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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0216
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199

Grofsen. Damals hatte Frankreich zu entfcheiden, welche Stellung es der Reformation
gegenüber einnehmen wolle.
Wenn ich als Zeitalter Heinrich IV. die ganze Dauer der Hugenottenkämpfe
bezeichne, fo hoffe ich durch diefe Eintheilung ein befferes Verftändnifs jener Zeit
zu ermöglichen. Ich hoffe ebenfalls ihren Einflufs auf die zweite Entwickelungs-
periode der Renaiffance und deren Entwickelung und Zusammenhang beffer nach-
weifen zu können.
Eine folche Eintheilung und Gruppirung fcheint berechtigt, weil fie als Bafis
die Gefammtheit einer geiftigen Bewegung erhält, die für die Gefchicke und die
Künfte Frankreichs bis auf die Gegenwart von fundamentaler Bedeutung gewefen
ift. Sie geftattet auf dem religiöfen Gebiete, auf welchem ftets alle Gefühle zum
höchften Ausdruck gelangen, das Spiegelbild anderer damaliger Beftrebungen zu
erhalten, die ebenfalls dazu beitrugen, den Charakter der Architektur zu beftimmen.
Eben fo berechtigt fcheint es, die Bezeichnung »Zeitalter Heinrich IV.« auf
die ganze Periode der Hugenottenkämpfe von 1562—1628 vor und nach feiner
eigentlichen Regierung auszudehnen. Als Freund und Schüler Coligny s ift er, fo
zu fagen, mit dem Beginn der Bewegung in Verbindung; feit 1568 nahm er perfön-
lich daran Theil; von 1589—1610 war er das Haupt und der Mittelpunkt von
Allem. Ferner hat er felbft beiden Confeffionen nach einander angehört. Huge-
nottifcher Katholik oder katholifcher Hugenotte, war Heinrich der nationalfte aller
Könige Frankreichs. Eine Fufionspolitik erfafft und bis an fein zu frühes Ende
durchgeführt zu haben, bleibt die edelfte Krone feines Ruhmes.
Als auf dem religiöfen Gebiete der Sturm der Leidenfchaften fich entfeffelte,
mifchten fich dem Kampf der Hugenotten für Gewiffensfreiheit, der Reihe nach,
eine Menge anderer Elemente, Fragen und Principien bei. Es Rehen fich fomit
allmählich folgende Erfcheinungen gegenüber:
a) die proteftantifche Reaction gegen Rom mit dem Kampf von Hugenotten
gegen Katholiken;
b) die Reaction des grofsen Adels gegen die abfolute Monarchie;
c) die Reaction municipaler Freiheiten gegen die abfolute Monarchie;
b) die Reaction des Landvolkes gegen den Adel;
e) die dynaftifche Erbfrage; hier ftreiten oft Katholiken und Hugenotten ver-
eint gegen Katholiken und Spanier verbündet; es kämpfen unter einander: das rein
monarchifche Princip der Erbfolge, das katholifche Princip eines katholifchen Königs
und das republikanifche Princip;
f) die Frage nationaler Einheit oder Theilung Frankreichs in gröfsere unab-
hängige Fürftenthümer.
Diefen Streiten reiht fich ein Erwachen nördlich nationaler Gefühle gegen die
immer ftärkere italienifche Kunftrichtung an.
Aus diefen Kämpfen entlieht die entfetzlichfte Anarchie. Der Ausbruch der
Ligue 1585 war das Gegenftück der grofsen Hugenottenbewegung von 1562. Ihr
Lofungswort war die Enterbung des Königs von Navarra, als Schutz gegen einen
Hugenottenkönig, und der Sturz der Mignons. Sie liefert das Innere an die
Ultramontanen, die Grenzen und das Aeufsere an Spanien aus; in ihr wird die
demokratifche Partei fogar antinational. Die Grofsen der Liga, fo wie jene der
Hugenotten wiederum wünfchen die grofse Einheit des franzöfifchen Staates auf-
zulöfen, um ihre Gouvernements zu unabhängigen Fürftenthümern erheben zu

212.
Verfchieden-
artigkeit
der
Streitfragen.

213.
Anarchie.
 
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