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GEORG HIRTH'S PUBLICATIONEN.
USGEHEND von der ebenso richtigen wie fruchtbaren Anschauung, dass
unser modernes Kunstgewerbe in fast allen seinen Zweigen keine besseren
Vorbilder, keine erspriesslichere Anregung finden könne, als in dem reichen
Vermächtnisse jener merkwürdigen Epoche des „Erwachens der Geister
und des Blühens der Studien," in welcher zu leben Ulrich von Hütten, selbst
ein Träger der deutschen Renaissance, für eine Lust erklärt hat, gibt seit
einigen Jahren Dr. Georg Hirth in München eine Reihe von Publicationen
heraus, welche nicht nur kunst- undculturhistorischen, sondern auch praktischen
Zwecken in gleichen Maasse dienlich erscheinen. Diese Publicationen beruhen
im Wesentlichen auf Reproduktionen der verschiedensten Arbeiten aus allen
Gebieten der Kunst und des Kunstgewerbes, welche sich aus früheren Kunst-
epochen, namentlich aus der Zeit der deutschen Renaissance, erhalten haben,
und werden theils durch einen erläuternden Text in Verbindung gebracht, theils ohne weiteren Zusammenhang
dem Beschauer vorgeführt. In der einen wie in der anderen Weise erfüllen sie vollständig den Zweck, welchen der
Herausgeber mit ihnen verfolgt und verdienen umsomehr die allgemeine Beachtung, als sie Dank dem Fort-
schritte der auf der Photographie beruhenden Reproduclionsarten, Jedermann zugänglich sind, der an der Kunst
und dem Kunstgewerbe irgendwie Antheil nimmt. Dies ist ein nicht zu unterschatzender Vorzug derselben im Ver-
haltnisse zu anderen Publicationen ähnlicher Art, bei denen der Kostenpunkt in Frage kommt.
Als periodische Publication erscheint „Der Formenseh atz" und bietet in der That, was sein Titelblatt
ankündigt, „eine Quelle der Belehrung und Anregung für Künstler und Gewerbetreibende, wie für alle Freunde
stilvoller Schönheit, aus den Werken der bellen Meister aller Zeiten und Völker." Anscheinend bunt zusammen-
gewürfelt, ist diese Sammlung von Reproduktionen der mannigfaltigsten Kunstwerke aus verschiedenen Kunst-
epochen, und Beschauer, die sich der Vorliebe für das „System" nicht entschlagen können, werden vergeblich das
„Schema" suchen, von welchem sie einen Ariadnefaden durch die zahllosen Abbildungen des Werkes abzuhaspeln
vermöchten. Allein in dieser Regellosigkeit liegt Methode. Nicht so sehr directer Nachahmung und bewusster
Benützung sollen alle diese Vorbilder dienen , sondern der Verkehr mit den verschiedenartigsten Ausdrucks-
formen, welche der künstlerische Geist der Renaissance gefunden, soll anregend und befruchtend auf die Erfindungs-
gabe und das Formgefühl des Beschauers wirken und Neubildungen verwandten Geistes befördern. Bis jetzt sind
es vornehmlich Reproduktionen bereits vorhandener graphischer Darstellungen, welche Dr. Hirth vorführt;
hoffentlich wird der Erfolg des Unternehmens ihm bald auch gestatten, die Kenntniss jener zahlreichen nicht
publicirten kunstgewerblichen Arbeiten von hervorragendem Interesse, an denen in öffentlichen und Privat-Samm-
lungen kein Mangel ist, den Liebhabern durch Original-Aufnahmen zu vermitteln. Studienreisen junger Künstler
konnten hiezu benützt werden und es wäre in den meisten Fallen ganz genügend, wenn statt der kostspieligeren
Tonbilder, Motiv und Behandlung der Originale durch Umrisszeichnungen klar gemacht würden. Liegt doch ohne-
hin der Schwerpunkt dieser Publication nicht in der technischen Vollendung der Reproduktionen, sondern in dem
Gegenstande der Darstellung.