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Emma Bormann, Heidelberg. Nach dem OriginaMJnoleumschnitt.

GRAPHISCHE ARBEITEN VON EMMA BORMANN.

Läßt man die graphischen Blätter, die Frau Dr. Emma Bormann im Verlauf von noch nicht
zehn Jahren geschaffen hat, im Gedächtnis vorüberziehen, so werden aus der großen Schar sicherlich
Architekturen, Stadtplätze und Innenräume, belebt von wimmelnden Menschenmengen, am deutlich-
sten und eindruckvollsten hervortreten. Stadtansichten aus der österreichischen Heimat, aus Deutsch-
land und aus Holland, mit Vorliebe von hohen Standpunkten aus aufgenommen, und mächtige Innen-
räutne, Theater-, Konzert- und Zirkussäle, das Treppenhaus einer Universität, ein amphitheatralisch
angelegter anatomischer Hörsaal, der Aktsaal einer Kunstschule, ein Turnsaal — das und ahnliches
sind, meist wieder von oben gesehen. Lieblingsvorwürfe für das Hohleisen der Künstlerin. Alle
diese Plätze und Säle sind aber keineswegs leer oder bloß mit einigen menschlichen Gestalten
staffiert, wirken durchaus nicht lediglich durch ihre Bauformen und die Verteilung von Licht und
Schatten, nein, sie sind, wie schon gesagt, dicht angefüllt mit Menschen, die Straßen, Plätze und
Kanäle überdies auch mit Fahrzeugen aller Art, mit Wagen, Straßenbahnzügen, Automobilen und
Schiffen. Manchmal tritt das Menschengewühl mit der Architektur in Wettstreit oder verdrängt sie
ganz, wenn zum Beispiel Aufzüge, ein Kinderzug vor seiner Abfahrt, die Kinder und deren An-
gehörige nach der Ankunft, ein dicht bevölkerter Badestrand dargestellt sind.

Das ungefähr ist das »Was«, merkwürdiger ist das »Wie«. Die Architektur ist vor allem
keineswegs scharf gesehen. Wohlvertraute Formen sind häufig kaum mehr wieder zu erkennen.
Senkrechte wackeln, gliedernde Teile sind unbetont, verlieren sich, im Gegensatz zur offenkundigen
Freude an der Weiträumigkeit versagt nicht selten die Perspektive. Alles ist aufgelöst und zer-
pflückt, in Fleckchen und Pünktchen zerlegt, so daß es dem Beschauer vor den Augen flimmert.
Im Einklang mit der Zerbröckelung und Zerbröselung der Architekturformen steht die Behandlung
des Himmels, des Gewölkes, die eine unverkennbare Vorliebe für Schäfchen (cirri) und den gleich-
sam aufgedröselten Strahlenkranz der untergehenden Sonne verrät.

Die Künstlerin verfällt auf älteren Arbeiten gerne in den Fehler, zu viel zu tun. Eine Straße
belebt sie zum Beispiel auch dann mit Figuren, wenn diese besser wegblieben. So rührt auch die
falsche Perspektive meistens davon her, daß auf der Bildfläche mehr gegeben ist, als das fest

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