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Cranach das ganze Elend dieser Unglücklichen zu schildern. Um
Anatomie kümmert sich der Künstler weniger, die Körperformen
quellen aus ihrer organischen Struktur heraus. Die beiden Schächer-
darstellungen überraschen durch einen furios hingestrichenen Mas-
senstil und durch Körperbildungen mit scharf akzentuierten Gelenk-
punkten, übertrieben langen, gewundenen und gebogenen Gliedern,
mächtig vorquellenden Muskulaturen und breitknochigen Kopfformen.
Die Zeichnungen, die ihre Leidenschaft des Vortrags durch die vielen
unbekümmert hingestrichenen Pentimente schlagend beweisen, er-
reichen ein hohes Maß an Plastik und Volumen. Die Wahl der Zei-
chenmittel ist meisterhaft dem Inhalt der Darstellungen angepaßt.
Von dem rotbraunen Grund heben sich die breiten, schwarzen
Kreidestriche ab, die — durch eine kräftige Schattierung und helle
weiße Lichter belebt — zu reichen Erscheinungsformen zusammen-
rücken. Dazu kommen noch starke Kontraste und scharf betonte
Uebergänge, um eine vitale Triebkraft und erdhafte Naturnähe zum
Ausdruck zu bringen.

Durch diesen derben, ja fast brutalen Realismus unterscheidet
sich Cranach doch von seiner donauländischen Umgebung, die eine
naturhafte Empfindung keineswegs in so schroffer, übertreibender
Form zum Ausdruck brachte. Wir müssen für einen solch' eigenwil-
ligen Charakter der Frühwerke Cranachs irgendwelche Eindrücke
voraussetzen, die der Künstler in Gegenden Deutschlands empfan-
gen hat, die er vor seiner Ankunft in Wien berührte. Aus seinem
Heimatlande Franken sind uns solche Züge in dieser Form nicht
bekannt. Ich glaube, daß Glaser recht hat, wenn er auf bayuvarische
Einschläge in der Cranachschen Frühkunst hinweist. Bei Jan Pollak
und Mälesskircher — in der Plastik bei Erasmus Grasser — finden
wir ähnliche Gliederverrenkungen und übertreibende Derbheit. Die
saftigen und freien Naturdarstellungen, mit denen Cranach seine Ge-
mälde auszuschmücken versteht, sind den Einwirkungen der Wie-
ner Atmosphäre anzurechnen. In den frühen Gemälden Cranachs
scheint sich bayerische Körperauffassung mit donauländischem
Naturempfinden zu paaren.

Eine Komposition des Meisters, für die die Berliner Schächer
als genaue Vorstudien in Betracht kämen, ist nicht bekannt. Die
Darstellungen schließen sich aber den Schächern auf dem 1502
datierten Kreuzigungsholzschnitt (Geisberg, Nr. 559) eng an. Der
rechte Schächer dieses Holzschnittes hat vor allem eine auffallende
Aehnlichkeit mit der einen Berliner Darstellung (Kat. 1), besonders
in dem Motiv der von dem Haupt herabrauschenden Flut feinsträh-
niger, ungeordneter Haare, die das zu Boden gewandte Gesicht ver-
decken. Auch findet die naturalistische Ausgestaltung des Kreuzes-
holzes auf den Berliner Zeichnungen in diesem Holzschnitt ihre

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