn, bei irgend einem Plane Ausdauer zu entwickeln . . . Nichts bietet in der Ge-
fchichte Frankreichs die geringfte Analogie mit dem Hofe Heinrich III. Man mufs
bis zu den am meiften entfitteten Zeiten des römifchen Alterthums zurückgreifen,
um eine folche Mifchung von Ausfchweifung und Wildheit, Wahnfinn und blut-
dürftigem Leichtfinn zu finden . . . Der Hof war ein Herd der Proftitution und
zugleich eine Mördergrube geworden . . . Auch im königlichen Heer beftand eine
entfetzliche Anarchie. Der Sold wurde demfelben nicht bezahlt; dafür verwüftete
es das Land in noch unbarmherzigerer Weife, als die fremden Truppen der Huge-
notten . . . Die Finanzen der Valois waren in folchem Mafse erfchöpft, dafs fie
weder die unfertigen Paläfte zu unterhalten, noch die Künftler zu unterftützen, noch
die Künfte zu ermuthigen vermochten.« — Heinrich III fchenkte einem Günftling
die Bisthümer Grenoble und Amiens, »damit diefer feinen Gewinn daraus zöge«.
Er verkaufte erfteres um 30000 Francs, und das letztere wurde für 40000 Francs
von einem Hoffräulein gekauft, um es mit Gewinn weiter zu verkaufen.
2) Verfchiedenheit der Stilrichtung.
Die Behauptung Deftailleur s, dafs mit der 1559 erfolgten Ernennung Primaticcio s
zum Superintendenten (fiehe Art. 168, S. 163) die Entartung in der Kunft begonnen
habe, fcheint nicht ganz richtig zu fein. Diefe Anfchauung rührt aus der Zeit her,
in der man glaubte, Primaticcio habe nur im übertrieben phantaftifchen Stil der
Cartouchen zu Fontainebleau gearbeitet, und man nicht wuffte, dafs er auch eine
ftrenge Richtung, und namentlich auf dem Gebiete der Architektur, verfolgt hat.
Viel richtiger wäre es, zu fagen, dafs eine Strömung der Entartung viel früher,
nämlich mit dem Auftreten der Schule von Fontainebleau (gleich nach 1531),
angefangen habe. In Italien begann diefe Bewegung nahezu mit dem Todestage
Raffaels, und zwar mit der Uebertreibung einzelner, bereits in den Loggien des
Vaticans zu Rom vorkommenden Formen. In der eigentlichen Architektur dagegen
enthalten die 1564 begonnenen Tuilerien De lOrmes bereits viele Elemente der
Willkür, während das 1560 in Angriff genommene, von Primaticcio herrührende
Maufoleum der Valois zu St.-Denis eines der ftiliftifch ftrengften Gebäude der
gefammten Renaiffance in Frankreich ift.
Einer der erften Wege, welche zur Trübung des reinen Stils beitrugen, war
die Ueberladung mit willkürlichen Formen. Wieder ift es Philibert de lOrme, der
in den Tuilerien hierfür ein Beifpiel liefert. Hier (Fig. 46417) treten zwei oder drei in
einander gefchobene Giebel, wie fie Michelangelo an der Thür der Laurenziana zu
Florenz anbrachte, in der urfprünglichen Anlage des attikaartigen Halbgefchoffes auf.

WS-
Beginn
des
Verfalles.

196.
Ueberladung
der
Formen.

Nach einer Originalzeichnung J. Du Cerceau's im Britijh Mujeüm zu London.
 
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