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NEUE DEUTSCHE DANTE-GRAPHIK.

Im Jahre 1897 schloß ich meine »Iconograria dantesca« mit folgenden Sätzen ab: »Wenn
wir uns die gesamte Entwicklung der bildlichen Darstellungen zur Divina Commedia nochmals
vergegenwärtigen, von den tastenden Versuchen handwerklicher Buchmaler bis zu den Meister-
werken der edelsten Künstler aller Zeiten, vom Wiedererwachen selbständiger Kunstübung im
Mittelalter durch Glanzzeiten und Verfall zu neuer Blüte, aus den engen Grenzen des Vaterlandes
des Dichters hinaus über die ganze zivilisierte Welt, so tritt uns immer aufs neue die Tatsache
vor Augen, daß eine völlige Durchdringung und künstlerische Bewältigung des gewaltigen Stoffes,
den Dante darbot, dem Gebiete der Zeichnung im weitesten Sinne des Wortes vorbehalten ist.
Wohl sahen wir farbenprächtige Miniaturen die alten Handschriften anmutig schmücken, groß-
artige Wandbilder den Geist und das innere Leben der Dichtung ebenbürtig widerspiegeln; allen
Gedanken, Erlebnissen, Erzählungen des Dichters biegsam und liebevoll zu folgen vermag nur der
Griffel. —Auch die Ära des Malens, die das XIX. Jahrhundert hervorrief, hat deshalb, wenngleich
mehrfach in hoher Vollendung, doch immer nur herausgegriffene Einzelszenen des Dichters verkörpert,
ohne sein Werk als Ganzes zu durchdringen; die eigentliche moderne Dante-Illustration aber, die
tatsächlich noch nicht geschaffen ist, — mag die zu neuem Leben erwachte Griffelkunst sie
uns bringen.« —

Beachtenswerte Ansätze in dieser Richtung sind seither in Deutschland mehrfach gemacht
worden. Ich erinnere nur an die 100 Federzeichnungen von Franz Stassen zu P. Pochhammer.
Ein Dante-Kranz (Berlin, Grote, 1905/6), die zwar an Pochhammers abgekürzte »Merkverse« ge-
bunden waren und schon deshalb nicht selbständig in die Tiefen der Dichtung eindringen konnten,
auch gewisse Schwächen dieses Künstlers nicht vermeiden, aber als Buchkunst recht gut sind;
ferner waren auf der Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik, Leipzig 1914.
(»Bugra«) 8 Radierungen aus Dante von F. A. Weinzheimer zu sehen, die aber nur dem Inferno
entnommen waren (Katalog der Zeitgenössischen Graphik, Nr. 1658/59). Es stand zu erwarten, daß
die »Dante-Welle«, die sich aus i\nlaß des 600jährigen Todestages des Dichters — oftmals mehr breit
als tief — über die Welt ergoß, auch in dieser Hinsicht nicht ohne Einfluß bleiben werde, und in
der Tat hat sie einige Erzeugnisse neuer deutscher Graphik mit sich gebracht, von denen jeder
Kenntnis nehmen muß, der sich für die unendlich mannigfaltige und wechselvolle Anregung der
bildenden Kunst durch die Göttliche Komödie interessiert.1

Wenn ich zehn Radierungen zu Dante von Rudolph Saudek in Leipzig (Berlin, Euphorion-
Verlag) an die Spitze stelle, so geschieht es darum, weil mir dieser noch junge Künstler das tiefste
selbständige und eigene Verhältnis zur Dichtung zu besitzen scheint. Ursprünglich Bildhauer, hat

1 Es sei liier auch zweier wertvoller Publikationen zum Thema »Dante und die Kunst« kurz gedacht: Dantes Göttliche Komödie in
Zeichnungen deutscher Romantiker, herausgegeben von Paul Schubring, Leipzig, Hiersemann 1911, und O. Fischöl, Dante und die Künstler
mit 07 Abb. auf U0 Tafeln, Berlin, Grote 1921.
 
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