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Ohne jedweden Anschluss an die akademischen Richtungen und deren Bestreiter finden wir in Wien aber auch noch
eine stattliche Reihe von Künstlern, die einem gesunden Naturalismus in individueller Freiheit huldigen und nur
in dem Einem (ich treffen, dass sie ihre Werke mit einem einheitlichen, dem Heimatgefühle, dem österreichischen
und speciell dem Wiener Charakter entsprungenen Geiste erfüllen. Es sind dies die Vertreter der „Wiener Genre-
Malerei", von denen mehrere, wie Danhaufer, Waldmüller, Gauermann, schon längst ausserhalb der Grenzen
Oesterreichs zu verdienter Anerkennung gelangt sind und in ihrer Heimat sich noch immer einer ungeminderten
Beliebtheit, ja eines gesteigerten Ansehens erfreuen.
Nach einem altbewährten Gesetze spiegeln sich die Entwicklungsstadien der Malerei auch auf dem Gebiete
der graphischen Künste wieder, so wenig günstig den höheren Bestrebungen der letzteren die damalige Zeit war.
Senefeider's Erfindung errang vom Jahre 1820 ab auch in Wien einen momentanen Sieg über die mühsame und
kostspielige Arbeit des Kupferstechers; mag auch damals schon einzelnen Verständigeren die Lithographie als
alleiniges künstlerisches Reprodustionsmittel ungenügend erschienen sein, im Allgemeinen wurde der Kupferstich
doch als ein überwundener Standpunkt angesehen. Nur wenige Wiener Kupferstecher, Blasius Hösel, Rahl sen.,
Steinmüller, Stöber, erwarben sich einigen Ruf durch Stiche nach alten Meistern aus dem Belvedere oder nach
hervorragenden Wiener Genremalern; aber diese Blätter bieten im Ganzen nur einen matten Abglanz der tress-
lichen Leistungen der SchmutzerTchen Stecherschule. Neben der siegreichen Lithographie behauptete sich natur-
gemäss die Radirung noch am bellen, wie die reichen Werke von J. A. Klein und Joh. Christ. Erhard, dann die
geistvollen, den autochthonen Charakter des Wiener Genre an sich tragenden Malerradirungen von Jakob und
Friedrich Gauermann, von Feudi, Danhait/er, Führich, Daffingcr u. A., beweisen, die der Liebhaber auch heut-
zutage mit Vergnügen besichtigt.
Neben diesen Künstlern nimmt Joseph Krieluiber, der geniale Porträtzeichner, welcher zu den charakte-
ristischesten Künstlertypen des Vormärz zu zählen ist, wenn auch seine Thätigkeit noch zwei Decennien länger
dauerte, eine ganz gesonderte Stellung ein. Seine Begabung war gleich seiner Thätigkeit ganz aussergewöhnlich
und eigenartig, so dass man heutzutage immerhin schon vom kunstgeschichtlichen Standpunkte aus untersuchen
kann, welch' bleibenden Werth diese so scharf ausgeprägte künstlerische Individualität für sich in Anspruch
nehmen darf. Der äussere Lebensgang des Künstlers ' bietet keine bemerkenswerthen Momente. Ein Vollblut-
Wiener, verbrachte er sein Leben (1801—1876) fast ununterbrochen in seiner Geburtsstadt, an deren Kunst-Akademie
er eine ihm so wenig zusagende Heranbildung empfing, dass er eigentlich als Autodidakt anzusehen ist. Eifrige
Studien nach der Natur und nach den alten Meistern in den Wiener Sammlungen, namentlich nach van Dijck,
entwickelten seine eminente zeichnerische Begabung so rasch, dass er, kaum 17 Jahre alt, von einem polnischen
Magnaten auf dessen Güter mitgenommen wurde, um Pferde zu zeichnen. Nach vier Jahren rastloser Arbeit wurde
er dieser hippischen Studien überdrüssig und kehrte in seine Heimat zurück, wo er sich unter den üblichen Nahrungs-
sorgen der damaligen jungen Wiener Künstler mit dem ganzen Feuer seines Wesens auf das Porträt warf, worin
er mit Recht seine eigentliche künstlerische Domäne erkannte. Damals schon machte sich Kriehuber mit der
Technik der Lithographie vertraut, welche Senefelder persönlich in Wien eingebürgert hatte, ohne besonders
geschickte Adepten zu finden; sein rasches Temperament fand in der leicht arbeitenden lithographischen Kreide
das ihm zusagendste ReproducVionsmittel. In diese Zeit fallen Krieluiber's vier grosse Blätter nach Jan van
Eyck's „Kreuzabnahme", nach Raffael's „Madonna im Grünen", nach Morettds „Heil. Justina" und nach Boni-
fazio's „Madonna mit dem heil. Marcus und der heil. Ursula" aus dem Belvedere, die nur in wenigen Exemplaren
publicirt wurden, weil man die für damals ungewöhnlich grossen Steine mangelhaft geätzt und beim Drucken
ungeschickt behandelt hatte, so dass sie bald sprangen. Der junge Künstler betheiligte sich ferner mit einigen sehr
gelungenen Platten an der Sammlung von lithographischen Nachbildungen der Handzeichnungen der Albertina.
Eine karge Einnahme verschaffte er sich auch dadurch, dass er seinen Zeichnerstift dem Kunsthändler Trent-
sensky verdang und für dessen Verlag zugleich mit Pettenkofen und Moriz von Schivind Bilderbogen, die
vielgenannten „Wiener Mandelbögen", dann Pferdestücke u. A. zeichnete. Eine interessante Leistung aus dieser
Zeit ist eine von Kriehuber und Schivind gemeinschaftlich gezeichnete, äusserst seiten gewordene2 Folge von
sechs Schauspielerporträts aus dem damals ungemein beliebten Zaubermärchen Ferdinand Raimunds „Das
Mädchen aus der Feenwelt" oder „Der Bauer als Millionär".

1 Vergl. den Artikel „Joseph Kriehuber" in Wurzbach's „Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich", ferner den Nekrolog in
Lützow's „Kunst-Chronik" (Jahrgang XII, Nr. 21).
2 Das einzige complete Exemplar befindet sich im Besitze des Verfassers dieses Aufsatzes.
 
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