Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
HANDZEICHNUNGEN VON FRANZ METZNER.

Der Bildhauer Franz Metzner hat ein halbes Hundert Handzeichnungen hinterlassen, von
denen hier fünf veröffentlicht1 werden. Fast alle Blätter, deren künstlerische Bedeutung durch
ihren Seltenheitswert noch erhöht wird, sind in seinem letzten Lebensjahre, dem letzten des
unseligen Krieges vor und nach dem Zusammenbruch entstanden, als der Kohlenmangel ihn
hinderte, seine große Werkstätte zu heizen. Solange es nur anging und seine Kräfte reichten, hatte
er ohnehin in der Kälte modelliert, oft nur mit einer Hand, damit er die andere in der Hosentasche
derweilen ein wenig erwärmen konnte. Sorgen um das allgemeine Schicksal, aber auch um die
Zukunft der Kunst, um die eigene in dem längst geahnten, unvermeidlichen Niedergang, Schmerz
über die ganz erfaßte menschheitliche Krise hatten ihn seelisch und körperlich von der gewohnten
Arbeitsweise gelöst und zwar seine Gesundheit untergraben, seinen Geist aber auf tragische Weise
befreit, wie es nur vor dem Tode geschieht, wo ein Mann in der letzten vergönnten Spanne Zeit
mit ungeheurem Überblick Neues, Entscheidendes wahrnimmt und, indem er sich der allgemeinen
Zeichen, der gewohnten Sprache und Verständigungsmittel bedient, doch alles völlig neu ausdrückt,
weil er es neu erkennt.

In solcher Gemütsverfassung und so schon vom Schicksal berührt, vom nahen Tode über-
schattet, zeichnete der Künstler in seiner Stube diese Eindrücke und Visionen auf. Er hatte nur
die eindringliche Kraft seiner Empfindung, das erleuchtete Gedächtnis und Wissen, eine uner-
müdliche Bereitschaft und Hingabe zu Diensten, keinerlei Modell, keinerlei greifbare Vorräte von
Naturstudien. Aus der großen Feinfühligkeit der tastenden Hand ergab sich von selbst, triebhaft,
die Sicherheit der Wiedergabe auch in der neuen, ungewohnten Form. Die Mittel des Bildhauers
wurden nicht ohne weiteres mit denen des Zeichners vertauscht, sondern die Formensprachen
gewissermaßen vereinigt. Plastische und malerische Darstellung gehen auf eigentümliche Weise
ineinander über.

Bei den Gegenständen entscheidet zumeist die ursprüngliche, wesentlich plastische Vision,
welche die Erscheinungen von der Umwelt herausgeschält als ganze, geschlossene Gebilde erschaut,
ohne sie indessen mit scharfen Umrissen zu vereinzeln. Vielmehr behalten sie auch in der
Zeichnung — und das macht deren Reiz aus — denselben flimmernden, in die Luft übergehenden,
sanft verschwimmenden Ton, der einer Marmorgestalt oder Bronze eignet.

Nicht die Beziehung zu andern Gegenständen im Raum, zu Licht, Landschaft oder sonstiger
Vielheit, auch nicht der Wunsch, ein zeitliches Nacheinander durch Bewegungen zu vergegen-
wärtigen, liegt den Motiven zugrunde, sondern die bildhauerisch notwendige Anschauung der
unbegrenzten Vieldeutigkeit der Einzelgestalt an sich. Er begreift sie als Ganzes, als Haltung und
Zustand, nicht als Flüchtiges, Vorübergehendes, zeitlich Geteiltes oder Teilbares. Daraus ergibt
sich eine halt- und beinahe tastbare Geschlossenheit der Figur auch dort, wo es sich nicht um eine
vorweg erkennbare zeichnerische Darstellung einer eigentlichen gedachten Plastik handelt. Auch
eine besonders kühne Verkürzung, eine besonders merkwürdige Bewegung übersetzt sich von

1 Eine Mappe mit fünfzehn ausgewählten Blättern, herausgegeben von Carl Hontsehik und eingeleitet von Arpad Weixlgiirtner, ist kürzlich
im Verlag von Hennann Meister in Heidelberg erschienen.

21

I
 
Annotationen