VON KÜNSTLERSCHRIFT UND KÜNSTLERISCHER SCHRIFT.
Das griechische Wort »graphein« heißt sowohl schreiben als auch zeichnen. In China sind
Bild und Buchstabe eines aus dem anderen hervorgewachsen. Die nahe Verwandtschaft auch von
unserer modernen europäischen Schrift und Zeichnung hat Professor Max Seliger an einer Reihe
von Beispielen, auf deren jedem knapp nebeneinander vom selben Künstler mit derselben Feder
eine Skizze gezeichnet und ein paar Sätze geschrieben sind, überzeugend nachgewiesen.
Die berufsmäßigen Kalligraphen, die sich bemühten, die Schriften ihrer Schüler zu uniformieren,
sind längst ausgestorben. Heute wieder läuft die Handschrift Gefahr, entweder individuell zu ver-
wildern oder durch die Maschine gänzlich verdrängt zu werden. Aber wie die graphischen Künste
dem photographischen Apparat, von dem man zuerst fürchtete, er werde sie ausrotten, mittelbar
eine neue Blüte verdanken, so wurde letzten Endes vielleicht auch die Schreibmaschine der Anlaß,
daß man der Ausbildung einer künstlerischen Schrift erhöhte Aufmerksamkeit zuwandte. Dies
geschah überall dort, wo Sinn und Anlage für dekorative Kunst vorhanden waren.
Daß in Wien, wo zuletzt dank einigen überragenden Künstlerpersönlichkeiten die dekorative
Kunst führend war, auch die künstlerische Schrift besondere Pflege fand, versteht sich eigentlich
von selbst. Das Verdienst, der Wiener künstlerischen Schrift einen Weltruf verschafft zu haben,
gebührt Rudolf Larisch, dessen Name zusammen mit dem eines Johnston und Ehmcke genannt wird.
Graphiker, die selbst die Schrift beistellen, sind nicht selten. Der verstorbene Wiener Heinrich
Lefler schrieb zu seinen Bildern für Andersens Märchen »Die Prinzessin und der Schweinehirt«
gleich auch selber den Text. Sein Schüler Dr. Rudolf Junk, der nicht nur oft und oft die Schrift und
zwar auch umfangreiche Texte selbst ins Holz geschnitten und auch eine Druckschrift entworfen
hat, ist dermaßen ins Buchstabenmalen verliebt, daß er einmal mit der Feder auf Pergament eine
ganze lange Novelle niederschrieb. Auch der Reichsdeutsche Otto Hettner hat übrigens einen Text,
den er mit Lithographien illustrierte, eigenhändig auf den Stein geschrieben.
Während aber Dr. Junks Handschrift in seinen Briefen nichts Außergewöhnliches an sich hat
und keinerlei künstlerischen Anspruch erhebt, so ist ähnlich der des Müncheners Joseph Weiß die
Hettners offenbar absichtlich stilisiert. Auch Gustav Klimts Handschrift war mehr gezeichnet als
geschrieben, die unseres gewaltigen Wiener Bildhauers Anton Hanak ist vollends ein zwar sehr
schönes und äußerst fesselndes, aber nur schwer entzifferbares und höchst eigenwilliges Ornament.
Auch Egon Schiele, der zu früh Dahingegangene, zeichnete ganz so wie die Signaturen auf seinen
Handzeichnungen und Bildern auch die Schrift seiner Briefe. Von der des jungen Wieners Roland
Straßer gilt dasselbe. Viktor Hammer schreibt eine schöne Unziale, so daß seine Briefe wie karolin-
gische Urkunden aussehen. Von diesen schmuckhafte Wirkung anstrebenden Künstlerschriften
unterscheidet sich die viel anspruchslosere Hans Thomas, die aber so deutlich und regelmäßig ist,
daß gelegentlich ein Manuskript von ihm nicht gesetzt, sondern klischiert wurde.
Daß die Schätzung schöner persönlicher Handschrift dermalen wächst, beweist ein Unter-
nehmen wie die »Scriptordrucke« des Münchencr Dreimasken-Verlages. Diese billigen Bändchen
sind nicht gedruckt, sondern geschrieben, das heißt die von modernen Schreibkünstlern angefertigten
Abschriften von allerlei Gedichten sind mittels eines eigenen Verfahrens, des sogenannten Man-
druckverfahrens, vervielfältigt. Unica aber gleich den Manuskripten der mittelalterlichen Mönche
werden jetzt auch wieder zustande gebracht. Von Dr. Junks handgeschriebener Geschichte war
schon die Rede. In Wien fertigt Julius Zimpel derlei Bücher an, und in Berlin hat der Verleger
August Kuhn durch Rudolf Koch und andere von biblischen Texten Abschriften herstellen lassen,
die überdies mit Miniaturmalereien (von Beckmann, Waske und Jaeckel) geschmückt sind. A. W.
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Das griechische Wort »graphein« heißt sowohl schreiben als auch zeichnen. In China sind
Bild und Buchstabe eines aus dem anderen hervorgewachsen. Die nahe Verwandtschaft auch von
unserer modernen europäischen Schrift und Zeichnung hat Professor Max Seliger an einer Reihe
von Beispielen, auf deren jedem knapp nebeneinander vom selben Künstler mit derselben Feder
eine Skizze gezeichnet und ein paar Sätze geschrieben sind, überzeugend nachgewiesen.
Die berufsmäßigen Kalligraphen, die sich bemühten, die Schriften ihrer Schüler zu uniformieren,
sind längst ausgestorben. Heute wieder läuft die Handschrift Gefahr, entweder individuell zu ver-
wildern oder durch die Maschine gänzlich verdrängt zu werden. Aber wie die graphischen Künste
dem photographischen Apparat, von dem man zuerst fürchtete, er werde sie ausrotten, mittelbar
eine neue Blüte verdanken, so wurde letzten Endes vielleicht auch die Schreibmaschine der Anlaß,
daß man der Ausbildung einer künstlerischen Schrift erhöhte Aufmerksamkeit zuwandte. Dies
geschah überall dort, wo Sinn und Anlage für dekorative Kunst vorhanden waren.
Daß in Wien, wo zuletzt dank einigen überragenden Künstlerpersönlichkeiten die dekorative
Kunst führend war, auch die künstlerische Schrift besondere Pflege fand, versteht sich eigentlich
von selbst. Das Verdienst, der Wiener künstlerischen Schrift einen Weltruf verschafft zu haben,
gebührt Rudolf Larisch, dessen Name zusammen mit dem eines Johnston und Ehmcke genannt wird.
Graphiker, die selbst die Schrift beistellen, sind nicht selten. Der verstorbene Wiener Heinrich
Lefler schrieb zu seinen Bildern für Andersens Märchen »Die Prinzessin und der Schweinehirt«
gleich auch selber den Text. Sein Schüler Dr. Rudolf Junk, der nicht nur oft und oft die Schrift und
zwar auch umfangreiche Texte selbst ins Holz geschnitten und auch eine Druckschrift entworfen
hat, ist dermaßen ins Buchstabenmalen verliebt, daß er einmal mit der Feder auf Pergament eine
ganze lange Novelle niederschrieb. Auch der Reichsdeutsche Otto Hettner hat übrigens einen Text,
den er mit Lithographien illustrierte, eigenhändig auf den Stein geschrieben.
Während aber Dr. Junks Handschrift in seinen Briefen nichts Außergewöhnliches an sich hat
und keinerlei künstlerischen Anspruch erhebt, so ist ähnlich der des Müncheners Joseph Weiß die
Hettners offenbar absichtlich stilisiert. Auch Gustav Klimts Handschrift war mehr gezeichnet als
geschrieben, die unseres gewaltigen Wiener Bildhauers Anton Hanak ist vollends ein zwar sehr
schönes und äußerst fesselndes, aber nur schwer entzifferbares und höchst eigenwilliges Ornament.
Auch Egon Schiele, der zu früh Dahingegangene, zeichnete ganz so wie die Signaturen auf seinen
Handzeichnungen und Bildern auch die Schrift seiner Briefe. Von der des jungen Wieners Roland
Straßer gilt dasselbe. Viktor Hammer schreibt eine schöne Unziale, so daß seine Briefe wie karolin-
gische Urkunden aussehen. Von diesen schmuckhafte Wirkung anstrebenden Künstlerschriften
unterscheidet sich die viel anspruchslosere Hans Thomas, die aber so deutlich und regelmäßig ist,
daß gelegentlich ein Manuskript von ihm nicht gesetzt, sondern klischiert wurde.
Daß die Schätzung schöner persönlicher Handschrift dermalen wächst, beweist ein Unter-
nehmen wie die »Scriptordrucke« des Münchencr Dreimasken-Verlages. Diese billigen Bändchen
sind nicht gedruckt, sondern geschrieben, das heißt die von modernen Schreibkünstlern angefertigten
Abschriften von allerlei Gedichten sind mittels eines eigenen Verfahrens, des sogenannten Man-
druckverfahrens, vervielfältigt. Unica aber gleich den Manuskripten der mittelalterlichen Mönche
werden jetzt auch wieder zustande gebracht. Von Dr. Junks handgeschriebener Geschichte war
schon die Rede. In Wien fertigt Julius Zimpel derlei Bücher an, und in Berlin hat der Verleger
August Kuhn durch Rudolf Koch und andere von biblischen Texten Abschriften herstellen lassen,
die überdies mit Miniaturmalereien (von Beckmann, Waske und Jaeckel) geschmückt sind. A. W.
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