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Lim die Vertikalrichtung zu betonen. Unten ist das Bild in halber Brusthöhe des Dargestellten
etwas unterhalb des Armansatzes abgeschnitten. Die Fingerspitzen der im steilen Winkel gefalteten
Hände ragen in das Porträt hinein. Die schon durch das gewählte überhöhte Format gegebene
Aufwärtsrichtung des ganzen Bildes, die von der Mütze aufgenommen wird, der das lange schmale
Gesicht des Dargestellten entspricht, wird von diesen Fingern noch einmal betont. Ein ungeheurer
Ernst liegt über der ganzen Schöpfung. Wie auf einem Stifterbild ist der Porträtierte betend dar-
gestellt. Die altniederländische Malerei liebte es, aus zwei selbständigen Tafeln zusammengefügte
Diptycha zu malen — wir besitzen mehrere Beispiele dieser Art von Hans Memling —, auf denen
ein Bildnis einer Muttergottes mit dem Jesuskinde gegenübergestellt ist. Auf diesen Diptychen
aber nimmt der gemalte Stifter stets durch eine Wendung Bezug auf das gegenüberstehende An-
dachtsbild. Die Andacht des Mannes auf dem Bildnis von Dirk Bouts aber ist sichtlich nicht auf einen
bestimmten Gegenstand der Andacht gerichtet, sondern ist in tiefer Sammlung in sich selbst gekehrt.
Wir müssen also annehmen, daß es sich um ein selbständiges Einzelwerk handelt. Das XV. Jahr-
hundert, das erste, das seit der Antike sich wieder einer individualisierten Porträtkunst zugewendet
hatte, pflegte im Gegensatz zu späteren Zeiten die Dargestellten selbständiger Bildnisse ohne jede
Art von Handlung, ohne jeden momentanen Zug, gleichsam zeitlos zu malen. Es will den Menschen
rein und getreu wiedergegeben sehen, und nicht unter dem Einfluß eines augenblicklichen
Geschehens oder einer Stimmung. Blicken wir aber näher hin, so ist durch die gefalteten Hände nur
scheinbar eine Handlung gegeben. Sie sollen ebenso wie die Himmelstendenz des ganzen Aufbaus
nur die Grundstimmung dieses Antlitzes mit herausarbeiten helfen, sie sind gleichsam nur ein
Attribut der Frömmigkeit. So hat Bouts mit diesem Bildnis sein am stärksten konzentriertes Werk
geschaffen.

Es ist begreiflich, daß es Peter Halm, den Meister in der graphischen Wiedergabe gebundener
spätmittelalterlicher Kunstwerke, der so manches Porträt des größten altniederländischen Bildnis-
malers Jan van Eyck radiert hat, gereizt hatte, auch diese wundervolle Tafel einmal mit seiner Nadel
in seinen Linearstil zu übertragen. Ihn lockte vor allem die edle Führung des Boutsschen Konturs in
seiner ganzen herben Charakteristik. Er verzichtete auf das malerische Mittel, den hellen Kopf vor
einen dunklen Hintergrund zu setzen, und versuchte es vielmehr, das Entscheidende der Wirkung
mit rein zeichnerischen Mitteln herauszuholen. Vollendet gelang ihm die Wiedergabe der Kappe,
deren Oberfläche mit dem Wechsel von Licht und Schatten in ihrer ganzen Stofflichkeit zur Geltung
kommt. Aber auch die Strenge der Stilauffassung des Vorbildes gelangt mit der peinlich genauen
Treue der Halmschen Nadelführung zur Wirkung.

Ludwig Baldass.
 
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