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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0244
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22/

Stils ift, wird hierdurch weiter bekräftigt. Hierbei ift jedoch hervorzuheben, dafs
dies hauptfächlich für den Kirchen- und Palaftbau zutrifft, viel weniger für den
Privatbau, wo die franzöfifchen Elemente viel zahlreicher find oder zu fein fcheinen.
Ein anderer Irrthum, in den man unwillkürlich verfällt, ift, dafs man bei
diefen Vergleichen faft nur Rom vor Augen hat, das gefammte Italien und feine
Bauwerke aber nicht hinreichend berückfichtigt. In den Vergleichen zwifchen den
Architekturen beider Länder vergißt man, dafs ihre Verhältniffe diametral entgegen-
gefetzt find. Seit Heinrich IV. ftrömt mehr und mehr das Befte von ganz Frank-
reich in Paris zufammen; in Italien gab es unzählige Quellen der Kunft; die
Meifterwerke find in hundert Städten vertheilt; ganz Italien ift ein Mufeum463).
Es ift daher unendlich viel fchwieriger, ein Gefammtbild aller Erfcheinungen der
italienifchen Architektur vor Augen zu haben und manchen ihrer Elemente gerecht
zu werden.
In der Betrachtung jener Zeit ift man vielleicht zu fehr geneigt, als vlämifch
dasjenige anzufehen, was nur eine vlämifche Interpretation von Formen ift, die zwar
nicht der ftrengen, aber immerhin einer italienifchen Richtung entnommen find:
nämlich der freien Michelangelo ’s und feiner Nachfolger. Mehrere Gründe erklären
den fich fteigernden Einflufs diefes Meifters. Erftens das ungeheuere Anfehen,
welches, neben feiner Künftlergröfse, das Eigenartige feiner Stellung als Architekt
der Peters-Kirche (1547—64) ihm verlieh. Zweitens die fchöne Gliederung feiner
Peters-Kuppel, durch die er ein Vorbild für die flrenge Richtung des Kuppelbaues
in Frankreich wurde. Drittens aber die in vielen feiner Werke vorherrfchende freie
und willkürliche Formenbildung, die ihm wiederum in den freien Phafen und
Strömungen des XVI., XVII. und XVIII. Jahrhundertes die Sympathien der Künftler
erwarb. Gelegentlich der freien Strömungen unter Ludwig XIII. und Ludwig XV.
werden wir auf den zuletzt erwähnten Einflufs Michelangelos zurückkommen464)
und verweilen andererfeits auf das bereits in Art. 52 (S. 56) über denfelben
Getagte.
Eine Reihe weiterer Thatfachen beweist den bedeutenden Einflufs Italiens in
verfchiedener Weife.
Erftens Miffionen, wie diejenige von de Chambray nach Rom (um 1640), um
bedeutende italienifche Künftler und Kunfthandwerker oder Franzofen, wie Pouffin,
die fleh in der italienifchen Kunft ausgebildet hatten, zur Ueberfiedelung nach
Frankreich einzuladen 465).
Solchen Einflüßen ift die langjährige Thätigkeit Romanellls (ca. 1640—60) und
feiner Gefährten Grimaldi und Borzone, ferner 1665 die Berufung Berninis nach
Paris, wo er während acht Monaten wie ein grofser Herr behandelt wird, zuzufchreiben.
Stefano della Bella (1610—64) aus Florenz, den die Franzofen La Belle nennen,
war von 1640—50 in Paris.
Eine ähnliche Verbreitung der Denkmäler über einen grofsen Theil des Landes findet man in Frankreich während
der romanifchen , der gothifchen und der erften Periode der Renaiffance. In den Vergleichen zwifchen italienifchen und
franzöfifchen Werken darf man ferner nicht vergeffen, dafs der Hauptwerth eines Gebäudes zuweilen in der Verwerthung eines
Motivs liegt, welches von einem italienifchen Gebäude oder einem italienifchen Entwurf entlehnt wurde, deffen Gefammt-
erfcheinung und Beftimmung ganz verfchieden waren. Daher kommt es, dafs Einflüffe und Aehnlichkeiten oft von ober-
flächlichen Autoren mit erftaunlicher Hartnäckigkeit geleugnet werden, eben fo auch, dafs viele Architekten und Kunft -
gelehrte fich über den Grad ihrer Kenntr.iffe der italienifchen Architektur fehr täufchen. Meiftens ift man nur mit einigen
Phafen weniger Schulen vertraut.
An denfelben Stellen werden wir auf die zwei Gruppen von Nachfolgern, welche die Richtung Michelangelo's weiter
entwickelten, zurückkommen.
465) Siehe hierüber das bereits in Art. 48 (S. 46) Angeführte.

275-
Ungenügende
Kenntnifs
der
italienifchen
Architektur.

276.
Einflufs
von
Michelangelo.

277-
Italiener
in
Frankreich,
 
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